Missing in Action (Tagebuch)

  • Dies sind die Eintragungen von Herz-aus-Gold im Rahmen der Community-Story zum Event (RP/PVP) "Operation Herzblut".



    Hinweis:


    Dieses Forumsthema behandelt dem Umgang mit Krankheit, Depressionen, Suizid und verwendet verbale Kraftausdrücke. Wenn du auf derartige Themen sensibel reagierst, lies diesen Eintrag vielleicht lieber mit einer vertrauen Person, mit der du das Lesen auch unterbrechen kannst, um dich über das Gelesene auszutauschen oder lies einfach nicht weiter.



    Tagebuch – Missing in Action („Operation Herzblut”)


    Tag 2 (Teil 1)

    "Somethings bad things take the place where good things go."



    Die wahre Natur der Isolation offenbart sich erst in der Einsamkeit einer Zelle. Mein Geist ringt verzweifelt nach Ablenkung, egal ob real oder eingebildet. Ich vermute, es ist der zweite Tag meiner Gefangenschaft, doch mit Sicherheit weiß ich das nicht. Ich beschließe ihn einfach „Tag 2“ zu nennen, um irgendeinen Ankerpunkt im Wirrwarr der Zeit zu haben. In meiner Tasche finde ich einige zerknitterte Papierfetzen, die eigentlich zum Feuermachen gedacht waren. Jetzt dienen sie mir als Notizbuch. Mit zittrigen Händen kritzele ich in winzig kleiner Schrift Worte darauf, in der Hoffnung, mir so den Verstand bewahren zu können.


    Meine Zelle ist düster, nur spärliches Tageslicht dringt durch Lücken in den Bretterwänden. Ich kann die Tageszeit nicht mehr bestimmen, mein Sinn für den Rhythmus des Tages verblasst. Mein Kopf spielt verrückt, lässt mich Schritte im Treppenhaus oder das Öffnen und Schließen von Türen hören, obwohl vermutlich niemand da ist. Ich starre immer wieder auf die weiße Tür vor meinem Gitter und hoffe, dass irgendwas passiert, was mir sagt, was hier los ist. Wie ich hierhergekommen bin und wo ich überhaupt bin? Keine Ahnung.


    Jedes Mal, wenn ich versuche mich zu erinnern, explodiert mein Kopf vor Schmerz. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich in Tishina von einer bewaffneten Gruppe überfallen wurde. Ein Kerl mit einer Wolfsmaske ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben. Sein gutturales Gelächter und sein gruseliges Heulen verfolgen mich noch immer in meinen Träumen. Ich war unfähig, mich zu bewegen und dann kam seine Axt auf mich zu. Alles wurde schwarz. Ich dachte, das war’s jetzt und dass ich unser Community-Dorf oder mein geliebtes Prigorodki nie wiedersehen würde. Doch ein Funken Hoffnung bleibt, denn ich lebe noch, spüre meinen Atem, meinen Puls. Aber kann man dieses Dasein wirklich als Leben bezeichnen?


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  • Tag 2 (Teil 2)

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    "Feels like it's rained in my head for a hundred days."


    Als ich aufwachte, es muss schätzungsweise gestern Nachmittag gewesen sein, fand ich mich in einem komischen Verschlag aus mehreren Bretterwänden wieder. Es dauerte etwas, bis sich meine Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten, denn die Fenster waren fachmännisch mit Brettern und Tarnnetzen verbarrikadiert worden. Ein schweres vierstelliges Zahlenschloss versperrte das Tor aus einem Holzgitter zur Freiheit. Dahinter eine verschlossene Wohnungstür, die mich hämisch angrinste. Mitten im Torrahmen war ein gelbes Fass platziert worden und dient wohl als eine Art Durchreiche. In der Ecke erblickte ich eine kleine Holzkiste. Meine Entführer hatten an alles gedacht.


    Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, vergingen, während ich mit schmerzenden Fingern an den festgezurrten Fesseln zerrte. Jeder erfolglose Versuch, mich zu befreien, zehrte an meinen Kräften und ließ die Hoffnung rapide schwinden. Doch mit einem letzten Aufbäumen der Verzweiflung und einem tiefen, keuchenden Atemzug gelang es mir endlich, das Seil zu lockern. Die Fesseln gaben nach, und ich spürte, wie das Blut langsam zurück in meine tauben Handgelenke strömte. Mit zittrigen Händen streifte ich die letzten Reste der Seile ab und ließ sie zu Boden fallen – ein kleiner, aber bedeutsamer Sieg in der beklemmenden Dunkelheit meiner Gefangenschaft. Die Seile waren hinterher nicht mehr zu gebrauchen. Auch hier hatten die Entführer genau gewusst, was sie taten.


    Anschließend fand ich Wasserflaschen und Dosenfutter samt einem Dosenöffner im gelben Fass. Natürlich war darin kein Messer. War ja klar... Amateure waren dort nicht am Werk. Auch wenn es auf den ersten Blick merkwürdig erschien, beruhigt mich diese Tatsache. Der Gedanke, dass die Entführer genau wussten, was sie taten, erleichterte mich auf paradoxe Art und Weise. Tja und dann ging das Rätselraten los. Und es dauert noch immer an.


    Was soll ich hier? Warum ich? War es vielleicht eine unglückliche Verwechslung oder ein Erpressungsversuch an den Samaritern von Chernarus? Da hätten sie sich ein besseres Opfer aussuchen sollen. Ich bin wohl kaum den Aufwand wert und die Samariter verhandeln nicht mit Entführern. Nicht, seit dem einen Vorfall in der Klinik damals, vor vielen Jahren. Seitdem ist jeder bereit, jederzeit das Risiko zu tragen, verletzt, gefangen oder getötet zu werden. Aber nun bin ich selbst in dieser Situation… Ja, dumm gelaufen. Auf ein Befreiungskommando kann ich wohl eher nicht zählen.


    Was mich besonders beunruhigt sind all die Blutentnahme-Sets, die sich auch im Fass befanden. Die Gruselgeschichten von Klans oder Fraktionen, die sich Menschen als „Blutschweine“ halten, kommen mir in den Sinn... ist das von jetzt an meine Rolle? Da ich keine Informationen erhalte, muss ich mir notgedrungen selbst meine Gedanken machen.



  • Tag 2 (Teil 3)

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    "And I say I hate you when I don't"


    Am Abend nach meiner „Ankunft“ habe ich kurz einen meiner Entführer gesehen. Wie viele es sind, kann ich nicht sagen und die Tatsache, dass er keine Maske oder sowas trug, ist nicht gerade vorteilhaft für mich, oder? Ich erinnere mich an unser Sicherheitsschulung und unsere Trainings für den Ernstfall. Die Chance zu überleben, sinkt rapide, wenn die Entführer keine Masken tragen... Ziemlich blöd, was?


    Nun ja, ich kann eh nicht viel ändern, also muss ich wohl oder übel damit klarkommen. Den Typen, der gestern zu mir kam, nenne ich "Chuck", denn mein Kopf fühlt sich an, als hätte Chuck Norris persönlich mir einen seiner Roundhouse-Kicks verpasst. Außerdem erinnern sein Cowboy-Hut und seine Brille in Kombination mit dem Bart sehr an diesen ikonischen Schauspieler.


    Verdammt tut mir der Kopf weh! Die paar Stofffetzen, die sie mir gelassen haben, habe ich mir um den Kopf gebunden. Quasi als provisorischen Verband. Ich bin halt immer auch ein Sanitäter. Ich vermute, ich habe durch einen oder mehrere Schläge auf den Kopf eine Gehirnerschütterung abbekommen und meine Gedanken wabern im geistigen Nebel. Meinen improvisierten Rucksack, die Gürteltasche und alles scharfen und spitzen Gegenstände haben sie mir natürlich abgenommen.


    So sitze ich nun hier. Ich muss echt verzweifelt aussehen, zusammengesunken in meinem neuen Unterschlupf und extrem mitgenommen. Ab und zu kommt etwas Licht rein, aber es wird schon wieder dunkler. Letzte Nacht haben sie mir ein Knicklicht dagelassen. Anfangs gab es auch Flutlicht von einer Baustellenlampe, aber entweder ist der Generator wegen Spritmangels ausgefallen, oder sie haben sich entschieden, mir diese Folter zu ersparen, weil ich bereit bin, die Blutbeutel nach und nach mit meinem Blut zu füllen; ein groteskes Zugeständnis an meine Peiniger.


    Ich harre aus, so gut es geht. Heute früh gab es Dosenschinken und gebackene Bohnen, die ich gierig verschlungen habe. Noch mache ich mir keine Sorgen, dass das Essen verdorben oder das Wasser kontaminiert sein könnte. Wenn sie mich als Blutschwein halten wollen, müssen sie für meine Gesundheit sorgen. „Chuck“ hat mir sogar vergangene Nacht ein kleines Wärmekissen und eine blaue Sherpa-Mütze gegeben, zusammen mit einem Shemagh, den ich mir als Schal umgebunden habe. Irgendwie hat mich das bewegt – ein kleiner Akt der Menschlichkeit in dieser verdammten Situation. Es ist verrückt, wie viel diese kleinen Gesten ausmachen können. Ein Wärmekissen, das mir etwas Schutz gibt gegen die Kälte, die hier nachts wie ein Schatten über mich zieht. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal auf so etwas angewiesen sein würde. Ein Teil von mir ist unendlich dankbar für diesen kleinen Akt der Menschlichkeit – ein Zeichen, dass sie sich trotz allem ihre Menschlichkeit bewahrt haben und mir diese auch nicht absprechen. Tja und andererseits fühle ich mich dabei gleichzeitig so erniedrigt, dass es mich fast zerreißt. Es macht mich innerlich wütend, dass ich mich auf solche Kleinigkeiten stützen muss, nur kann und darf ich diese Wut nicht rauslassen. Diese Abhängigkeit von meinen Entführern schmeckt bitter und ich fühle mich erbärmlich, weil ich eine zum Überleben diese passive-dankbare Rolle einnehmen muss.

