„Schneller, Wolfgang! GIB GUMMI!“ Wir heizen so schnell wie möglich an der Küstenstraße entlang.
Unbarmherzig peitscht mein Fahrer seinen treuen Sarka an und es kann mir nicht schnell genug gehen. Dunkle Wolken ziehen über den Himmel, aber noch bleib der Regen aus.
Unterdessen lausche ich den anderen gespannt im Funk, und verfolge jede Neuigkeit peinlich genau. „Also die Orangenen nerven langsam ‚n Bisschen, möchte ich mal sagen…“, beginnt Shizo das Gespräch. „Wer sind denn diese Orangenen?“, möchte ich wissen. „Ja, das fragt man sich...“, beginnt er mysteriös, „Ich hab so ne Vermutung: Grissly und seine Heinis…“ Ich kontere. Nein, der Grizzly ist in Ordnung. Der würde so etwas nicht tun! Klar, er hatte mal ein orangefarbenes Armband und kam in eine Schießerei mit den Jungs, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht hinter diesem feigen Angriff steckt. Die Frage ist nur: Wer war es dann?
Je näher wir Prigorodki kommen, desto mehr sehne ich mir das Treffen mit dem oder den Schütze herbei. Nur… was würde ich dann tun? Wäre ich wirklich bereit dazu, auf sie zu schießen? Hätte ich überhaupt eine realistische Chance? Ich möchte auf jeden Fall erst einmal mit den Fremden reden, auch wenn das in der Gruppe natürlich auf wenig Gegenliebe stößt. Immerhin wurde gerade Tabasko vom „heiligen Manfred“ auf grausame Weise weggeholt; hinterrücks erschossen. Wie kommt es, dass ich trotzdem so große Hemmungen habe, auf offensichtliche Angreifer zu schießen?
Die Strecke zieht sich. Bei Kamyshovo entdecken wir plötzlich zwei menschliche Leichen auf der Straße. Sehr verdächtig. Es sieht beinahe so aus, als hätten die beiden kollektiven Selbstmord begangen. Ich würde gerne aussteigen und die Gegend untersuchen, aber die Zeit drängt und wir rasen weiter.
Da fällt es mir ein: Ausgerechnet jetzt habe ich keine Erziehungsvaiga ™ bei mir, denn die könnte ich sicher gebrauchen. In der Eile habe ich sie nicht eingesteckt. Aber vermutlich ist es auch besser so. Nicht, dass mir so ein Malheur passiert wie bei Blue…
Weiter, immer weiter treibt Wolfgang den armen Sarka an und an weiteren Küstenorten vorbei, als wir endlich in einiger Entfernung Prigorodki erblicken. Wolfgang lässt mich auf Höhe der Militärsperre raus und bringt sein Auto in Sicherheit. Danach möchte er von einem sicheren Punkt aus Rückendeckung geben. Sofort sprinte ich los in Richtung des Bauwerks, das die Jungs den „heiligen Manfred“ nennen. Tabasko ist unterdessen auch wieder irgendwo an der Küste gelandet. Zum Glück! Wenn ich es richtig verstanden habe, ist er in Chernogorsk am anderen Ende der Stadt, also ganz in der Nähe. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, aber er ist verständlicherweise nicht gerade begeistert von den Ereignissen und muss das erst einmal verdauen.
Ich renne weiter und versuche mehr herauszufinden. „Wo ist das denn ungefähr gewesen?“, keuche heftig schnaufend ich ins Mikrofon. „Ganz oben im Rohbau und der LKW war westlich vom Rohbau“, antwortet Tabasko. Ich halte also auf den Rohbau zu und tatsächlich! Da bewegt sich etwas. „Ja, da läuft ein Überlebender! Zwei…DREI!“, gebe ich durch und renne weiter. Ich rufe den Fremden entgegen: „Hallo! Halloooo!“ Anschließend bleibe ich stehen und hebe meine Hand zum Gruß. Sie kommen mit gezogener Waffe auf mich zu und ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Allerdings muss ich zugeben, dass mir der vollausgestattete Look der ersten zwei schon nicht so ganz behagt. Zumindest die ersten beiden tragen militärische Kleidung, schwere Rucksäcke und deutlich sichtbare Waffen. Sie wissen auf jeden Fall, was sie tun. Alles an ihnen signalisiert mir: „Die sind auf Ärger aus“. Soviel ist sicher. Aber noch lebe ich und bisher hat keiner auf mich geschossen.
