💛 Herzbericht vom 03.08.2025 - Leben in und mit der Stille

Hallo ihr Lieben,
In allem, was ich gerade durchlebe, erkenne ich den Beginn eines neuen Abschnitts. Und jeder Anfang eines neuen Abschnitts birgt einen Teil der Lösung in sich – man muss nur genau hinsehen. Manchmal liegt Bedeutung nicht im Wortlaut, sondern im Aufbau. Das lerne ich hier jeden Tag etwas mehr. Seit zwei Tagen bin ich nun Gast beim Orden Morthanas, um in der Abgeschiedenheit dieser Gemeinschaft zu mir selbst zu finden. Zum Glück bin ich nicht allein: Erzbischof Nickolus ( Nickel) steht mir auf diesem ungewohnten Weg zur Seite. Trotz aller Unsicherheit schöpfe ich Hoffnung daraus, dass das, was jetzt beginnt, letztlich zu meinem inneren Frieden beiträgt.
Chernarus außerhalb der Klostermauern erscheint mir unendlich fern. Dabei ist es erst wenige Tage her, dass ich mitten im Konflikt stand und Schüsse die Nächte zerrissen. Ich weiß, viele von euch kämpfen draußen weiterhin ums Überleben, während ich mich hier in scheinbarer Sicherheit wähne. Dieses Bewusstsein fühlt sich ungewohnt und fast falsch an – als dürfte ich mich der Welt da draußen nicht entziehen. Doch gleichzeitig ahne ich, wie nötig diese Pause für mich ist, um die Erlebnisse der letzten Zeit aufzuarbeiten.
Hoffentlich erreichen euch meine Berichte zeitnah und bei guter Gesundheit und ich danke dem Erzbischof, wenn er den Bericht übermittelt.
🌄 Erwachen in der Kammer
Bilder, Vergangenes, Stimmen… damit schlief ich ein. Sie drängten sich auf, formlos und doch schwer. Manchmal verschwommen sie so sehr, dass ich mich fragte, ob sie überhaupt noch mir gehörten, oder ob ich längst nur noch Teil einer Geschichte war, die jemand anderes geschrieben hatte.
In der Morgendämmerung erwachte ich mit einem Druck auf der Stirn und einer seltsamen Spannung in Nacken und Schultern. Mein Körper fühlte sich an, als hätte ich die Nacht im Sitzen verbracht. Dabei wusste ich noch genau, das sich im Liegen eingeschlafen war. Die Glieder waren schwer, die Finger taub vom langen Verharren. Mein Rücken schmerzte, als hätte ich mich über Stunden hinweg in mich selbst eingerollt. Ich spürte, wie meine Knie protestierten, als ich sie bewegte, und meine Lippen waren trocken, fast spröde. Die Luft im Raum war stickig geworden, zu still.
Noch wusste ich nicht, wie lange ich schon dort gelegen hatte. Mein Zeitgefühl war mir längst entglitten – ausgelöscht von der Stille, von der Leere des Raums, die sich schleichend in meine Wahrnehmung gegraben hatte. Nur durch die Ritzen im schweren Haupttor drang ein fahles Licht. Kein klares Sonnenstrahlenmuster, nur ein diffuses, bleiches Schimmern, das sich über den Steinboden legte wie ein flüchtiger Hauch. Daran konnte ich vage die Tageszeit erahnen. Ob es Morgen war oder Abend – ich wusste es nicht. Es war, als hätte der Raum selbst aufgehört, an der Welt teilzunehmen. Und ich mit ihm.
🌲Der Weg nach Draußen
Ich richtete mich mühsam auf. Meine Glieder schmerzten – nicht schlimm, aber dumpf, als hätte mein Körper vergessen, wie sich Bewegung anfühlt. Ich brauchte einen Moment, um das Zittern in meinen Beinen zu ignorieren. Dann stand ich.