  • Tag 2 (Teil 4)

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    "Only you could save me from my lack of self-control"



    Mal ehrlich...ich bin hier gefangen, in einem Raum, der einem Käfig gleicht und ich bin auf diese kleinen Gesten angewiesen. Wie auch auf den Wecker, den sie mir gegeben haben. Wozu eigentlich einen Wecker? Das ist ein enormes Zugeständnis. Für mich ist Gold wert! Immerhin kann ich so zumindest etwas die Zeit verfolgen, sofern ich im Dunkel etwas erkennen kann. Trotzdem nagt es an meinem Stolz, dass ich jetzt jemandem dankbar sein muss, der mich eigentlich gefangen hält.


    Um mich abzulenken, versuche ich, mich körperlich zu betätigen. Die Isolation zehrt an mir, die Unsicherheit nagt an meinem Verstand. Die einzigen Geräusche von draußen sind das gelegentliche Donnern von Artillerie oder Giftgas-Einschlägen. Anfangs hatte ich Panik, einer von ihnen könnte mein Gefängnis treffen und mich elendig am Giftgas zugrunde gehen lassen. Allerdings bin ich wohl an einem "sicheren" Ort, vielleicht in einem der Hochhäuser von Chernogorsk?


    Ich mache das Beste aus der Situation und hoffe, bald rauszufinden, was hier eigentlich gespielt wird.


    An Flucht ist jedenfalls momentan nicht zu denken. Ich wüsste auch gar nicht, wohin. Außerdem habe ich von unserem Training noch mitbekommen, dass man sich am besten kooperativ verhält. Nicht unterwürfig kriecherisch, wohl gemerkt. Dazu gibt es nämlich keinen Grund und ich habe meine Würde. Aber ja, ich zeige mich kooperativ und spende mein Blut. Ich klammere mich jetzt daran, dass sie mich nicht einfach töten oder quälen wollen. Nur... diese Isolation macht mir schon sehr zu schaffen und vor allem die ständige Unsicherheit.


    Um nicht ganz den Verstand zu verlieren, habe ich damit begonnen, ein paar rostige Nägel aus der Wand zu ziehen. Mit ihnen und anderen Gegenständen, wie Blutentnahmesets und Bandagen die Nachricht "HELP" geformt. Quasi als stummer Protest.


    So vergeht der Tag 2 und es wird schon wieder dunkel. Ich hole mir das letzte Wärmekissen aus dem Fass und ziehe mir die Mütze vorsichtig ins Gesicht, zumindest sofern es mein schmerzender Kopf zulässt. Nachts ist es hier entsetzlich kalt. Ich kauere mich zusammen in meine Ecke und versuche mich in einen ruhelosen Schlaf zu wiegen, während ich über mein Schicksal nachdenke.


    Wer sind diese Typen und was wollen sie von mir? Warum bin ich hier und gibt es einen Ausweg?

  • Tag 3 - Prolog


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    "What am I supposed to do? I wanna break out, but I'm frozen."



    Meine Nachricht liegt unangetastet im Fass. Weder das Essen noch das Trinken wurden nachgefüllt. Beklemmende Panik steigt in mir auf. Was, wenn sie mich nun einfach zurücklassen? Was, wenn nie wieder jemand kommen wird? Ich zwinge mich, die aufkommende Angst hinunterzuschlucken und konzentriere mich darauf, tief und ruhig zu atmen. Es hilft nur bedingt, doch langsam beruhigt sich mein pochendes Herz. Beim siebten Atemzug finde ich endlich etwas Ruhe. Nüchtern betrachtet war niemand da, während ich schlief. Das muss nichts heißen. Aber der Durst und mein trockener Hals quält mich bereits. Glücklicherweise hatte ich die Voraussicht, mir eine Flasche Wasser zurückzulegen. Wenigstens eine kleine Möglichkeit, noch selbst etwas zu bestimmen und das gibt mir eine ordentliche Portion Selbstwert zurück, auch wenn mir wieder bewusst wird, wie abhängig ich von dem Wohlwollen meiner Entführer bin. Ich nehme nur einen kleinen Schluck und teile es mir ein.


    Wie spät es wohl ist?


    Ich starre auf den Wecker, den ich auf den Tisch gestellt habe, kann aber kaum die Uhrzeit ablesen, da es noch relativ dunkel ist. Der verhasste Wecker! Einerseits bin ich dankbar für die Möglichkeit, meinen Tag einteilen zu können und ich weiß, wie wichtig das in meiner aktuellen Situation ist, um meinen Verstand vor dem Zerfall zu retten. Andererseits ist er auch wieder ein sichtbares – und durch sein leises unterschwelliges Ticken auch akustisch wahrnehmbares Zeichen der Abhängigkeit. Für den Moment muss ich es hinnehmen, ebenso wie die Tatsache, dass ich keine Möglichkeit habe mich zu waschen oder etwas am Zustand meiner Kleidung zu ändern. Sie sieht genauso ramponiert aus, wie ich mich fühle. Meine Handwickel sind nach dem Ausbruchsversuch komplett ruiniert. Ich darf mich nicht so gehen lassen, denn wenn ich mich nicht um mich kümmere, wer dann?


    Der Wecker zeigt 5 Uhr morgens an, als die ersten Artilleriegeschosse in einiger Entfernung donnern und wieder gibt es kurz darauf einen Giftgasangriff in der Nachbarschaft. Vielleicht ist es selbst für meine Bewacher noch zu früh?


    Da meine Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind, wende ich mich einer Bretterwand zu, die ein Fenster verdeckt. Mit sanftem, aber beharrlichem Druck gelingt es mir, einen Nagel zu lockern und durch die kleine Lücke einen Blick nach draußen zu erhaschen. Ich muss tatsächlich in einem Hochhaus sein. Chernogorsk? Nein, das typische Echo der Geschosse wird jäh von Wolfsgeheul durchbrochen. Ich zucke zusammen, aber fasse mich schnell wieder. Nein, es ist nicht der Wolfsmann. Es ist ein Wolfsrudel. Ich muss also weiter nördlich sein. Das ständige Artilleriefeuer war eigentlich schon ein deutlicher Hinweis gewesen, aber ich habe es die ganze Zeit nicht zu deuten verstanden. Die Wölfe umkreisen laut knurrend und jaulend die Basis, doch innerhalb dieser Wände bin ich sicher. Noch so eine paradoxe Sache.


    Ich denke mit Wehmut an meine Freunde. Ja, die Samariter verhandeln nicht mit Entführern, aber wir sind mehr als Samariter und auch wenn ich gestern einfach nur funktioniert und daher den Blick auf das Wesentliche verloren habe, wird mir nun klar, dass sie bestimmt alle Hebel in Bewegung setzen werden, um mich zu finden. Vorausgesetzt, sie wissen von meinem Verschwinden. Wie lange ist es jetzt schon her? Ist es wirklich der dritte Tag? Werde ich schon vermisst? Ich möchte fest daran glauben, dass sie bereits versuchen, Spuren zu finden. Aber ob sie mich hier finden werden?


    Ich versuche, mich nochmals hinzulegen und etwas Kraft zu sammeln. Der Wind heult bedrohlich um das Gebäude, und ich ziehe mich enger in meine Ecke zurück, umhüllt von der Kälte meines Verlieses.

  • Tag 3 - Wahnvorstellungen


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    "I'm searching inside for what's real"


    Das Flüstern der Wände beginnt morgens. Oder ist es schon Abend? Die Zeit hat aufgehört hier irgendeinen Sinn zu ergeben. Das schwache Licht, das durch die Spalten der Bretter streicht, bringt Schatten mit sich, die sich bewegen und flüstern. Sie reden mit mir, erzählen Geschichten von Freiheit, von Wäldern, die ich nie gesehen habe, und von Meeren, die wie flüssiges Blei unter einem grauen Himmel bedrohlich schimmern.


    Ich sitze auf dem kalten Holzboden meines Kerkers und starre auf das Gittertor, das mich von der Außenwelt trennt. Die Wand gegenüber scheint näher zu rücken, als wollte sie mich umarmen, - oder erdrücken. Plötzlich zittert der Boden unter mir, oder zittere nur ich? Ein kalter Luftzug weht durch die Ritzen und mit ihm kommen Stimmen; Schattenmenschen. Sie tanzen an den Wänden, ihre verzerrten Silhouetten wie dunkle Flecken auf meiner Netzhaut eingebrannt.


    Die Wasserflaschen neben dem gelben Fass beginnen zu kichern. Ihre Stimmen sind rau wie das Pfeifen des Windes durch die Äste toter Bäume. Sie säuseln von Gift, das in meinem Blut kocht, von Krankheit, die sich durch meine Adern windet. Das Dosenfutter lacht hämisch dazu. Ich schließe meine Augen, presse die Lider fest zusammen, aber die Bilder sind da, hinter meinen Augen, eingebrannt in der Dunkelheit.


    Ich höre das Knarren der Tür, das Quietschen der Angeln. Ist sie wirklich geöffnet worden? Ich wage es, meine Augen zu öffnen, und da steht er: der Mann mit der Wolfskopfmaske. Nur dieses Mal ist sein Grinsen breiter, seine Zähne länger. „Lauf“, zischt er. Ich erhebe mich, meine Glieder schwer wie Blei, mein Herz ein wilder Trommelschlag in meiner Brust. Ich laufe auf das Tor zu, aber es ist nicht mehr da. Stattdessen öffnet sich eine endlose Ebene vor mir, der Boden bedeckt mit grauer Asche.


    Die Schattenmenschen sind hier. Sie rufen mich beim Namen, ihre Stimmen ein melodisches Murmeln, das süß und schrecklich zugleich ist. Ich laufe weiter, der Wind peitscht gegen mein Gesicht, trägt Worte mit sich, die ich nur teilweise verstehen kann.


    Plötzlich stolpere ich und falle. Der Boden unter mir ist weich wie Moos, kalt und feucht. Als ich meine Hände ansehe, sind sie rot. Blut? Nein, es ist nur das Knicklicht, das neben mir liegt, sein schwaches, rotes Leuchten ein trügerischer Freund in der allumfassenden Dunkelheit. Ich greife danach, halte es fest wie einen Rettungsanker. Es ist warm in meiner Hand und für einen Moment ist es alles, was real ist.