Ein Zombie stürmt auf uns zu, doch zwei der Fremden kümmern sich um ihn. „Nicht schießen! Nicht schießen!“, bitte ich die Fremden. „Okay, okay. Das war… das war your Freund?“, fragt der eine in einer seltsamen Mischung aus Englisch und Deutsch, doch er ist sehr schwer zu verstehen und noch ist meine Aufmerksamkeit bei dem Zombie und den beiden anderen, sodass ich seine Frage noch gar nicht verarbeiten kann. Manchmal passieren zu viele Dinge einfach gleichzeitig und erst in einer ruhigen Minute hinterher wird einem klar, dass alles eigentlich eine ganz andere Wendung hätte nehmen müssen. Aber da ich die Frage überhöre, ist für mich nicht hundertprozentig klar, ob das vor mir Tabaskos Mörder sind. Okay, okay… es liegt nahe und ist vermutlich auch so. Vielleicht betrüge ich mich aus purem Selbstschutz gerade selbst, denn ich beschließe mit ihnen erst einmal normal zu reden und nicht gleich auf sie loszugehen. Abgesehen davon ist ihr Auftreten auch wirklich einschüchternd. Also: Samariter-Standardprogramm eingelegt und los.
„German or English?“, frage ich den, der vor mir zum Stehen kommt, während seine beiden Freunde den Zombie mit Schlägen bearbeiten und ihm den Rest geben. „Germany… ich kann auch Deutsch“, antwortet mir mein Gegenüber mit ruhiger fast eindringlicher Stimme. „Du kannst auch Deutsch?“, frage ich zurück, da mischt sich ein zweiter mit etwas tieferer Stimme ein: „And English so hello!“ Er scheint so etwas wie der Wortführer zu sein, denn er wirkt wesentlich entspannter und scheint alles im Griff zu haben. Gut.. also haben wir es hier mit mindestens drei Leuten einer mindestens zweisprachigen Gruppe zu tun und von der sprachlichen Färbung her würde ich sagen, dass sie irgendwo aus Osteuropa stammen. Ich nicke und grüße nun auch freundlich auf Englisch zurück. Noch bin ich am Leben. Puh.
„Can I help you?“, setze ich mein typisches Samariterstandardprogramm fort. Mein Gegenüber mit der Tiefen und gefassten Stimme antwortet: „He speak German. No, no, no it’s okay. We just travel… searching…and…fun, you know?” Während wir so reden, umkreisen wir einander. Keiner wagt es, auch nur einen Augenblick stehen zu bleiben. Es ist ein Tanz. Ein Tanz mit dem Schicksal und wer zuerst stehen bleibt, hat verloren. Es ist die Angst, dass irgendwo noch jemand sitzt und auf einen und uns schießen könnte. In Blickrichtung unseres Bambi-Auffanglagers bleibe ich plötzlich auf dem Feld stehen. Alles oder nichts. Wolfgang sei wachsam! Kein Schuss, kein Angriff. Weiter im Text.
„Do you see the camp over there?“, frage ich den Wortführer. Die Antwort kommt prompt: ”Yes?” “We are the Samaritans of Chernarus and we help bambis and fresh-spawns.” Wieder antwortet mein Gegenüber verständnisvoll: “Ah, yes yes. I understand that because I see the clothing and and everything. We don’t take anything from there.” Nun, das hört sich schonmal gut an. Jetzt wäre natürlich ein guter Zeitpunkt, nach den Schüssen auf Tabasko zu fragen und was das alles sollte. Aber ich gebe zu, dass mir die Waffen im Anschlag noch immer nicht so gefallen und dass mein Standardprogramm noch immer die Oberhand hat. So mache ich das, was als nächstes auf meiner Liste steht: Ich frage sie nach ihren Namen. Der eine, der bisher sehr leise war und anfangs auch etwas Deutsch gesprochen hat, stellt sich als „Cyber Sportsman“ vor. Er prahlt damit, dass er schon sehr viel Erfahrung in Chernarus hat („I have over 12000 hours in this game!