Neugierig legte die Hand an das Holztor meiner Kammer, drückte vorsichtig. Kein Widerstand. Kein Klicken, kein Schloss. Die Tür öffnete sich knarrend nach außen. Ich atmete durch. Erleichterung mischte sich mit vorsichtiger Verwunderung. Ich war nicht eingeschlossen worden. Wirklich nicht. Kein Trick. Keine Falle. Ein Teil von mir hatte damit gerechnet – oder sich zumindest auf die Möglichkeit eingestellt. Aber da war nichts. Nur das kühle, steinerne Gemäuer des Turms, das mich in den schwachen Morgenstunden empfing. Ich wusste nicht, ob es vorgesehen war, einen kurzen Spaziergang zu machen. Aber der Raum war klein und mein Körper sehnte sich nach Bewegung an der frischen Luft. Das alles war ein Rätsel für mich. Was wurde von mir erwartet? Ich zögerte kurz, doch dann beschloss ich nach draußen zu treten. Das große Haupttor zum Turm stand einen Spalt breit offen. Vermutlich war es Schwester Yeva gewesen, die es bei ihrer morgendlichen Arbeit offen gelassen hatte. Hastig trat ich hinaus ans Licht. Zunächst blendete mich die Grelle Sonne. Es muss also schon später Vormittag gewesen sein. Das Kloster lag friedlich vor mir, eingeschlossen durch die Hohen Mauern. Ich beschloss mir den Garten nochmals etwas näher anzusehen.
🍅 Stille Botschaft im Klostergarten
Der Garten lag still vor mir, fast zu still. Die Luft war kalt und klar, jeder Atemzug schien in der Kehle zu flirren. Ich sog sie bewusst ein, als könnte ich damit den Druck auf meiner Brust lindern. Doch dann kam er – der Nebel. Sanft, fast tröstlich, legte er sich um alles. Ich sah die Bäume erst, als ich direkt vor ihnen stand. Kein Duft von Blüten, kein Rascheln von Blättern. Nur Nebel. Als hätte die Welt beschlossen, nicht mehr zu sprechen – sondern zu flüstern.
Ein fernes Echo, oder war es eine Stimme? Im Dunst glaubte ich etwas zu hören. Oder einfach nur mein eigenes Innerstes, das sich endlich Gehör verschaffte? Eine Ahnung durchzog mich, wie ein Gedanke, der nicht von mir zu stammen schien – aber doch vertraut war. Lausche dir selbst, flüsterte es in mir. In der Stille findest du, was Lärm und Rollen oft überdecken.
Regungslos blieb ich stehen. Und dachte an all das, was andere in mir sehen wollten. Was ich selbst zu sein glaubte. Aber es ging nicht ums Erfinden oder Verdrehen. Nicht darum, Erwartungen zu erfüllen. Sondern darum, das zu entdecken, was ohnehin schon da war. Mich. Und ich fragte mich: Bin ich bereit, dem zu begegnen – ganz ohne Schleier? Und wenn ja, was wär wenn mir nicht gefiel, was ich fand?
⛪Rückkehr in den Turm
So schlenderte ich langsam durch den Klostergarten. Meine Finger strichen sanft über die Kräuter und Blüten, während der schwere Duft von Kürbispflanzen und Tomatenstauden meine Gedanken einhüllte. Für einen Moment schien alles leicht – als hätte die Welt den Atem angehalten. Inmitten dieser Farben, dieser Ruhe, schien der Lärm der letzten Tage fast vergessen.
Tatsächlich ließ ich mich bald auf eine niedrige Mauer am Rand der Beete sinken und beobachtete die Pflanzen, wie sie sich im Takt des Windes wiegten. Doch meine Gedanken blieben nicht bei ihnen. Sie wanderten, tasteten. War es wirklich so einfach? War ich hier frei – oder nur gefangen in einem schöneren Käfig? Vielleicht glaubten sie tatsächlich, was sie sagten. Vielleicht war hier wirklich niemand, der eine Tür hinter mir schloss.
Ich stand schließlich wieder auf. Mein Weg führte mich zurück zum Turm, Schritt für Schritt, leise, bedächtig. Ich erreichte die Tür zur Kammer der Einkehr und legte die Hand an das Holztor. Sie war noch immer nicht verschlossen.
Langsam trat ich ein und zogdas Tor hinter mir zu, doch ich drehte den Schlüssel nicht um – ein stilles Zeichen, dass ich zwar hier war, aber nicht gefangen. Die Kammer wirkte ruhig, beinahe tröstlich. Die Kälte des Steins, das leise Rascheln meiner Uniform – mehr war nicht zu hören. Vielleicht meinten sie es wirklich ernst. Vielleicht glaubten sie wirklich, dass Einkehr freiwillig war. Dass man niemanden in Ketten legen musste, der sich selbst einschloss.