    Der Mann mit der Maske steht wieder vor mir, seine Hand ausgestreckt. „Komm“, sagt er. Aber seine Stimme ist nicht seine. Sie ist weich und sanft, eine Stimme aus meiner Vergangenheit. Ich zögere, dann greife ich nach seiner Hand.


    Die Schatten lachen, ein Geräusch wie fallendes Glas. Ich erwache, mein eigener Atem laut in der Stille des Raumes. Ich bin zurück in meiner Zelle, allein mit dem gelben Fass und den schweigenden Wasserflaschen. War es nur ein Traum? Ein Fiebertraum, geboren aus Isolation und Angst?


    Ich greife nach dem Papier, das mehr denn je mein einziger Vertrauter ist, und beginne zu schreiben. Die Schatten an den Wänden verstummen, jetzt, wo ich meine Worte zu Papier bringe. Aber ich weiß, sie warten nur – warten darauf, dass das Licht wieder schwindet, damit sie zurückkehren können.

  • Tag 3 - Rettung?

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    "What am I supposed to do? Gotta free myself from you."



    Als ich mich aufrichte, fasse ich einen Entschluss. Trotz der tiefsitzenden Müdigkeit in meinen Knochen spüre ich die Notwendigkeit, etwas zu tun. Ich kann nicht einfach abwarten, schweigend vor mich hin hoffen und warten, bis der Wahnsinn mich vollends packt. Ich darf nicht resignieren!

    Ich fasse einen Plan. Zuerst muss ich herausfinden, wer meine Entführer sind und was sie von mir wollen. Tja und dann muss ich natürlich von hier fliehen, irgendwie.


    Ich nähere mich dem gelben Fass, das mittlerweile zu einem Fixpunkt in meiner kleinen Welt geworden ist. Darin finde ich nun eine Trinkflasche und eine Dose Schinken. Das Fass erscheint mir trotz der Mahlzeit immer weniger als Quelle für Nahrung und mehr als Symbol meiner Gefangenschaft. Meine stille Botschaft des Protests ist übrigens verschwunden, mein Entschluss jedoch nicht.


    Ich nutze alles, was ich habe, um die Tür meines Verlieses genauer zu untersuchen. Das Zahlenschloss scheint ohne den richtigen Code unüberwindbar. Ich verbringe Stunden damit, die Mechanismen zu studieren, probiere einen Code nach dem anderen aus, immer in der Hoffnung, den richtigen zu finden. Leider ohne Erfolg.


    Ich höre im Gang eilige Schritte und Tore, die sich öffnen und schließen und halte sofort inne. Die weiße Zimmertür bleibt jedoch verschlossen. Ich atme auf, als ich einen Automotor höre, der aufheult. Offenbar entfernt sich ein Fahrzeug. Dem Geräusch nach zu urteilen könnte es eine Olga oder ein Sarka sein, aber von hier drin aus ist das schwer zu sagen. Dann ist es einige Zeit lang wieder ruhig. Gerade möchte ich mich damit abfinden, dass ich wieder allein bin, da höre ich erneut Schritte und das Geräusch eines sich öffnenden Zahlenschlosses.


    Schnell ziehe ich mich in eine Ecke zurück und lausche. Die Schritte klingen anders als die meiner bisherigen Entführer, also riskiere ich es und mache auf mich aufmerksam. „Hallo? Ist da jemand?“ Ich rufe und tatsächlich, eine Person betritt den Raum. Sie sieht mich in meiner misslichen Lage, gibt nur kurz etwas schwer Verständliches von sich und macht sogar Anstalten, das Tor zu öffnen. Ich kann es kaum fassen! Mein Herz ist leicht und schwer zugleich. Offenbar werde ich herausgelassen, aber warum sagt die Person nichts weiter? Was ist das für ein durchtriebenes Spiel? Egal, denn die Person entlässt mich in die Freiheit. Naja… nicht ganz, denn ich komme lediglich ins Treppenhaus. Doch auch dort schließt meine Begleitung das Tor auf und schließlich hasten wir den Weg durchs Treppenhaus nach unten. Mir brennen tausende von Fragen auf der Zunge, aber ich bin so im Moment und meinem bisherigen Schweigen gefangen, dass ich vor Aufregung kein Wort herausbekomme.

    Vor der Eingangstür befindet sich ein weiteres, großes Tor. Und genau da gibt es Schwierigkeiten. Jemand bedient von der anderen Seite das Zahlenschloss. Meine Begleitung scheint ebenso verdutzt zu sein, wie ich. Sie starrt auf das Tor und macht sich bereit. Ich flüchte in eine Ecke, als sie sich auf den Eintretenden stürzt. In dem darauffolgenden Chaos sehe ich meine Chance. Das grelle Licht blendet mich, aber ich stürme blind nach draußen und erkenne die Umrisse von weiteren Zäunen. Was aussieht, wie eine Sackgasse, muss eine Schleuse sein und ich flehe innerlich, dass das Schloss offen ist. Die Chance sind normalerweise miserabel, aber ich kann mein Glück kaum fassen, als ich gegen das Tor drücke und es sich öffnen lässt.


    Ich trete auf die Straße und renne um mein Leben, während sich die beiden prügeln. Mir wird ganz schwindelig, aber ich bin frei. Ich habe keine Zeit, mich im Ort genau umzusehen. Nur ein Gedanke beherrscht meinen Verstand: Flucht.

  • Tag 3 - Flucht

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    "I've been here so long that it hurts just to feel."


    Aus einiger Entfernung beobachte ich, wie die beiden ihren Kampf beenden und anfangen, mich zu suchen. War mein Retter also tatsächlich ein Teil der Gruppe und ist das alles nur ein boshaftes Schauspiel um mit meinen Gefühlen zu spielen? Weiß die rechte Hand doch nicht, was die linke tut? Egal, das kann warten. Wenn ich hierbleibe, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie mich finden. Ich schaue mich um. Ein Dritter belädt das Auto. Es ist eine schwarze Olga. Als sie in eine andere Richtung laufen, nutze ich die Chance und riskiere alles. Ich schleiche mich seitlich ans Auto, immer geduckt. Mist, einer der drei hat mich gesehen! Es ist mein vermeintlicher Befreier, der Alarm schlägt. Doch noch ehe er reagieren kann, hieve ich mich auf den Beifahrersitz und rutsche von dort auf den Fahrersitz. Ich starte den Motor und bin überrascht, dass Zündkerze und Batterie offenbar im Auto gelassen wurden, denn der Motor jault auf. "Haha, nehmt das!“, denke ich triumphierend und gebe Gas.


    Die Fahrt wird jedoch schnell unkontrollierbar und zum zunehmenden Risiko. Meine Blutarmut hilft nicht gerade und die Tatsache, dass diese ungewöhnlichen Naturphänomene hier das Autofahren zum Todesritt werden lassen, bringen mich schließlich dazu das Auto hinter einen Häuserblock zu manövrieren. Gerade bevor mir schwarz vor den Augen wird, kann ich die Olga in einem Hinterhof parken und mich in einem Gebüsch verstecken. Dann passiert etwas Unglaubliches: In meinem Schockzustand kann ich das Gesehene nicht richtig einordnen. Mein Kopf hämmert, mein Herz pocht. Auf dem Rücksitz der Olga saß die ganze Zeit jemand und ich habe es die ganze Zeit nicht bemerkt. Ich erstarre vor Schreck, erkenne dann aber Stimme und vor allem die Brille. Es ist Hikaru! Wie kommt sie hierher und hat sie mich überhaupt erkannt? Mein schmerzender Kopf und mein vernebelter Verstand können das Gesehene nicht einordnen. Ist sie real oder eine Einbildung? Sind es meine Wünsche, die sie mir an meine Seite malen oder ist sie wirklich hier? Ich meine sogar ihre Stimme zu hören. Am liebsten würde ich sie bei der Hand packen und mit ihr abhauen. Nur, wenn sie real ist… Ich kann deutlich Waffen bei ihr erkennen. Mein Verstand rattert. Sie hat Waffen. Das bedeutet, sie ist keine Gefangene. Vielleicht ein Teil der Gruppe? Ein Stich durchfährt meine Brust. Ich schnappe nach Luft, starre sie an und renne dann ohne Umschweife weg. Meine Verfolger holen auf. Verdammt! Sie jagen mich und ich renne um mein Leben, weiche aus wie ein gejagter Hase. Ein ziemlich lahmer Hase. Wie ich das trotz meiner Blutarmut schaffe, ist mir ein Rätsel, aber mein Körper muss noch ungeahnte Reserven gehabt haben.


    Zum Glück sind meine Verfolger mit ihren schweren Plattenwesten im Nachteil, und ich kann in eine leerstehende Bar fliehen. Dort verstecke ich mich hinter dem Tresen und traue mich kaum zu atmen. Wie lange liege ich hier? Ein paar Mal sehe ich Schatten an meinem Fenster vorbeihuschen und mein Herz rast bei jedem Blick, aber nichts passiert. Ich bleibe unentdeckt.

  • Tag 3 - Täuschung

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    "Your words were your power over me."


    Plötzlich höre ich Schüsse und versuche das alles zu verarbeiten, aber es gelingt mir nicht. Hikaru… War sie wirklich hier oder werde ich verrückt? Es ergibt alles keinen Sinn. Sie würde mich nie verraten! Das kann einfach nicht sein.