“). Offensichtlich möchte er mich damit irgendwie beeindrucken, aber ich bleibe neutral und reagiere erst einmal nur auf den Wortführer, der nur Englisch spricht. Dieser stellt sich mir als Ronin vor und hinten auf den Heuballen steht noch jemand, der vermutlich auch zur Gruppe gehört, aber noch eher wie ein Bambi aussieht, und eine schwarze Sturmhaube trägt. Der Überlebende namens Cyber Sportsman tanzt mit einer Jacke in der Hand um mich herum und vollführt seltsame Bewegungen und Verrenkungen. Ich mag mir nicht ausmalen, was Wolfgang sich gerade dabei denkt. „Do you know this? Do you know this?”, sagt er immer wieder und tanzt im Kreis um mich herum. Was zum Henker soll das? Ist das eine Provokation um zu schauen, ob ich bewacht werde und sich ein Schuss löst? Oder möchte er wirklich so dringend meine Aufmerksamkeit, dass er mich damit zu beeindrucken versucht? Der Anführer der Gruppe lässt sich davon jedoch ebenfalls nicht irritieren und so setzen wir unsere Unterredung fort. Ich deute nochmals auf den dritten auf dem Heuballen. „Please, can you tell him not to shoot at me?”, bitte ich Ronin. “Yeah yeah. No problem”, kommt rasche die Antwort. Während einer kurzen Zeit des Luftholens informiere ich Wolfgang darüber, dass es drei sind und wer sie sind. Es ist wichtig, dass auch er den Überblick und nicht versehentlich ein Schuss gelöst wird. Er ist ein hervorragender Schütze, aber die drei hier sind vermutlich noch eine ganz andere Liga und sie sind zu dritt. Außerdem ist Tabasko ja noch unterwegs.
Während ich nochmals das Gespräch mit dem Anführer suche und noch etwas über unsere Arbeit erzählen möchte, beginnt der zweite Fremde, der nun wirklich zwingend meine Aufmerksamkeit haben möchte damit, mich mit einer Pflaume zu füttern. „I love you! I love you! I love you!“ flüstert er dabei beinahe zärtlich. Ich bin so schockiert und angewidert von so viel Aufdringlichkeit, sodass ich instinktiv erst einmal zurückweiche. Die Pflaume erkenne ich erst auf den zweiten Blick. Das hätte aber weiß Gott was sein können! Menschenfleisch, verdorbenes Essen… wir haben schon vieles erlebt. Ich muss vorsichtiger sein. Einen anderen Überlebenden einfach so mit einer Pflaume oder überhaupt irgendwas zu füttern… das ist keine Art, jemandem seine Liebe zu gestehen! Schon gar nicht, wenn man sich gefühlt erst 5 Minuten lang kennt. Was stimmt bei dem Typen nicht?! Ich möchte gerade ansetzen und ihm etwas antworten, da rennt er auch schon wie ein kleines gescholtenes Kind weg in Richtung seines Freundes auf den Heuballen. Scheinbar merkt er, dass er es übertrieben hat. Ja, ja… manche Kerle sind schon eigenartig. Wenn sie eine weibliche Stimme hören, rasten sie aus und müssen zeigen, was sie alles können. Bin ich froh, dass mir das bisher in unserer Runde mit Charly und seinen Jungs nicht passiert ist. Überhaupt, so ein Verhalten habe ich selbst hier noch nie erlebt. Gut, die Assis damals in Staroye, ja… die waren auch etwas komisch, aber nicht aufdringlich in der Form und das ist Jahre her. Nein, die Leute in Chernarus sind schon okay auf ihre Art und Weise, aber schwarze Schafe gibt es überall. Ich verstehe nur nicht, warum Typen wie er immer davon ausgehen, dass so etwas Frauen gefällt. Abgesehen davon, ich bin bereits vergeben. Deal with it. Was für eine Truppe… Ich hoffe, Ronin hat ihn im Griff.
