10. Juli – Unfallauto
Die Spannungen nehmen zu. Aus Prigorodki erreicht uns
die Nachricht, dass jemand begonnen hat, den „heiligen“ Manfred abzubauen. Wo
einst der imposante Turm stand, ragt nun nur noch ein karges Gerippe in den
Himmel und überblickt traurig das Bambi-Auffanglager. Tabasko und Charly nehmen
die Nachricht überraschend gelassen hin, doch ich kann mir nicht helfen und
muss mir schon wieder Sorgen machen. Wer steckt hinter dieser Aktion? Gerüchten
zufolge ist Christian, der Sniper, der uns vor einiger Zeit in Prigorodki unter
Beschuss genommen hat, zurück im Land. Ob er etwas damit zu tun hat? Ich hatte
gehofft, dass wir nach der Aussprache zwischen Charly und ihm endlich Ruhe
haben würden.
Der tatkräftige Custer meldet sich wieder, und auch wenn
es eine Weile dauert, bis wir seinen genauen Aufenthaltsort herausfinden (auf
der Karte finde ich leider „mitten in der Walachai“ nicht…), freue ich mich
über seine Gesellschaft. Er hat eine Kuh erlegt und bringt nun reichlich
Fleisch mit zum Bambi-Auffanglager in Prigorodki. Diese Erinnerung ruft alte
Geschichten wach, insbesondere jenen Vorfall, bei dem Charly und die anderen
dachten, Custer sei ein Feind. Zum Glück konnte ich damals vermitteln und
klären, dass er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Er hat wirklich ein
Talent dafür, in Schwierigkeiten zu geraten.
Im Gespräch erwähnt Charly, dass wir schon lange nichts
mehr von Johnny gehört haben. Bemerkenswert ist, dass sein Verschwinden genau
mit dem Tag zusammenfällt, an dem eine Gruppe versuchte, das Hochhaus in
Elektrozavodsk zu raiden, in dem sich Hendriks Basis befindet. Charly ist
überzeugt, dass Johnny und Benni in dieser Aktion verwickelt waren und Johnny
danach untergetaucht ist. Vielleicht wurde ihm die Sache zu heißt? Tabasko
triumphiert: „Ich hab ja von Anfang an gesagt, da stimmt etwas nicht…“ und
Wolfgang pflichtet ihm bei. Gut… ich gebe es zu, ich habe da vermutlich auch
mal wieder zu leicht vertraut. Wolfgang stimmt ihm zu, und ich muss zugeben,
dass ich vielleicht zu naiv war. Dennoch, niemand wurde verletzt, die Basis
blieb intakt und die Jungs hatten ihren Spaß. Was will man mehr? Trotzdem
beschäftigt mich der Gedanke an Johnny. Sollte in unserer Gemeinschaft jemals
wieder ein Johnny auftauchen gibt es namenstechnische Problem. Ich werde den
alten Johnny daher von nun an als „verräterischen Johnny“ bezeichnen müssen.
Bei all den Namen verliert man ja leicht den Überblick…
Ich durchstreife einen der Züge entlang der Küste und
finde zwischen Niznoye und Berezino nur ein paar Essensreste. Enttäuscht setze
ich meinen Weg fort, entlang der Küste und dann von Solnichniy in Richtung
Prigorodki. Nach einigen Kilometern am Waldrand entlang stocke ich.
Am Straßenrand steht tatsächlich ein schwarzer Gunter! Eindeutig ein
Unfallwagen, denn es fehlen alle vier Reifen und die Front hat sich tief in
eine Tanne gebohrt. Aber der Motor ist noch in Ordnung, auch wenn die Zündkerze
ruiniert ist und Kühler samt Batterie fehlen. „Hört sich nach Charly an!“,
scherzt Tabasko, aber dieser verneint. Schwarzer Gunter… schwarzer Gunter… in
mir arbeitet es. Die Balzbubis hatten doch einen schwarzen Gunter!
Möglicherweise hatten sie einen Unfall und ihn hier zurückgelassen? Das arme
Auto. Ich würde ihn gerne flott machen. Batterie und Co. Kein Problem, aber die
Reifen? Nur noch ein ruinierter ist vorne vorhanden. Ich beschließe nach
Kamyshovo zu laufen und dort zu suchen.
Eventuell habe ich ja Glück.
Unterwegs läuft mir noch ein Hühnchen über den Weg und
ich übe etwas das Schießen mit der Armbrust. Beim namenlosen Dorf gegenüber von
Skalisty Island sehe ich noch kurz nach der Bambi-Versorgungskiste, aber diese
ist nicht mehr an ihrem Platz. Skandalös! Aber ich entdecke sie schließlich in
einem der Häuser und bringen sie zurück an ihren zugedachten Platz. Weiter geht
es nach Kamyshovo. Dort durchsuche ich Autowrack um Autowrack, aber leider ohne
Erfolg. Erst in Elektrozavodsks kleinem Vorort finde ich endlich einen
Gunter-Reifen. Ein Kühler ist ebenfalls in der Nähe, also nichts wie zurück zum
Unfallauto.
Nach gefühlten Stunden erreiche ich endlich mein Ziel.
Somit hat der Gunter nun einen Kühler und einen intakten Reifen sowie einen
ruinierten. Gut, Letzterer ist besser als nichts, aber ich muss trotzdem
zusehen, dass ich noch mindestens zwei Reifen, eine Zündkerze und eine Batterie
finde. Also wieder zurück auf der Küstenstraße nach Elektrozavodsk. Meine
Wandertour wird von Charly, Custer, Tabasko und Ravini im Funkkanal untermalt,
die sich orientieren. Ravin überlegt umzuziehen, weiß aber noch nicht genau,
wohin. Tabasko bietet ihm an, einen LKW vor seiner Basis zu parken, als kleine
Starthilfe.
Mein Herz macht einen Freudensprung, als ich einen
Reifen auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt finde. Schnell ist er von dem
Autowrack abmontiert und nach etwas Umsortiererei, die ich liebevoll das
„Tetris-Minigame“ nenne, ist der Reifen auch schon in meinem riesengroßen
Bergsteigerrucksack verstaut.
Schwer bepackt geht die Reise weiter und nach langem
Suchen ist mir das Glück hold. Ich finde tatsächlich noch einen Reifen, den ich
aber erst abholen kann, nachdem ich den zweiten verstaut habe. Unterwegs finde
ich schließlich noch eine Zündkerze und eine Batterie. Ein wahres Wunder, denn
normalerweise findet man hier nichts, was man dringend sucht.
Zurück am Gunter fahre ich das treue Gefährt in Richtung
Solnichniy und beschließe, ihn erst einmal in einer Halle provisorisch
einzuschließen. Es ist schon spät und die Aktion hat mich sehr viel Zeit
gekostet, aber das Auto ist es auf alle Fälle wert.
Ravini und Custer wollen noch gemeinsam los zum Airfield
ziehen. Na viel Erfolg… ich hoffe, sie kommen heil wieder. Ich für meinen Teil
bin heute schon genug gewandert und lege mich erschöpft schlafen.