    Dann höre ich plötzlich Motorengeräusche und Schritte. Eine Stimme donnert durch die Stadt: „Wenn du dich ergibst, lass ich Hikaru frei!“ Zwei erneute Stiche in meiner Brust. Sie kennen Hikarus Namen. Und sie sind bereit, ihr etwas anzutun. Aber das bedeutet auch, Hikaru ist nicht mit ihnen im Bunde, sondern ebenfalls ein Opfer. Und das wiederum sagt mir, dass diese Typen unsere Gruppe kennen wir, bzw. ich von Anfang an das Ziel dieser ganzen Aktion waren! Mein Herz sinkt. Diese Kerle wussten ganz genau, wen sie sich als Opfer ausgesucht hatten. Es war kein Zufall und ich bin ihnen wie ein ahnungsloses Bambi in die Falle getappt. Verdammt! Ich wäge meine Optionen ab, aber es hilft nichts. In einem Akt der Verzweiflung verstecke ich meine beschrifteten Zettel noch schnell in der Bar in der Hoffnung, dass sie später jemand findet. Anschließend trete ich auf die Straße und stelle mich mit erhobenen Händen. Ich weiß, es ist das Dümmste, was ich machen könnte. Ich weiß, wir Samariter verhandeln nicht mit Entführern. Ich weiß, ich werde es bereuen. Aber ich kann nicht anders. Innerlich gebe ich auf.


    Dann geht alles ganz schnell und ich nehme es nur wie durch einen Schleier wahr. Ich sehe, wie ein schwarzes Auto vorfährt. Mein vermeintlicher Retter tritt mit einer Waffe auf mich zu und weist mich an, mich auf die Straße zu knien. Ich befolge den Befehl wie in Trance. Brutal dreht er mir die Hände auf den Rücken und fesselt sie mit einem Strick. Ich fühle kaum etwas; bin leer und ausgebrannt. Resigniert. Mal wieder; wie so oft. Langsam aber deutlich werde ich von Chuck angewiesen, ins Auto zu steigen. Es geht wohl zurück zur Basis. Hikaru sehe ich nirgends. War das alles nur ein Trick? Mein vermeintlicher Retter zerrt mich aus dem Auto und eskortiert mich durch das Treppenhaus nach oben. Stufe für Stufe nähere ich mich wieder meinem Gefängnis. Das Tor schließt sich hinter mir. Ich bin wieder allein, befreie mich von meinen Fesseln, aber bevor ich noch etwas anderes unternehmen kann, treten meine Entführer wieder ins Zimmer – mein vermeintlicher Retter und Chuck. Sie machen mir mit einer entsprechenden Geste unmissverständlich klar, dass ich nicht fliehen soll.


    Außerdem scheinen sie sich über ihr grandioses Psychospiel und meine Gutgläubigkeit und Naivität zu amüsieren. Das Schlimmste: sie haben absolut recht damit. Ich bin wirklich zu naiv und berechenbar. Das war schon immer so und das hat man mir auch immer wieder gesagt. Nun bekomme ich die Rechnung in Form der hämisch lachenden Fratze von Chuck und seinem Gefolgsmann präsentiert. Für den Bruchteil einer Sekunde würde ich mich gerne in Selbstmitleid suhlen und mir einreden, dass ich selbst schuld an meiner Lage bin. Aber dann besinne ich mich eines Besseren. Ich bin nicht der Entführer; ich bin hier das Opfer. Ich habe nichts Verwerfliches getan, das waren die auf der anderen Seite des Gitters. Daran muss ich festhalten. Und noch etwas geht mir auf: So sehr es schmerzt, jetzt bin ich mir sicher - Hikaru ist in Sicherheit. Sie war nie hier. Mein Verstand hat mir einen Streich gespielt und die beiden haben meine Fürsorge und Freundschaft perfide ausgenutzt, um mich wieder einzufangen. Sie wollten wohl ein Spiel spielen und hatten nicht damit gerechnet, dass ich tatsächlich entkommen würde. Nun, dann macht euch von jetzt an mal auf etwas gefasst!

    Als sie sich genug über mich amüsiert haben, lassen sie mich allein mit meinen Gedanken.


    Als es dunkler wird, lege ich mich erschöpft nieder. Ich bin immer noch hier, immer noch gefangen. Aber Hikaru ist in Sicherheit. Ich werde weiterkämpfen; für sie. Ein neuer Funken an Hoffnung entfacht eine kleine Flamme: Meine Notizen! Vielleicht findet ja jemand meine Nachricht im verlassenen Rasthaus. Morgen ist ein neuer Tag, und mit jedem neuen Tag kommt eine neue Chance zur Flucht. Sicher, sie wird nicht einfacher werden, aber sie ist möglich. Das habe ich heute gesehen.


    Erschöpft lege ich mich schlafen. Ich bin nicht mehr nur eine Gefangene; ich bin eine Gefangene mit Hoffnung.

  • Tag 4 - Instinkt und Chaos (1)


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    "You thought you would always control mе

    You clipped my wings, my dreams in two

    I guess that you don't еven know me

    'Cause I'll never be like you"


    Der Tag beginnt mit bedrückender Stille. Kein Laut dringt durch die Wände, kein Lebenszeichen aus dem Haus. Das Fass bleibt leer. Wahrscheinlich soll das meine Strafe für den Ausbruchsversuch gestern sein. Aber letztendlich ist das für sie vermutlich ohnehin nur ein Spiel.


    Die Stunden schleichen dahin, und irgendwann halte ich die Stille nicht mehr aus. Ich rufe. Einmal. Zweimal. Immer lauter. Doch nichts geschieht. Niemand antwortet. Entweder ist tatsächlich niemand da, oder sie wollen mir zeigen, wie ohnmächtig ich bin. Ihre Macht demonstrieren. Als ob ich daran zweifeln würde…


    Am Nachmittag höre ich Schritte. Die Bewacherin tritt ins Zimmer, und sofort fällt mir ihre Ähnlichkeit mit Trinity aus Matrix auf. Warum erinnern mich all diese Menschen an Figuren aus alten Filmen? Vielleicht, weil ich mich selbst wie in einem schlecht produzierten Actionstreifen fühle.


    „Hier“, sagt sie knapp und reicht mir eine Dose durch das Gitter. Dankbar nehme ich die Dose mit zittrigen Händen durch das Gitter entgegen und verschlinge ich die Pfirsiche darin gierig. Ich achte nicht darauf, ob sie kalt oder alt sind. Es ist nicht viel, aber es füllt das nagende Loch in meinem Magen. Während ich kaue, lasse ich meinen Blick nicht von ihr. Ihre Haltung, ihr Blick, ihre.. nennen wir sie subversive Aura – alles an ihr schreit Widerwillen. Als Chuck in den Raum tritt, wird ihr Unmut noch deutlicher und die Luft scheint wie geladen.


    Chuck, der Anführer, das Alpha-Tier. Er wirkt heute angespannter, ungeduldiger als sonst. Trinity scheint das nicht zu gefallen. Ich sehe es an ihrem Blick, an der Art, wie sie seine Befehle nur widerwillig ausführt. Schließlich eskaliert die Situation. Ein falsches Wort, ein funkelnder Blick und plötzlich fliegen die Fäuste.


    Es ist ein wilder, chaotischer Kampf. Chuck schlägt zu, doch seine Bewegungen sind ungenau, seine Kraft scheint nachzulassen. Gestern hat er sich draußen mit meinem vermeintlichen Befreier geprügelt und dieser Kampf hat vermutlich Spuren hinterlassen. Trinity weicht seinen Schlägen geschickt aus, bevor sie selbst einen Treffer landet. Schließlich wird er unglücklich am Kopf getroffen und bricht zusammen, direkt vor meinem Gittertor.


    Stille. Trinity keucht, blickt von Chuck zu mir, dann wieder zu ihm. Niemand rechnete mit diesem Ausgang, am wenigsten sie selbst. Und obwohl er da vor mir liegt, bewusstlos, der Mann, der mich gefangen hält, schaltet mein Verstand in den Überlebensmodus.


    „Steh da nicht so rum! Hilf mir!“ Die Worte schießen aus meinem Mund, bevor ich sie stoppen kann und noch ehe ich verstehe, was eigentlich gerade passiert ist. Sie starrt mich an und zögert, während ich mich über Chuck beuge, seinen Puls prüfe und mit der Reanimation beginne. Es ist absurd. Lächerlich. Warum tue ich das? Warum lasse ich ihn nicht einfach sterben?


    Trinity sagt nichts, steht nur überfordert da, wie jemand, der plötzlich in ein Spiel gezogen wurde, dessen Regeln er nicht versteht. Zum Glück dauert es nicht lange, bis Chuck hustend zu Bewusstsein kommt. Sein Blick fällt auf mich, dann auf Trinity. Wenn Blicke töten könnten, hätte sie diesen Moment wohl nicht überlebt.


    Ohne ein Wort richtet er sich mühsam auf und wendet sich seiner Komplizin zu. Mit einer schnellen Bewegung verpasst er ihr einen brutalen Schlag in den Magen. Sie taumelt zurück, schnappt nach Luft. Dann, ohne ein weiteres Wort, humpelt er hinaus, und sie folgt ihm, gekrümmt und still.


    Ich bleibe zurück. Allein. Mein Blick wandert von der offenen Tür zu der Stelle, an der Chuck gelegen hat. Was zum Henker passiert hier? Alles, was ich über meine Entführer geglaubt habe, scheint plötzlich falsch. Wie hat mich der erste Eindruck, berechnende und kühle Profis vor mir zu haben, so täuschen können? Oder ist das am Ende auch wieder nur eine von meinen Fantasien, entstanden aus der Isolation heraus? War es eines ihrer Spiele oder eine Art Tests? Ich habe wirklich das Gefühl, immer mehr den Verstand zu verlieren. Entweder werde ich verrückt, oder sie sind es bereits schon. Vielleicht ist auch beides der Fall.

  • Tag 4 - Instinkt und Chaos (2)

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    "But my soul is not for sale."


    Es kommt noch schlimmer. Kaum eine halbe Stunde vergeht, da taucht Trinity wieder auf. Sie öffnet mein Gittertor und flüstert mir zu, dass sie mich befreien will. Ihre Stimme ist ruhig, fast vertraulich, doch ich traue ihr nicht. Nicht nach dem gestrigen Tag. Trotzdem habe ich keine andere Wahl, denn die Chance auf Freiheit, so dünn sie auch scheinen mag, lässt mich ihr folgen. Ich bin jedoch fest entschlossen: Die erste Gelegenheit zur Flucht werde ich nutzen.