Leise setzte ich mich nieder, schloss für einen Moment die Augen – und spürte, wie die Welt um mich herum leiser wurde. Nicht still – aber leiser. Und vielleicht, so dachte ich, war das schon mehr, als ich in den letzten Wochen gehabt hatte.
Endlich konnte ich mich wieder der Ruhe und der Stille hingeben.
🔨 Vertrauen im Schatten des Schweigens
An sich verhielt sich Erzbischof Nickolus die ganze Zeit über ruhig und wachsam, selbst wenn er gerade nicht in Person anwesend war. Er sprach wenig, doch seine Gegenwart empfand ich als beruhigend konstant. Kein Schritt, den ich tat, entging seiner Aufmerksamkeit – fast so, als wolle er sicherstellen, dass mich weder meine düsteren Gedanken noch die Schatten der Vergangenheit überwältigen.
Besonders irritierte mich sein aufmerksames Schweigen anfangs ein wenig, doch inzwischen begriff ich es als Zeichen echter Fürsorge. Nickel wollte, dass ich mich hier geborgen fühlte, und seine schützende Nähe gab mir Halt, auch wenn sie mich zugleich daran erinnerte, dass ich unter Beobachtung stand. In stillen Momenten fragte ich mich, ob er einfach ein guter Freund war – oder ob er darauf achtete, dass ich diesen Ort nicht vorschnell wieder verlassen würde.
Er sprach nicht viel, nickte mir meist nur zu, wenn wir uns sahen. Ein kurzer Moment der Anerkennung, ohne Erwartung, ohne Urteil. Dieses Maß an unaufdringlicher Präsenz war mir fremd, aber nicht unangenehm. Vielleicht war es genau das, was ich brauchte: jemanden, der blieb, ohne zu drängen.
Respekt entstand zwischen uns, leise und schleichend wie Morgendunst. Kein blindes Vertrauen, aber ein vorsichtiges Annähern. Ich merkte, wie ich begann, seinen Blick zu suchen, seine Einschätzung zu spüren, selbst wenn ich sie nicht hören konnte. Und obwohl ein Teil von mir sich noch immer sträubte, wuchs da auch etwas anderes – vielleicht so etwas wie Zuversicht.
⁉️ Ist das alles richtig?
Warum ich wirklich hier war – das fragte ich mich in stillen Momenten immer wieder. Eine leise Stimme in mir begann dann zu zweifeln, flüsterte im Takt meines Herzschlags und legte mir Fragen auf die Seele, auf die ich keine eindeutige Antwort wusste. Hatte ich mich zurückgezogen, weil ich dem Kampf da draußen entgehen wollte? Weil ich Angst bekommen hatte? Oder war es der einzig mögliche Schritt, um nicht endgültig zu zerbrechen?
Es kostete mich Überwindung, diesen inneren Dialog nicht abzubrechen. Ihm Raum zu geben, ihn zuzulassen – das war manchmal schwerer als jede Konfrontation mit der Außenwelt. Doch ich erinnerte mich, warum ich hier war: um zu heilen, was in mir zerbrochen war. Nicht alles konnte mit einem schnellen Pflaster versorgt werden. Manche Wunden brauchten Zeit, Dunkelheit, und vor allem – Geduld mit sich selbst.
Ruhe zu finden war für mich kein Zustand, sondern ein Prozess. Einer, der mich herausforderte, mir alles abverlangte und mich zugleich trug. Vielleicht war es kein Zeichen von Schwäche, sich zurückzuziehen. Vielleicht brauchte es gerade dazu Mut – sich den eigenen Dämonen zu stellen, statt vor ihnen wegzulaufen. Ich versuchte es zumindest. Jeden Tag ein bisschen mehr.
🏝️Ein Ort der Ruhe?
Zerbrechlich fühlte ich mich, mehr denn je. Früher glaubte ich, an einem Ort wie diesem sofort Frieden zu finden. In meiner Vorstellung waren Klöster Oasen der Stille – abgeschirmt von der Härte dieser Welt. Ich hatte gehofft, der Schmerz würde mit dem ersten Atemzug hinter diesen Mauern von mir abfallen wie Staub aus alten Tagen. Doch stattdessen trug die Stille ihn mir nur umso deutlicher zu.
