12. Juli – Unverbesserlich
Ein neuer Tag erwacht in Solnichniy und die drückende Stille des Morgens wird nur durch den ergiebigen Regen unterbrochen, der rhythmisch auf das Dach der Samariter-WG prasselt. Eigentlich würde ich mich nun liebend gern nochmals rumdrehen und in meinem provisorischen Nachtlager dem Klang weiter lauschen, aber meine Gedanken schweifen ab. Während das Wasser sich an den Fenstern einen Weg entlang sucht und seine Streifen zieht, denke ich über den armen Gunter in der Lagerhalle nach, der wohl bald eine neue Unterkunft braucht. Soll ich heute eine Garage für ihn bauen, oder ist es nicht vielleicht besser, ihn gleich nach Prigorodki zu bringen?
In der Ferne ist Wolfgang auf Tour im Norden, während Charly sich plötzlich meldet. Ich stelle mein Gerät auf Empfang und melde mich müde. Es geht ihm soweit gut und er ist ebenfalls mit Tabasko im Norden unterwegs. Das Gespräch fällt auf meine Pläne für den heutigen Tag, aber mir wird klar, dass ich keine Axt zur Verfügung habe. Tabasko zitiert einen seiner Lieblingssprüche: „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann!“ Frei nach diesem Motto beschließe ich also, mir zunächst ein Werkzeug zu suchen. Irgendwo in Solnichniy muss ja etwas zu finden sein und vielleicht könnte ich sogar die Wände der Samariter WG erweitern und so noch etwas mehr Schutz bieten. Während ich so vor mich hingrübele, erkundigt sich Charly nach dem Verbeibt des, - wie der ihn nennt – „1. FC Bayern Gunter“ aus dem Norden.
„Er ist blau-rot und stand wohl auf einer Brücke“, beginnt er. Auch Wolfgang hat keine weiteren Informationen. Dani, so berichtet Charly, hat den armen Gunter wohl vor ein paar Tagen gegen einen Pfeiler auf der Brücke gefahren und jemand hatte allem Anschein nach damit begonnen, ihn zu reparieren – die Reifen wurden getauscht, ein Kühler ersetzt, Wartungsmaterial ins Auto gepackt tja und dann... verschwand er spurlos. Charly erwähnt, dass er ganz in der Nähe am Vortag einen Überlebenden angeschossen oder vielleicht sogar getötet habe. Ob er das Auto genommen hat und es jetzt vermutlich irgendwo am Straßen- oder Waldrand steht? „Du hast ihn nicht getötet“, korrigiert ihn Tabasko grinsend, „Du hast ihn nur zur Küste geschickt…“ Oh weh… das erinnert mich doch sehr an unseren Euphemisten, Brah. Was der wohl jetzt gerade macht? Hoffentlich geht es ihm gut, aber er kann sicher auf sich aufpassen.
Während ich den Gesprächen lausche, durchstreife ich Solnichniy, um eine Axt zu finden und neue Kleidung für das Auffanglager zu besorgen. Meine MK-II ist zwar eine treue Begleiterin, aber meine typische rote Sanitäter-Kleidung wird stark strapaziert. Glücklicherweise finde ich in der Klinik eine neue rote Jacke, aber meine Hose hat definitiv bessere Tage gesehen. Aber als ich einen Schuppen in der Nähe genauer untersuche finde ich zumindest eine Axt. Nun kann es ja losgehen!
Kurz darauf beginne ich, Bäume zu fällen, um die WG weiter auszubauen. Das soll also die heutige Tagesaufgabe werden. Mein Ziel ist es, die Fenster zumindest etwas mehr zuzubauen. Ich komme gut voran, aber zwischendurch begebe ich mich zum Brunnen, um eine Pause einzulegen. Während ich meinen Durst stille, schleicht sich ein Infizierter heran und ich rette ich mich mit knapper Not vor ihm auf einen liegengebliebenen Truck. Der Zombie wird bald Opfer eines gezielten Kopfschusses. Mein Glück scheint kein Ende zu nehmen, als ich bei dem Gunterwrack am Brunnen einen Reifen finde und ihn mühsam zu meinem neuen Gefährt trage. Nun habe ich sogar einen Ersatzreifen!