    Kaum draußen, das Tor steht offen, renne ich los. Ein Sprint ins Ungewisse. Drei Häuserblocks schaffe ich, bevor mir die Luft ausgeht. Meine Lungen brennen, meine Beine versagen. Und dann höre ich es – das metallische Klicken einer Waffe. Trinity hat mich eingeholt. Hämisch lachend fesselt sie mich erneut mit einem Seil, ihre Augen funkeln vor Triumph. Sie hat die Jagd regelrecht genossen, als wäre ich ein Spielzeug, mit dem sie zu ihrem Vergnügen spielen kann. Sie führt mich zurück, durch das Treppenhaus, und ich stolpere hinter ihr her. Immer wieder brüllt sie, ich solle schneller laufen, obwohl ich kaum mehr stehen kann. Es scheint, als bereite es ihr Vergnügen, die eigenen Unzulänglichkeiten in der Gruppe mit Machtausübungen mir gegenüber zu kompensieren. Ha… das habe ich gut analysiert. Aber es nutzt mir nichts und es ändert auch nichts daran, dass ich mich unweigerlich wieder auf mein Gefängnis zubewege. Sie geht in ihrer Rolle wirklich voll auf. Ich versuche sie in ein Gespräch zu verwickeln, aber sie blockt ab.


    Oben angekommen stößt sie mich grob in die Zelle. „Knien!“ fordert sie, ihre Waffe unmissverständlich auf mich gerichtet. Ohne Widerrede folge ich ihrem Befehl. Was bleibt mir anderes übrig? So verharre ich, bis sich die Tür einige Zeit später wieder öffnet.


    Chuck betritt den Raum. Dieses Mal ist er nicht allein – mein vermeintlicher Retter vom Vortag ist bei ihm. Doch es ist nicht meinetwegen, dass Chucks Gesichtszüge vor Zorn brodeln. Trinity ist sein Ziel. Ohne zu zögern, fesselt er sie mit Handschellen. Die zweite Person hält sie mit der Waffe in Schach. Chucks Worte sind kalt, durchdrungen von einem grotesken Hauch von Überlegenheit. „Du musst bestraft werden“, erklärt er in einem Tonfall, der mich an meinen absoluten Hasslehrer erinnert. Ich bekomme Gänsehaut. Schließlich stößt seine Begleitung Trinity in meine Zelle.


    Nun knien wir beide nebeneinander und warten auf das, was nun kommen mag. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was als nächstes passiert und versuche es auch gar nicht erst. Was für einen Sinn soll diese Aktion nun wieder haben? Das widerspricht so ziemlich allem, was der vernünftige Menschenverstand fassen kann. Irgendwann komme ich zu dem Entschluss, dass ich die Situation einfach hinnehmen muss. Ich habe einfach keine Kraft mehr und schaue lediglich starr auf den Boden. Chuck predigt über seine „Güte“ und dass sie ihre Strafe absitzen müsse, während Trinity stumm bleibt. Schließlich verlässt er den Raum, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Alles ist so surreal. Was sind das hier für Zustände? Ich kann dem Ganzen nicht mehr folgen.


    Die Stille ist schwer, fast greifbar. Ich sehe Trinity an. Etwas in ihrer Haltung wirkt zerbrechlich, trotz ihrer sonst so harten Fassade. Langsam beginne ich, meine Fesseln zu lösen. Es dauert etwas, doch schließlich gibt auch dieses Seil nach. Ich stehe vor meiner unerwarteten Zellengenossin und überlege. Da kommt mir eine Idee. Mit einem rostigen Nagel öffne ich ihre Handschellen. Aber anstatt Dankbarkeit zu zeigen, beginnt sie sofort, die Zelle zu durchsuchen. Meine kleine Kiste mit meinen „Ankern“ fällt ihr ins Auge, und sie greift danach. Wut flammt in mir auf. Meine Mütze, das Wärmekissen – sie will alles an sich reißen. Ohne nachzudenken stürze ich mich auf sie. Es ist ein Kampf, roh und verzweifelt. In der Hitze des Moments fällt eine kleine Pistole aus ihrer Jacke auf den Boden – eine MK-II. Blitzschnell greife ich danach. Laden. Entsichern. Alles geschieht instinktiv. Wo kommt diese Waffe her? Hat Chuck sie übersehen? Egal. Ich richte die Waffe auf mein Gegenüber. Trinity erstarrt in der Bewegung und blick mich kalt an. In diesem Augenblick sind die Rollen vertauscht. Sie ist mir ausgeliefert. Mein Finger zuckt am Abzug. Ein einziger Schuss – so einfach wäre es. Doch stattdessen reiße ich die Waffe nach oben und entleere das Magazin in die Luft. Die leeren Patronenhülsen klirren zu Boden, während ich keuchend dastehe. „Nein… ich bin nicht wie du“, flüstere ich, lasse die Waffe fallen und spüre, wie mir die Tränen kommen. Selbst unter solchen Umständen bin ich einfach unfähig, jemanden zu töten.


    Trinity sagt nichts. Ihre Augen suchen meine, doch ich kann ihren Blick nicht deuten. Was ist das alles hier? Warum reagiert niemand auf die Schüsse? Es fühlt sich an, als hätte Chuck das alles inszeniert – ein Test, ein hinterhältiges Spiel. Wollte er, dass ich Trinity für ihn beseitige? Doch wenn das sein Plan war, hat er mich unterschätzt.


    Nach einer Weile, in der wir schweigend nebeneinander sitzen, löst sich die Spannung zwischen uns. Es ist fast so, als hätten wir beide erkannt, dass wir in diesem Chaos nicht mehr Feinde sein können. Wir werden Zweckverbündete.


    „Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist gelb…“, versuche ich die Situation mit einem Spiel aufzulockern. „Die Tonne“, gibt sie kurz angebunden zurück. Offenbar geht mein Plan nicht ganz auf. Trotzdem fordere ich sie auf, weiterzumachen. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, beginnt sie und macht eine theatralische Pause, „und das ist ein Wille zum Leben.“ Das hat gesessen… ich schweige. Mache ich wirklich so einen komplett verlorenen Eindruck? Vermutlich. Und genau in diesem Moment beginne ich mich zu fragen, wo wirklich der Sinn in all dem hier liegt. Aber statt das lang und breit auszudiskutieren, ziehe ich mich in meine Ecke zurück und wir belassen es dabei.


    Einige Zeit später kehrt Chuck zurück. Er befreit Trinity aus der Zelle, doch nicht ohne Bedingungen. Sie müsse ihm 1000 Nägel in 10 Boxen bringen, erklärt er kühl, und eine Entschuldigung aussprechen. Wortlos verlässt sie den Raum und folgt ihren Kameraden.


    Nun bin ich wieder allein. Die seltsamen Wendungen des Tages hallen in meinem Kopf wider. Trotz allem spüre ich eine seltsame Verbindung zu Trinity. Vielleicht hätten wir unter anderen Umständen sogar sowas wie Freunde sein können. Doch was bringt morgen? Eine Frage, auf die ich keine Antwort habe – außer, dass die Spiele noch nicht vorbei sind.

  • Tag 5 - Hoffnung

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    "I wanna change the world, I wanna save the world

    But I can't even save myself"



    Die Morgendämmerung bringt ein unerwartetes Geschenk: Im Fass finde ich zwei gekochte Rindersteaks, mehrere Wasserflaschen, Getränkedosen und sogar ein paar dieser köstlichen Schokoriegel. Ein Moment der Erleichterung – keine Bestrafung für die Ereignisse von gestern, zumindest nicht heute.


    Das Fass dient nun auch als Wasserbehälter, was mir eine seltene Gelegenheit gibt, ein wenig mehr auf meine Hygiene zu achten. Vorsichtig wasche ich meine Hände und das Gesicht. Die Haut an meinen Handgelenken ist rau und wund gerieben von den Fesseln, die ich die letzten Tage immer wieder erdulden musste. Der Kontakt mit Wasser brennt auf meiner Haut, doch der kurze Schmerz ist es wert. Die Erfrischung lässt mich für einen Moment die Last der Gefangenschaft vergessen. Meine Kleidung hingegen bleibt in ihrem trostlosen Zustand – schmutzig, zerrissen, - eben ein Spiegelbild meines eigenen Zustands. Aber das kann ich nicht ändern.


    Eine rätselhafte Nachricht erwartet mich ebenfalls im Fass: Eine Reihe von Patronenhülsen formt die Buchstaben „P S C H“. Ist das Hohn? Soll es ein Laut sein, den man zu jemandem macht, der den Mund halten soll? Was wollen die Typen eigentlich? Was soll eine Botschaft, die ich nicht entschlüsseln kann? Patronen ohne Waffe sind genauso nutzlos wie meine Versuche, die Gedanken meiner Entführer zu durchschauen. Als Antwort lege ich mit denselben Hülsen „WHY?“ und lasse die Frage im Raum stehen, während ich mich anderen Gedanken widme.


    Trotz der unerwarteten Mahlzeit bleibt das Fass heute leer von Blutbeuteln, und keiner meiner Entführer zeigt sich. Die Stille drückt schwer auf meine Gedanken, und ich frage mich, ob diese Abwesenheit eine weitere Taktik ist, um meinen Geist zu brechen. Kurz spielt mein Verstand mit der Idee, dass das Fleisch ein Dankeschön von Chuck sein könnte – ein Lohn dafür, dass ich ihm gestern das Leben gerettet habe. Doch solche Hoffnungen sind gefährlich. Sie führen nur in Sackgassen, also schiebe ich den Gedanken schnell beiseite.


    Während ich das Fleisch langsam genieße, wandert mein Blick durch die Zelle. Ich inspiziere jeden Winkel erneut, suche nach Hinweisen, nach einem Ausweg, doch alles bleibt unverändert. Die Stunden schleichen vorüber, und ich falle immer wieder in einen unruhigen Schlaf. Die Isolation frisst sich in meine Gedanken, jede Sekunde verstärkt das Gefühl von Einsamkeit. Dennoch versuche ich, mich an den kleinen Dingen des Tages festzuhalten, beispielsweise an der reichhaltigen Mahlzeit und an der Möglichkeit, mich zu waschen. Aber selbst das ist ein Kraftakt. Mein geschundener Körper meldet sich immer lauter zu Wort: Verspannte Muskeln, schmerzende Gelenke und eine lähmende Müdigkeit, die mich jede Bewegung doppelt kosten lässt. Der ständige Bewegungsmangel in dieser engen Zelle macht alles schlimmer. Obwohl das Essen heute nahrhaft war, spüre ich die Nachwirkungen der Blutspenden. Mein Körper ist ausgemergelt, schwach, als würde er immer wieder an seine Grenzen gestoßen.