Unerwartet legte sich die Ruhe wie ein feines Tuch über meine Gedanken, aber sie verbarg nichts. Sie deckte auf. Jede Sorge, jeder Zweifel, jedes ungelebte Gefühl. Ich musste erkennen: Nicht der Lärm war das Problem gewesen – sondern mein Versuch, in ihm meine Wunden zu verstecken. Jetzt, wo alles ruhig war, gab es keinen Ort mehr, mich zu verbergen. Alles kam an die Oberfläche.
Heilen bedeutete nicht, dass es nicht mehr weh tat. Es bedeutete, dem Schmerz zu erlauben, da zu sein – ohne sich von ihm beherrschen zu lassen. Das zu lernen fiel mir schwer. Immer wieder versuchte ich, ihn wegzudrücken. Doch je mehr ich ihn ignorierte, desto lauter pochte er an meine Tür. Erst als ich ihn einlud, nahm er leise Platz – und wurde erträglicher.
Öffnung geschieht nicht mit einem Ruck. Es sind winzige Risse im Panzer, die Licht hineinlassen. Und doch fürchtete ich diese Risse – weil sie auch zeigen könnten, wie tief die Dunkelheit saß. Aber ich wusste inzwischen: Wer heilt, der fühlt. Wer fühlt, lebt. Und wer lebt, hat die Chance, zu wachsen. Schritt für Schritt.
Ruhe, so lernte ich, war kein Versprechen – sondern eine Einladung. Sie zwang mich zu nichts. Aber sie forderte mich auf, hinzusehen. Nicht zu fliehen. Nicht zu schweigen, wo mein Herz reden wollte. Vielleicht war das die eigentliche Aufgabe dieses Ortes: nicht zu trösten, sondern zu erinnern. An alles, was in mir lag und längst nicht mehr gesehen wurde.
Trost fand ich nicht in Antworten, sondern im Zulassen von Fragen. In der Erkenntnis, dass ich nicht allein war mit meinem Kampf. Dass andere ihn ebenfalls führten – auf ihre Weise, mit ihren Narben. Und dass es vielleicht weniger um das Ziel ging, als um die ehrliche Bereitschaft, den Weg überhaupt zu gehen. Auch wenn er leise, langsam und voller Unsicherheit war.
👓 Schatten der Vergangenheit
Kaum hatte ich geglaubt, die Welt für einen Moment hinter mir lassen zu können, da holte sie mich wieder ein. Die Stille war keine wohlige Umarmung, kein friedliches Atmen, sondern ein Raum, in dem alles widerhallte, was ich versuchte zu vergessen. Trauer, Verantwortung, Zweifel – sie klopften nicht. Sie kamen einfach: Silas, die Balzbubis, die ständigen Angriffe auf uns und unsere Freunde, die Hütchenbande, Chuck, Henrik und Shizo… sie alle kamen in Gedanken zu mir. Und sie blieben. Mal als Sturm, mal als Schatten.
Andächtig saß ich manchmal da und lauschte dem Schweigen, als könnte es mir eine Antwort geben. Wann ist Stille heilend – und wann zerstörte sie? Diese Frage brannte in mir, während ich in meiner Kammer lag, das Licht über den Boden wandern sah und versuchte, im Ticken meines Herzens irgendeinen Rhythmus zu erkennen, der mich noch trug. Doch es gab Tage, da wusste ich nicht, ob ich mich erholte oder verlor.
Nichts war so schwer auszuhalten wie das Nichtwissen. Nicht zu wissen, wie lange ich bleiben würde. Nicht zu wissen, ob meine Gegenwart hier überhaupt etwas veränderte – in mir oder in der Welt. Nicht zu wissen, ob ich je wieder jemand sein würde, der nicht nur durchhält, sondern aus Überzeugung handelt. Aber ich blieb. Weil Weglaufen leichter gewesen wäre.
Noch hatte ich keine Antwort gefunden. Doch ich begann zu begreifen: Vielleicht ist es nicht die Stille, die zerstört – sondern das, was wir in ihr zurückhalten. Vielleicht ist es das Verschweigen der Trauer, das sie so schwer macht. Vielleicht heilen wir nicht, wenn es still ist, sondern wenn wir in der Stille endlich zu sprechen beginnen. Leise. Aber wahr.