Die Bauarbeiten an der WG in Solnichniy gehen weiter, als sich plötzlich Ravini meldet. Ich freue mich darüber, ihn zu hören aber Charly führt etwas im Schilde. „Sag mal Ravini…du musst uns was erklären!“, fordert er sofort. Der Farmer gibt ein unschuldiges „oh, oh“ von sich, doch er hat keine Ahnung, worauf Charly hinauswill. „Wie hast du den LKW auf das Dach oben bekommen von dem Haus?“, präzisiert sein Gegenüber die Frage und Tabasko pflichtet ihm grinsend bei: „Das möchte ich auch gern wissen!“ Ich habe ebenfalls keine Ahnung, wovon sie da reden, aber Ravini kontert gelassen, bevor er realisiert, dass er nicht versteht, worüber sie reden.: „Ich hab das hochgetragen und dann da oben abgestellt.“ Es folgt eine kurze Pause der Irritation. „Nee, jetzt ne blöde Frage, ich weiß nicht worüber ihr redet“, gibt Ravini offen zu.Tabasko setzt wieder an: „Na von dem LKW auf dem Dach!“ Der Farmer denkt kurz laut nach und erklärt dann, dass er den LKW hinter dem Haus auf einer Anhöhe geparkt habe. „Damit gibt sich Tabasko zufrieden, aber nun möchte er wissen, ob es Absicht war, dass seine Tore alle offen sind. „Ich hab nur ein Tor gehabt.“ Erwidert er und scheint zu ahnen, dass die Jungs sich mal wieder einen Scherz auf seine Kosten erlauben. „Ja… du hattest mal ein Tor gehabt.“ Kontert Tabasko. „Und das ist jetzt weg oder nur offen?“, fährt Ravini nun hörbar verunsichert dazwischen. Mit engelsgleicher und verständlisvoll-säuselnder Stimme versucht Tabasko ihn zu beruhigen: „Ja, steht alles noch da.“ In diesem Moment kann man ganz ganz leise eine Atombombe explodieren hören. Bestimmt. Ravini klingt hörbar wütend: „Geht das schon wieder los, der Scheiß?!“ Er besteht darauf, dass der LKW hinter dem Hügel steht, er kein Auto auf dem Dach geparkt habe (wie soll das überhaupt möglich sein?!) und dass er gestern noch ein Zelt aufgebaut und alle Tore verschlossen habe. Allerdings beschwert er sich im gleichen Atemzug darüber, dass er ohnehin nicht viel groß machen konnte, da er ständig von Wölfen oder Zombies belagert worden sei. Oh Mann, der Arme. Man hört ihm förmlich an, wie sehr er sein altes Zuhause bereits jetzt vermisst. So ganz scheint das doch nicht die Heimat seiner Wahl zu sein. „Jetzt weiß ich, warum ihr noch jemanden gesucht habt für ne Wohngemeinschaft. Da kommst nicht raus und so hast du wenigstens jemanden zum Quatschen!“, flucht Ravini. Charly lacht. Er realtiviert den Einwand: „Du musst das so sehen, das Essen kommt zu dir!“ Aber über diesen Witz kann Ravini nicht lachen, denn er hört Schüsse. Augenblicklich wird es ruhig im Funkkanal. „Tabasko…“, beginne ich vorsichtig und mir kommt ein furchtbarer Verdacht, „schießt du?“ Ganz locker, wie von ihm gewohnt antwortet er: „Ja.“ Ravini ist auf 180. „Ja, Dankeschön! Dir Pappnase feg ich auch noch mal einen!“, schimpft er. Dann wird es wieder ruhig. „Schießt du jetzt grad, Ravini?“, will Tabasko nach einer Pause wissen. „Ja.“, antwortet dieser kühl. „Siehste, er hat gerade dasselbe bei mir gemacht!“, verteidigt sich Tabasko. Wie die Kinder… Ich seufze. Charly berichtet, dass das wohl schon seit gestern so geht.