    Doch schlimmer ist der psychische Druck. Die Dunkelheit der Zelle scheint eins zu werden mit der Dunkelheit meiner Gedanken. Nächte ohne erholsamen Schlaf, gezeichnet von Angst und Unsicherheit, zerren an meinem Verstand. Immer öfter überkommt mich ein unkontrollierbares Zittern, das selbst das Schreiben zur Qual macht. Es fühlt sich an, als würde die ständige Anspannung mein Innerstes zerfressen.


    Trotzdem gibt es etwas, das mich aufrecht hält: der unbändige Wille zu überleben. Jeder schmerzvolle Atemzug, jeder zittrige Schritt erinnert mich daran, dass ich noch hier bin, dass ich nicht aufgegeben habe.


    Am Ende sammle ich die restlichen Patronenhülsen und ordne sie zu einem weiteren Wort an: „HOPE“. Ein erneuter, kleiner Akt des Widerstands, ein Funken in der Dunkelheit. Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Wahrscheinlichkeit meiner Befreiung geringer, doch ich klammere mich an jeden Funken Hoffnung. Es ist mehr als ein Wort; es ist ein Versprechen an mich selbst. Ich werde nicht aufgeben.


  • Tag 6 - Abgrund

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    "My faith, my family, my freedom

    That's what's backin' me

    Gives me a reason for living

    I gotta fight for what I believe in, believe it"


    Heute ist es fast vorbei. Ich glaube wirklich, dass dies mein letzter Tag sein könnte. Am Morgen erwartet mich im Fass eine Nachricht. Es ist einziges Wort, das mit Patronenhülsen gelegt worden ist: „BLUT“. Daneben liegt ein Jagdmesser, still, kalt, wie eine stumme Einladung. Kein Essen, kein Trinken, keine Blutentnahme-Sets. Nur dieses eine Messer und die vier verhängnisvollen Buchstaben. Mir wir gleichzeitig heiß und kalt, als ich begreife, was sie damit bezwecken wollen. Ich habe nach dem Warum gefragt und nun habe ich meine Antwort. Das Messer lockt mich, es scheint mir eine Lösung anzubieten. Die einfachste Möglichkeit, all dem hier ein Ende zu setzen. Ein Schnitt, ein bisschen Schmerz, und dann keine Qualen mehr.


    Ist meine Mission hier damit beendet? Soll mir das Messer und das fehlende Essen das sagen? Bin ich nur eine Blutquelle gewesen, die nun keine Bedeutung mehr hat? Ihnen ist es egal, was ich mit mir anstelle. Und was war mit den kleinen Zeichen der Menschlichkeit? Dem Wecker, dem Wärmekissen? Es ergibt alles keinen Sinn. Wie konnte ich auch nur für einen Moment annehmen, dass man mich wie einen Menschen behandeln würde.


    Die Mauer, die ich mühsam um meinen Willen aufgebaut habe, zerbricht in diesem einen Moment. Ich versuche nach Kräften, die Steine wieder aufzuheben und sie übereinander zu stapeln, aber es gelingt mir nicht. Das Schlimmste daran ist jedoch, dass ich den inneren Schutzwall in Wahrheit gar nicht mehr aufrechterhalten möchte. Wozu? Alles fühlt sich so leer an. Der Gedanke daran, meine Gefangenschaft und meine Qualen hier hinter mir zu lassen, wird auf einmal so verlockend. Ich greife mit zitternder Hand nach dem Messer und ich versuche ruhig zu atmen. Komisch, innerlich bin ich ganz ruhig, aber meine Muskeln gehorchen meinem Willen nicht mehr und zittern ununterbrochen. Ich setze das Messer an meiner Haut an, und in diesem Moment scheint es, als würde all der Schmerz, all die Verzweiflung in einem klaren Punkt zusammenlaufen.


    Ich schließe meine Augen, um innerlich Abschied zu nehmen. Ich denke an Hikaru, wo mag sie jetzt wohl sein? Ich sende einen letzten Wunsch in meinen Gedanken auf die Reise und hoffe, dass sie wohl auf ist und vor einem Schicksal wie dem meinigen verschont bleibt. Ob es Blue vor seinem unheilvollen Schuss durch meine Erziehungs-Vaiga damals auch so ging? Ja, ich bereue es noch immer, aber ich bin froh, dass er mir verziehen hat. Ich denke an Jammet, der immer einen seiner Wortwitze parat hat, um die Stimmung aufzuhellen und mein ganz eigener kleiner moralischer Kompass geworden ist. Wie sehr könnte ich das nun gebrauchen, aber ich weiß auch so, was er mir sagen wollen würde. Ich verdränge den schmerzenden Gedanken und besinne mich auf unseren Grauen. Er würde sicherlich Dinge sagen wie: „Kein Mitleid. Selbst Schuld“ oder so. Dabei meint er es oft auch gar nicht so, davon bin ich überzeugt. Aber ja, ich höre seine Worte beinahe in meinen Ohren. Schließlich denke ich an unseren Opi, der mich lehrte, dass selbst die ältesten und tiefsten Narben ein Zeichen für das Überleben sind und es immer weiter geht. Für einen Moment halte ich inne und sehe alle ihre Gesichter vor mir. Dann erscheint Black Lion vor meinem inneren Auge. Ich sehe, wie er mich anlachte, als wir das letzte Mal gemeinsam am Lagerfeuer saßen und nicht ahnten, was uns bevorstehen würde. Es war mein Geburtstag und die anderen hatten eine Überraschungsparty für mich in Prigorodki organisiert. Ich fühle noch immer, wie er mich in seine starken Arme schließt und mir alles Gute wünscht. Die Erinnerung schmerzt und ich starre erneut auf das Messer in meiner Hand. Es hat sich von meiner Haut wegbewegt. Diese Menschen, diese Freunde, sind der Grund, warum ich noch hier bin. Sie sind es, warum ich weitermachen muss. Sie geben mich bestimmt nicht auf, also darf ich es auch nicht tun!


    Ja, die Verzweiflung übermannt mich heute. Ich fühle mich leer, ohne Hoffnung. Aber als ich dasitze, das Messer in der Hand, wird mir eines klar: Ich kann das nicht tun. Nicht für mich, und nicht für die, die noch auf mich warten. Für Hikaru, Black Lion, Jammet, Blue, s-tlk Opi und all die anderen, die für mich gekämpft haben und weiter für mich kämpfen. Ich schulde ihnen das. Und ich schulde es mir selbst.


    Einem plötzlichen Impuls folgend werfe ich das Messer gegen die Holzwand und schüttle mich. Einsam hallt das Geräusch des auf den Boden fallenden Werkzeugs durch den Raum. Ich werde weitermachen, komme was wolle! Es gibt keine Situation, die so ausweglos ist, dass man die Hoffnung selbst aufgeben sollte, auch wenn sie versuchen sie mir zu nehmen. Auch wenn der Schmerz manchmal alles übermannt – ich werde weitermachen. Für sie, für mich. Für das Leben, das vielleicht doch irgendwo hinter diesem Albtraum auf mich wartet.


    In das Fass forme ich die Worte „AS IF!“ und gebe so einen weiteren Protest von mir.



    Ein neuer Plan beginnt sich in meinem Kopf zu formen. Das Messer könnte mir vielleicht helfen, hier rauszukommen. Zuerst versuche ich, das Schloss zu knacken, doch es gelingt mir nicht. Ich setze die Klinge an das Gitter, doch das Holz ist zu hart, das Messer gleitet ab und hinterlässt kaum Spur. Auch die Bretterwände bieten keinen Schwachpunkt, gegen den ich eine Chance hätte. Aus Erfahrung weiß ich, dass es mehr als hundert Axtschläge braucht, bis so eine Wand nachgibt. Frustriert schlage ich mit dem Messer gegen die Wand, aber es bringt nichts. Schließlich stecke ich es weg. Vielleicht könnte es noch nützlich sein. Es ist noch nicht vorbei und der eigentliche Kampf beginnt erst.

  • Tag 7 - Erniedrigt



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    "Tossed and torn, but I won't be ignored

    There's so much more to me."



    Mein Körper hat viel Schlaf gebraucht, denn ich erwache erst kurz vor 12 Uhr mittags. Im Fass wurde eine neue Nachricht hinterlassen: „DO IT!“ Ich muss schlucken. Wäre ich labil genug, würde ich das wieder als Aufforderung verstehen, meiner Misere selbst ein Ende zu setzen. Aber mein Wille zu überleben ist stärker denn je und im Fass entdecke ich auch eines dieser Blut-Entnahme-Sets sowie eine Schmerztablette.


    Ich weiß, was von mir erwartet wird, also handle ich. Die Entnahme schwächt mich merklich und ich lege mich erschöpft in die Ecke meiner Zelle. Kein Essen, nur Wasser. Aber immerhin. Mit den Patronen lege ich etwas später noch die Nachricht „DID IT“ in das Fass und lege das Bluttransfusions-Kit daneben. Meine Botschaft ist klar.


    Ich nehme mir eines meiner verbliebenen Wärmekissen und kauere mich in der Ecke meiner Zelle zusammen. Die Wärme tröstet, zumindest ein wenig.


    Als ich aufwache knurrt mein Magen laut. Ich will einfach weiterschlafen, die Realität für einen Moment ausblenden, doch da höre ich Geräusche. Schritte. Emsige Aktivitäten über oder neben mir, dazu das unverkennbare Klicken von Zahlenschlössern. Sie bauen etwas, vermutlich weitere Tore.