🕊️ Hoffnung bleibt
Manchmal fiel es mir schwer, diese Zuversicht aufrechtzuerhalten. Dann lag ich lange wach, rang mit Gedanken, die mich zurückziehen wollten in alte Muster, alte Ängste. Doch selbst in diesen Momenten fand ich einen Funken Licht – sei es in einem Sonnenstrahl, der durch die Ritzen fällt, oder im Rascheln der Blätter im Klostergarten. Diese kleinen Zeichen erinnern mich daran, dass alles in Bewegung ist, auch wenn ich es nicht immer spüre.
In mir wächst etwas Neues – langsam, beinahe unmerklich, aber spürbar. Es ist kein großer Durchbruch, kein dramatischer Wandel. Es ist eher ein inneres Aufrichten, ein sanftes Sich-Sortieren. Ich beginne, mich selbst wieder als Ganzes zu sehen. Nicht als das, was ich verloren habe oder was andere in mir sehen, sondern als die, die ich geworden bin – mit allem, was war, und allem, was noch sein darf.
Chaos herrschte lange Zeit in meinem Inneren. Zu viele Stimmen, zu viele Rollen, zu viele Erwartungen. Doch hier, in dieser Stille, lerne ich langsam, sie auseinanderzuhalten. Ich höre nicht mehr nur das laute Außen, sondern endlich auch das leise Innen. Es ist ein vorsichtiger Dialog mit mir selbst – oft zaghaft, aber ehrlich. Und vielleicht ist genau das der erste Schritt in die Heilung.
Hoffnung, habe ich erkannt, ist kein Zustand. Sie ist eine Entscheidung. Jeden Tag aufs Neue. Und auch wenn ich manchmal strauchle oder zweifle, treffe ich diese Entscheidung weiter – für mich, für meinen Weg, für das, was ich sein kann, wenn ich mich traue, mir selbst zu begegnen.
🌙Abends, lege ich mich zur Ruhe
Selten war mir der eigene Körper so fremd wie in diesen Tagen der Einkehr, doch vieles erinnerte mich an die Gefangenschaft unter Chuck. Es kostete Mühe, mich davon zu überzeugen, dass dies hier anders war. Meine Glieder fühlten sich an wie aus Ton – schwer, träge und widerspenstig. Die langen Stunden des Stillhaltens forderten ihren Tribut: ein ständiges Ziehen im Nacken, dumpfe Schmerzen in den Knien, ein Drücken hinter der Stirn, das selbst der Schlaf nicht mehr löschte. Ich bewegte mich langsam, beinahe vorsichtig, als müsste ich mich erst wieder an mich selbst gewöhnen.
Chronische Anspannung hatte sich in meine Schultern eingenistet, als wäre dort ein Gewicht abgelegt worden, das ich nicht abstreifen konnte. Selbst mein Atem wirkte manchmal fremdbestimmt – als gehörte er nicht mir. Ich ertappte mich dabei, wie ich phasenweise flacher atmete, als hielte ich unbewusst den Atem an, um nur ja nicht aufzufallen in der Stille, die um mich herum saß.
Hinter meinen Augen flackerten Erinnerungen, Bilder, Stimmen – manche vertraut, manche verzerrt. Ich verlor mich in Gedankenschleifen, die kein Ende kannten. Auch jetzt, da ich schreibe, merke ich, wie ich ich mich wiederhole. Immer und immer wieder. Emotionen kamen und gingen wie Gezeiten: Scham, Wut, Sehnsucht, Angst. Und über allem lag eine Müdigkeit, die tiefer ging als bloße Erschöpfung. Eine Müdigkeit der Seele, die schwerer wog als jede körperliche Erschlaffung.
Ruhiger wurde ich nur selten. Und wenn, dann nicht aus innerem Frieden, sondern aus Erschöpfung. Gedanken, die sich im Kreis drehten, lösten keine Antworten aus – nur weitere Fragen. Ich begann mich zu fragen, ob diese Ruhe wirklich heilte oder ob sie mich einfach nur entwaffnete. Mein Kopf arbeitete weiter, während mein Körper stillhielt. Ein Widerspruch, der mich zermürbte.
Einsamkeit bekam in der Isolation einen anderen Klang. Es war kein Gefühl mehr – es war ein Zustand, ein Begleiter, ein Raum, den ich bewohnte. Selbst meine eigene Stimme war mir fremd geworden. Ich sprach kaum, und wenn ich es tat, erschrak ich vor dem rauen Klang meiner Worte. Ich hatte das Gefühl, leiser zu werden – nicht nur äußerlich, sondern auch in meinem Innersten.