Ravini und Tabasko hatten den LKW ursprünglich gemeinsam für eine Mission genutzt. Sie hatten den LKW vor Ravinis Hütte geparkt und vollgepackt. Eigentlich war der Plan, damit zum Bunker zu fahren, nur musste Ravini dann kurz weg. Tabasko nutzte die Gelegenheit, fuhr allein zum Bunker, lud alles aus und parkte den nun leeren LKW wieder an der Stelle, an der er ihn mit Ravini abgestellt hatte. Kaum war Ravini zurück, fragte Tabasko nach: „Ravini, hast du den LKW irgendwie leer gemacht?“ „Nein, warum…?“ Man kann sich vorstellen, wie wenig amüsiert Ravini über diesen Scherz gewesen ist… Ich habe so das Gefühl, dass diese WG im Norden nicht so lange halten wird. Ob es bei der Samariter-WG anders sein wird?
Während die Jungs noch etwas über die letzten Ereignisse sinnieren, setze ich mein Bauvorhaben fort. Stolz blicke ich auf die vier Fenster, die ich im Verlauf des Tages nun mit einer massiven Holzwand zugebaut habe. Sie wird zwar keinen Ambitionierten „Raider“ aufhalten, aber zumindest etwas Sichtschutz bieten.
Plötzlich meldet sich nochmals Tabasko mit einer wichtigen Meldung: „Charly, hast du hier die Minen in einen der Hangars gelegt? Ich wäre fast draufgegangen!“, schimpft er. Charly verneint und Tabasko entschärft die Mine mit einem gezielten Schuss. Die Jungs haben bei ihrer Bunker-Basis also definitiv Besuch bekommen, der „Geschenke“ verteilt. Ich erinnere mich daran, als im Bambi-Auffanglager um Prigorodki oder auch jüngst hier in Solnichniy Sprengsätze und Stolperdrahtfallen angebracht worden waren. Ob da die gleichen Personen dahinter stecken oder war das Zufall? Ich schüttele mich, aber versuche wieder positiv zu denken.
Der Tag neigt sich dem Ende zu, als ich meinen schwarzen Gunter mit etwas Benzin auftanke und ein Fass aus dem Auto in die WG schleppe. Dann fahre ich das Auto nach Berezino, wo ich noch einige Türen und eine Motorhaube finde. Nur die Fahrertür fehlt noch, aber das kann warten. Mit einem Schweißbrenner beseitige ich ein paar Rostflecken am Auto, und bald strahlt es fast wie neu. Schwarz, aber mit einer blauen Heckklappe. Vorsichtig fahre ich es in eine der leeren Garagen in Berezino, die uns vielleicht eines schönen Tages als Fahrschulgaragen dienen könnten. Die Fahrschule-Bambini ist noch immer eine Idee, die mir im Kopf herumspukt. Ich lasse das Auto stehen und prüfe das hiesige Auffanglager. Alles sieht soweit in Ordnung aus und der Drive-In existiert ebenfalls noch. Außerdem finde ich eine blaue Fahrertür für den Gunter hinter einem Haus. Auch diese ist schnell montiert.
Müde lege ich mich im Camp in Berezino zur Ruhe. Was wird der morgige Tag wohl bringen und werden die Jungs sich zusammenreißen oder ist ihr WG-Projekt schon vorüber, bevor es überhaupt angefangen hat? Ich schüttle meinen Kopf und lächele. Diese drei… sie sind einfach unverbesserlich, aber ich mag jeden einzelnen von ihnen dafür.