    Als mein Magen sich zunehmend bemerkbar macht, gehe ich erwartungsvoll zum Fass. Mich trifft fast der Schlag. Lediglich das Wort „DEAD“ ist dort zu lesen und daneben stehen eine Spaghetti Dose und zwei weitere Blutentnahme-Sets. Einerseits scheint die Nachricht wie eine Drohung, aber zumindest ist etwas zu Essen im Fass. Da fällt mir auf, dass ich gar keinen Dosenöffner mehr habe, denn der lag im Fass und nun ist er weg.


    Ist dies wieder eines dieser perfiden Spiele? Aber zum Glück habe ich noch das Messer. Ich schaffe es irgendwie, die Dose zu öffnen, schneide mich dabei aber fast. Vorsichtig esse ich den Inhalt, langsam, fast rituell, um mir einzureden, dass es reichen wird.


    Anschließend zapfe ich erneut Blut ab. Der Akt ist mechanisch geworden, ein Ritual, das jede Emotion erstickt. Die Schwäche überkommt mich wieder, aber bevor ich mich hinlege, hinterlasse ich eine Nachricht: „ND FD“. Mehr Patronen für „Need Food“ habe ich nicht.


    Als ich erwache, erwarte ich die gleiche karge Botschaft wie zuvor. Doch diesmal nicht. Im Fass liegen mehrere Dosen Katzenfutter, eine Dose eingelegte Pfirsiche und ein Wärmekissen. Der Anblick trifft mich. Ein bizarrer Mix aus Sarkasmus und Fürsorge.


    Diesmal liegt keine neue Nachricht bei. Also schreibe ich selbst ein einfaches „THX“ mit den verbleibenden Patronen und beginne, die Dosen eine nach der anderen zu öffnen. Katzenfutter. Der Geschmack ist ekelhaft, aber ich esse. Ich muss essen. Die Pfirsiche hebe ich mir für den Schluss auf, wie eine Belohnung für das Durchhalten.


    Danach lege ich mich zurück, den Kopf voll wirrer Gedanken. Sind das wirklich nur Spiele? Ich spüre, wie der Hunger nach mehr als nur Nahrung mich auffrisst. Doch die Erschöpfung gewinnt. Die Zelle verschwimmt vor meinen Augen, bis ich wieder in den Schlaf sinke.


  • Tag unbekannt - Transition

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    "Already pulling me in

    Already under my skin

    And I know exactly how this ends, I

    Let you cut me open just to watch me bleed

    Gave up who I am for who you wanted me to be"



    Mein Zeitgefühl ist längst verschwunden. Wie viele Tage oder Wochen meiner Gefangenschaft bereits vergangen sind, weiß ich nicht. Weder kenne ich meinen Aufenthaltsort, noch habe ich ein Gespür für die Zeit, die in dieser Zelle vergeht. Wenn es der Plan meiner Entführer war, mich in Ungewissheit zu zermürben, dann haben sie Erfolg. Doch ich werde ihnen nicht den Gefallen tun, mich brechen zu lassen.


    Kälte, Hunger und Durst sind meine ständigen Begleiter, ebenso die bedrückende Stille. Kommunikation gibt es nur über kurze, notdürftige Nachrichten, die sie in das gelbe Fass legen. Worte, die kaum mehr sind als ein Echo in der Stille, die mich umgibt. Echte Gespräche? Fehlanzeige. Sie reden nicht mit mir, sie befehlen.


    Gestern Nacht - oder was ich dafür halte - wurde die drückende Stille jäh durch das Aufspringen der Tür zerrissen. Chuck kam herein, eine MKII in der Hand. Er richtete die Waffe auf mich und wies mich barsch an, mich mit dem Rücken an das Gitter zu stellen. Ich wusste, was nun folgen würde, denn ich sah das kalte Aufblitzen der Handschellen in seinen Händen, funkelnd wie sein Blick. Widerstand war zwecklos, also gehorchte ich.


    Die Handschellen schlossen sich kalt und erbarmungslos mit einem metallischen Klicken um meine Handgelenke. Der Schmerz und die Enge machten jede Bewegung unmöglich. Ein Schalter schien sich in meinem Kopf umzulegen: Ruhe bewahren. Stärke zeigen. Doch diese Leitsätze verblassten angesichts der absoluten Hilflosigkeit, die mich überkam. Panik stieg in mir auf, ich kämpfte sie nieder, doch mein Körper schien gegen mich zu rebellieren.


    Nachdem Chuck mich gefesselt hatte, öffnete er das Tor und trat in meine Zelle. In der Hand trug er einen alten, kratzigen Jutebeutel. Mir stockte der Atem. Offenbar war es nicht genug, mich zu fixieren – er wollte mir jede Möglichkeit nehmen, meine Umgebung wahrzunehmen. Die Panik, die ich bis dahin nur mit Mühe in Schach gehalten hatte, übermannte mich in diesem Moment vollends. Doch statt zu schreien oder laut loszuheulen, vergrub ich die Angst in mir und versank in einer stillen Dunkelheit. Es war, als hätte ich meinen Körper verlassen, als sähe ich die Szenerie von außen, distanziert und ohne Einfluss.


    Chuck führte mich durch das Treppenhaus. Seine Stimme, seine Befehle hallten in meinem Kopf wider, doch sie schienen weit entfernt. Mehrmals drohte ich zu stolpern, und wenn ich aus dem Tritt kam, brachte er mich durch gezielte Schläge wieder auf Kurs. Wie ich diesen Spießrutenlauf überstanden habe, weiß ich nicht. Doch irgendwann spürte ich die kalte Luft auf meiner Haut. Draußen. Freiheit – nur einen Atemzug entfernt. Doch es war eine trügerische Illusion. Schließlich spürte ich plötzlich den kalten Wind auf meiner Haut – wir waren draußen. Chuck zog mir den Sack vom Kopf, und ich erblickte zum ersten Mal den Ort meiner Gefangenschaft: Novodimitrovsk. Bisher hatte ich immer nur verwirrt und fliehend einen Blick auf die Stadt geworfen, aber nun, da ich auf dem Marktplatz stand, war mir die Sache klar.


    Der Wind heulte durch die verfallenen Gebäude, das Echo entfernter Schüsse mischte sich mit dem Jaulen der Wölfe. Ich wurde in ein Auto gezwungen. Ich wollte mich weigern, zerrte verzweifelt an meinen Fesseln – doch Chuck bestrafte meinen Widerstand mit einem harten Schlag seiner MKII. Der Schmerz durchzuckte meine Arme, und ich sackte zusammen. Schließlich ergab ich mich meinem Schicksal. Ich war ihm ausgeliefert und ich war machtlos.


    Warum sie mir den Sack abgenommen hatten, war mir unklar. Vielleicht, weil dieser Ort keine Rolle mehr spielen würde. Oder es war einfach nur Hohn – ein weiterer Moment, in dem sie mich glauben lassen wollten, ich hätte die Kontrolle verloren. Ein düsterer Verdacht schlich sich in meine Gedanken: Sie haben nicht vor, mich jemals wieder freizulassen.


    Die Fahrt ging durch die Nacht, und trotz der Angst und Anstrengung muss ich vor Erschöpfung eingenickt sein. Erst im Morgengrauen kamen wir am Ziel an. Man führte mich in einen heruntergekommenen Häuserkomplex, und ich sah ein weiteres improvisiertes Gitter, errichtet aus Brettern und Baumstämmen. Es diente als Tor und war mit Zahlenschlössern gesichert. Chuck stieß mich unsanft in die neue Zelle, schloss das Gitter ab und wies mich erneut an, mich mit dem Rücken an die Gitterwand zu lehnen. Er löste die Handschellen, und die Erleichterung war greifbar, als das Blut wieder in meine tauben Hände strömte. Dankbar rieb ich meine Handgelenke, bevor sich die Tür hinter mir mit einem letzten, endgültigen Geräusch schloss.


    Hier sitze ich nun – in einer Zelle, kleiner als die letzte, doch immerhin gibt es hier ein Bett und es scheint etwas wärmer zu sein. Das gelbe Fass steht wieder vor mir, grinst mich hämisch an, und ich weiß, dass sie erneut Blutspenden von mir erwarten. Die Realität meiner Situation wiegt schwer. Sie werden mich nicht freilassen. Und doch… vielleicht haben sie einen Fehler gemacht. Vielleicht gibt es Hoffnung. Vielleicht hat jemand meine Verlegung bemerkt. Vielleicht hat jemand unsere Fahrt verfolgt.


    Ich klammere mich an diesen Gedanken. Hilfe wird kommen. Sie muss kommen.


    Auch wenn ich schwach bin, kann ich nicht aufgeben. Wenn ihr mich hören könnt, wenn noch Hoffnung besteht – bitte, findet mich. Ich kämpfe weiter, solange ihr es auch tut.


  • //Dieser Eintrag leitet die Geschehnisse in Operation: Herzblut ein. Alles bis hierhin, war lediglich das "Vorgeplänkel" ;)


    Im Thema dort kann man die Arbeit der Rettungstruppen nachverfolgen.


    Unbekannter Tag nach dem unbekannten Tag – Vielleicht auch zwei tage später. Wer weiß das schon so genau?

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    „It’s hard to laugh, when you’re the joke.”


    Das Tageslicht dringt von draußen herein, als ich wieder aus einem unruhigen Schlaf erwache. Das Stöhnen der Zombies hat mich aus meinen Albträumen gerissen. Eigentlich sollte ich mich an deren Gegenwart gewöhnt haben; sie scheinen mich hier drinnen zu ignorieren. Doch heute ist etwas anders. Einer von ihnen scheint besonders aggressiv, sein Brüllen und Schreien deutet darauf hin, dass er kurz davor ist, sich auf etwas – oder jemanden – draußen zu stürzen. Sind meine Entführer zurückgekehrt? Es fällt kein Schuss, stattdessen scheint die Person draußen mit bloßen Fäusten oder mit einem Gegenstand zu kämpfen – keine Anzeigen für Chuck und seine Bande. Ihnen macht es nichts aus, draußen laut rumzuschießen. Ich beschließe, alles auf eine Karte zu setzen.