Ich fragte mich oft, ob das noch ich war, die da lag. Oder eine Hülle, gefüllt mit Erinnerungen, Gedanken und einer undefinierbaren Sehnsucht. Die Verbindung zu mir selbst schien schwächer zu werden – wie ein Funkkontakt, der langsam rauscht, knackt, verstummt. Und doch... ich war noch da. Irgendwo. Vielleicht tief drinnen. Vielleicht dort, wo man am wenigsten sucht.
Ein Teil von mir wollte fliehen, der andere bleiben. Und während mein Körper langsam begann, sich an die Enge zu gewöhnen, rebellierte mein Geist. Ich schwankte zwischen dem Wunsch nach Nähe und der Angst vor Berührung. Zwischen dem Bedürfnis nach Sinn – und dem Drang, einfach alles zu vergessen.
Nachts war es am schlimmsten. Dann schienen die Schatten länger, die Gedanken lauter, die Kälte greifbarer. Ich lag wach, starrte an die Decke oder beobachtete den Lichtschlitz unter der Tür. Zählte Atemzüge. Erinnerte mich an Stimmen. Und wartete. Worauf, wusste ich nicht. Aber irgendetwas in mir hoffte, dass hinter dieser Wartezeit ein „Warum“ verborgen lag, das ich noch nicht begriff.
🌅 Zum Schluss…
Hoffnung, das merkte ich in diesen Tagen besonders, ist kein lauter Ruf – sondern ein leises Flüstern im Dunkeln. Sie lässt sich nicht erzwingen, nicht beschwören. Sie kommt nicht mit Trommeln und Fanfaren, sondern manchmal nur in Form eines Sonnenstrahls auf kaltem Stein oder in einem Gedanken, der plötzlich Frieden bringt. Vielleicht ist sie gerade deshalb so kostbar: Weil sie uns in Stille findet, nicht im Lärm.
Öfter als gedacht sprach ich in diesen Tagen mit niemandem außer mir selbst – und doch waren es die aufrichtigsten Gespräche seit Langem. Die Wände meines Rückzugsraums hörten jedes geflüsterte „Warum“, jedes lautlose „Bitte“. Es war ein Zuhören ohne Antwort – aber genau das brauchte ich. Keine Ratschläge. Keine Belehrungen. Nur Raum für das, was in mir war.
Ruhe kann ein Geschenk sein, aber auch eine Prüfung. Ich lernte, dass es nicht die laute Welt ist, vor der ich mich fürchte – sondern die Stille in mir, wenn ich ihr zu lange lausche. Doch diese Erkenntnis war notwendig. Denn nur wenn ich meine eigenen Schatten aushalten kann, bin ich bereit, auch das Licht wieder zu erkennen.
Ein Gedanke kehrte immer wieder zu mir zurück: Vielleicht geht es im Leben nicht darum, jede Frage zu beantworten – sondern darum, mit Würde zu fragen. Nicht um Kontrolle zu behalten, sondern um inmitten der Unsicherheit menschlich zu bleiben. Und genau das wünsche ich auch euch: Dass ihr nicht aufhört zu fragen. Und nicht vergesst zu fühlen.
Etwas in mir sehnt sich nach Hause, nach den vertrauten Stimmen und dem tröstlichen Gefühl von Gemeinschaft, das wir miteinander teilen. Dennoch weiß ich zugleich, warum ich hier bin. Ich habe diesen Weg gewählt, weil er ein Teil von mir ist – der Teil, der heilen will, statt weiter Wunden zu leugnen. Diese Erkenntnis hilft mir, durchzuhalten, auch wenn die Einsamkeit an manchen Stunden schmerzt.
Nicht alle Wege führen zurück – manche führen weiter. Und manchmal bedeutet „weitergehen“ auch, erst einmal innezuhalten. Ich bin noch nicht zurück in Prigorodki. Doch ich bin noch da. Noch unterwegs. Noch auf meinem Weg. Und ich höre euch – auch in der Stille.
In diesem Sinne: Passt auf euch auf, seid aufmerksam und bleibt am Leben!
gez.
Herz-Aus-Gold/Cor Auri 💛
~~~ Freigegeben durch Erzbischof Nickelus ( Nickel), Archivleitung Enklave der Stille im Auftrag der Kirche von Morthana am 04.08.2025 um 14:12 Uhr.
Möge sie im Licht Morthanas Klarheit finden. ~~~