    In meiner Verzweiflung beginne ich zu rufen: „Hallo! Ist da jemand?“ Keine Antwort. Frustration überkommt mich und ich schlage gegen die harte Steinmauer meiner Zelle. Mein einziger Hoffnungsschimmer auf Rettung scheint verhallt zu sein, doch ich gebe nicht auf. Mein erneutes Rufen und Hämmern gegen das verbarrikadierte Fenster wird schließlich von einer zarten Stimme erwidert: „Oh, hier ist ja 'ne Basis! Cool!“ Mein Herz macht einen Sprung, als sich die Stimme vor meinem inneren Auge zu einer Person formt. Es ist Stimmuuung! „Kannst du mich hier rauslassen?“, flehe ich direkt und vergesse dabei, dass mein Gegenüber vermutlich nichts von meiner Entführung weiß.


    Ich höre, wie er draußen erneut gegen Zombies kämpft. Plötzlich kommt mir der Gedanke, dass die Entführer noch in der Nähe sein könnten. „Sei vorsichtig! Sie könnten noch irgendwo sein!“ warne ich ihn. „Hast du Stress, oder was?“, fragt er, doch bevor ich antworten kann lacht er: „Ich mach mal n‘ bisschen Stimmuuung!“ Dann erschüttert ein ohrenbetäubendes Krachen die Stille. Im ersten Moment halte ich es für das Aufsprengen eines Tors, aber dann kommt die Ernüchterung. So klingt keine Sprengladung. Ich halte mir die Ohren zu… Stimmuuung hat tatsächlich draußen ein verdammtes Feuerwerk gezündet! Ist der irre?! Warum um alles in der Welt…? Natürlich greifen sofort die Zombies an. Ich hämmere verzweifelt gegen das Gittertor. Dann wird es still, abgesehen von einigen Schüssen. Er kämpft wohl erneut, entweder gegen Zombies oder vielleicht doch gegen die Entführer? „Alles klar bei dir? Haben sie dich erwischt?“, rufe ich besorgt. Die Unsicherheit macht mich beinahe rasend. Er antwortet erleichtert, dass er noch unverletzt ist. Plötzlich öffnet sich die Tür zum Zimmer, doch sie ist immer noch durch ein Tor versperrt.


    „Wer hätte das gedacht... eine Tür!“, seufzt er, typisch für seine Art, den Ernst der Lage vielleicht nicht ganz erfassend. Auch er beginnt gegen das Tor zu hämmern und deutet an, dass er jetzt seinen Sprengsatz anbringen könnte. Erleichtert atme ich aus, warne ihn jedoch erneut vor den möglicherweise noch anwesenden Entführern. „Wer denn? Was denn?“, fragt er, und ich erkläre ihm knapp von meiner unfreiwilligen Begegnung mit dem Blut-Transfusionsring, dessen Gefangene ich momentan bin. Er lacht, vermutet die Kannibalen von Gorka oder die Chuckle Chicks hinter der Aktion, aber ich widerspreche. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jay und ihre Mädels so etwas anzetteln würden. Nein, hier gehen ganz andere Dinge vor. Doch das ist momentan unwichtig. Für Stimmuuung klingt das nach schießbereiten bösen Jungs. Damit hat er definitiv recht und keiner von uns ahnt, wie recht. Aber so ganz scheint er den Ernst der Lage noch immer nicht zu fassen. Wo bleibt denn die Sprengung? Warum macht er dieses verdammte Tor nicht endlich auf?! Als sich nichts tut beginne ich von vorne. „Aber... kannst du mich hier rausholen?“, dränge ich erneut. „Ja wie...? Was soll ich? Warum? Was ist überhaupt passiert? Wurdest du hier eingesperrt, oder was?“, fragt er, und ich beginne, ihm von meinem Aufenthalt in Tishina, dem Überfall und meinem Transport in dieses unbekannte Gefängnis zu erzählen. Seine Ungläubigkeit ist deutlich zu hören, als er nur ein „Waaas?!“ herausbringen kann. Er beginnt verzweifelt zu lachen, als könnte er das alles kaum glauben und scherzt, ob ich den Chicks mit meinem Restaurantplan zu viel Konkurrenz gemacht hätte, das man mich nun so loswerden wolle. Zum Scherzen ist mir jedoch definitiv nicht zumute. Schließlich macht er sich daran, das Tor zu inspizieren. Während er auf gut Glück versucht das Tor zu knacken, berichte ich nochmals von dem Überfall in Tishina. Von Tishina kam ich dann über Umwege hierher… ja, aber wo ist „hier“ überhaupt? Das möchte ich jetzt wissen. Stimmuuung berichtet, dass wir uns gerade in Chernogrosk beim Riesenrad am Hafen befinden. Mir stockt der Atem. Was zum… und wie? Stimmuuung lacht nur. Aber so ganz scheint er mir noch nicht zu glauben. „Coole Story auf jeden Fall bis jetzt…“, gibt er sich lässig. Ich verzweifle schon wieder fast. Wie soll ich ihm denn noch begreiflich machen, in welcher prekären Lage ich mich befinde? Ich versuche die Fassung zu bewahren. Er lacht nur und hält das Ganze offenbar für ein großes Spiel. „Ja, ich weiß, dass du das vielleicht nicht glaubst“, beginne ich erneut, „aber es ist wirklich so, und es wäre echt schön, wenn du mich hier rausholen könntest.“ Das Lachen geht weiter. In Gedanken füge ich: „Verzeih, dass ich deinen abendlichen Umtrunk am Cherno-Hafen störe, werter Herr, aber könnten wir vielleicht wieder zu meiner Rettung schreiten?“ hinzu. Das darf doch alles nicht wahr sein.

    Dann ist es wieder ruhig und ich höre ihn nicht mehr: „Stimmuuung? Stimmuuung! Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen.“


    Ich höre ihn nicht mehr und die Minuten der Stille ziehen sich in die Länge, bis ich schließlich draußen wieder ein zaghaftes „Hallo?“ höre. „Ähm, ich hab eigentlich nichts dabei oder in der Nähe, womit ich das Tor hier aufbekomme...“, beginnt er und mein Mut sinkt. Resignation macht sich breit, aber noch bin ich nicht am Ende. Stimmuuung ist hier, bei mir. Das ändert alles. Ich bitte ihn, den anderen zumindest zu sagen, wo ich mich befinde. „Das krieg ich hin“, verspricht er und lacht. Ich komme mir langsam veralbert vor. „Am Ende warst du es wahrscheinlich, der mich hier eingesperrt hat!“, herrsche ich ihn an in einem Anflug von emotionaler Überforderung. „Nee, ich hab damit nichts zu tun. Aber geile – superkrasse Aktion. Die haben dich wirklich umgeknüppelt?“, fragt er nun mit etwas mehr Anteilnahme nach. Zum gefühlt hundertsten Mal erkläre ich ihm die Situation. Dass ich in Tishina war und dort von einer Bande mit Wolfsmasken ausgeknockt wurde. „Geil…“, gibt er einfach nur träumerisch vor sich hin, als würde er mein Schicksal absolut spannend finden. „Was passiert hier? Oh mein Gott…! Und dann haben sie dich in ein Auto gezwungen?“ Ich bejahe. „Krass und die haben vorher hier diesen Käfig – die Zelle gebaut, sind hochgefahren, haben gehofft jemanden abzufangen…“ Ich bestätige und erkläre ihm nochmals, dass ich keine Ahnung habe, wer hinter all dem stecken könnte. Aber ich warne ihn auch gleich davor, es herauszufinden. Die Typen könnten noch irgendwo hier sein. Ihn kümmert das wenig. Er hat nichts zu verlieren. Anschließend möchte er noch ein paar Details über den Tag meiner Entführung, aber ich habe mein Zeitgefühl komplett verloren. Stimmuung beschließt, sich Sprengstoff zu holen. Hoffnung keimt in mir auf. „Bitte sag den anderen Bescheid, wo ich bin!“, flehe ich ihn an. „Das krieg ich hin“, verspricht er und wendet sich zum Gehen.


    Doch kaum möchte er sich entfernen, durchbrechen ohrenbetäubende Schüsse die Stille. Sie kommen aus dem Gang, direkt in Richtung Tür. Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Scheiße!“, stoße ich panisch aus. Ich höre eilige Schritte, das metallische Geräusch eines Nachladens. „Nein! Stimmuuung! NEIN!“, schreie ich, meine Stimme überschlägt sich vor Angst.


    Ein heftiger Schlag gegen die Tür lässt mich zusammenzucken. Eine kalte, unheimliche Stimme herrscht mich an: „Ruhe da drin!“ Mein Blut gefriert in den Adern. Ich bin zu schockiert, um mich zu bewegen. Die Realität schlägt wie eine Welle über mir zusammen. „Ihr Monster!“, schreie ich, Tränen laufen unkontrolliert über mein Gesicht. Wut, Hilflosigkeit und tiefe Trauer übermannen mich.


    Mit aller Kraft schlage ich gegen die Wände, meine Fäuste schmerzen, doch der Schmerz ist nichts im Vergleich zu dem, was ich innerlich fühle. „Stimmuuung… Nein! Warum? Warum hast du nicht auf mich gehört...“, flüstere ich gebrochen. Draußen höre ich das schreckliche Geräusch von etwas, das zerschnitten wird. Mein Magen verkrampft sich. Stimmuuungs... Steaks. Der Gedanke ist unerträglich.


    „Nein... Stimmuuung. Das wollte ich nicht. Es tut mir so leid...“, wimmere ich. Die Stille, die folgt, ist erdrückend. Jede Sekunde zieht sich wie eine Ewigkeit. Hoffnungslosigkeit breitet sich in mir aus, kalt und erbarmungslos.


    Aus Minuten werden Stunden. Keine Geräusche mehr von draußen, nur die unbarmherzige Stille, die meine Gedanken erdrückt. Schließlich sinke ich erschöpft auf das harte Bett, meine Kräfte sind am Ende. Schluchzend rolle ich mich zusammen, während die Dunkelheit des unruhigen Schlafes mich gnädig umfängt.