Nun beginnt unser Wortführer in bruchstückhaftem Englisch davon zu erzählen, dass sie schon seit etwa einem Jahr immer wieder hierher kommen und heute quasi zurückgekommen sind: „The first time we come here maybe one year ago“. Wir stehen noch immer auf dem offenen Feld, aber nach all den Erfahrungen mit Snipern und Todesschüssen ist mir gar nicht wohl dabei. So versuche ich das Gespräch örtlich zu verlagern. „Just a hint, it’s very dangerous to stand here. Sometimes we have snipers who attack us. So we should move aside.” Der hormongesteuerte Cybersportsman hat sich inzwischen auf eine kleine Hütte gestellt und lacht wie wahnsinnig: „SNIPERS HAAA! SNIPERS!“ Es ist schwer, Ronin da noch zu verstehen, aber er erklärt mir, dass er gerade da drüben bei dem Turm jemanden mit einer Waffe gesehen habe. Er wisse nicht, ob er da etwas gebaut habe oder so. Davon, dass sie ihn auch erschossen haben, sagen sie nichts. Also frage ich nach: „Do you guys kill on sight? Meaning do you shoot first or do you talk first?“ Mein Gegenüber lacht unsicher: “Ha.. I don’t know. It’s situation. Hah. If… Like you, like you. You come to us, we speak with you. Not shooting you. But if we see some guy with weapons, so yeah, I think it’s first of all shoot.” Okay, mehr brauche ich nicht zu Wissen. Also sind es wohl wirklich die drei gewesen, die Tabasko da einfach so hinterrücks erschossen haben. Gerade möchte ich ihn danach fragen, als ich Dauerfeuer aus Richtung von Manfred höre. „WHOA! What is it?“, rufe ich und springe in Deckung. Ronin kommt neben mir zum Stehen und blickt ebenfalls in Richtung des Rohbaus, aus der die Schüsse kamen. „Uh.. Some guy, I don’t know. This my team mates found. Some guy. Spotted. Spotted someone.” Also wurde gerade dort drüben wieder jemand erschossen. War es wieder Tabasko? Ich versuche im Funk die durcheinanderredenden Stimmen zu verstehen. Manchmal wäre etwas Funkdisziplin wirklich eine klasse Sache. Während ich lausche, versuche ich das Gespräch am Laufen zu halten. “Is it safe?”, möchte ich von Ronin wissen. “Yeah, it' s okay. It’s okay”, beruhigt er mich. Aber nun fragt er seinerseits, warum ich wissen wollte, ob er zuerst schießen würde. Ich nicke und erkläre ihm unsere Geschichte. Dass mein Mann und die Samariter von Chernarus sind und wir niemals zuerst schießen würden, sondern wir versuchen, anderen zu helfen: „Well me and my husband, we are the Samaritans and we don’t shoot at people. We try to help.” Von Jammet, Wolfgang, Blue und Hikaru sage ich erst einmal besser nichts, denn momentan sind wir ohnehin nur zu zweit und es wäre schwierig, mit einem begrenzten Vokabular das in dieser angespannten Situation zu erklären. Aber wenn ich diese Gruppe nun vor mir habe, kann ich auch aufs Ganze gehen und ihn nach den orangefarbenen Armbändern fragen: „Are you the group with the orange armbands?“ Irgendwie keimt in mir die Hoffnung auf, dass Tabasko von ihnen erschossen worden ist und diese drei hier nur den Schüssen gefolgt sind. Er verneint. Sie tragen keine Armbänder. Okay. Ich berichte ihm von der anderen Gruppe mit orangenen Armbändern und meinem Verdacht, sie hätten einmal Russisch miteinander gesprochen. Vielleicht kenn sie sich ja? Ronin schein zu überlegen. Während wir schweigen, marschiert der Cyber Sportsman mit hocherhobener Waffe wieder auf uns zu und singt: „I’m veteran Cyber Sportsman. I kill everyone.“ Er packt sein Scharfschützengewehr demonstrativ weg und zieht seine KA-74, die er mir stolz präsentiert: „I kill everyone, my Baby!“ Und da ist es schon wieder. Hormongesteuertes Gehabe. Er schiebt den Wortführer Ronin zur Seite mit den Worten: „It’s my date!“ Aber der Anführer weiß schon, wie er mit ihm umgehen muss und ignoriert ihn einfach. Stattdessen antwortet er auf meine Frage, als sei nichts geschehen. Die haben vielleicht Nerven… Ich weiß, dass so eine Situation früher, als Jammet, Kanu und ich noch gemeinsam mit Nyashia, Howl und ein paar anderen unsere Einsätze durchgeführt haben, nie passiert wären. Ich glaube, der übereifrige Cyber Sportsman wäre schneller auf dem Boden gewesen, als er hätte gucken können. Aber momentan bin ich hier gewissermaßen allein, auch wenn Wolfgang in der Nähe von Chernogorsk aus alles genau beobachtet. Mir ist klar, selbst wenn er eingreift, dann gäbe es am Ende noch mehr Tote als nötig. Endlich antwortet mein Gegenüber, als habe Cyber Sportsman nie etwas gesagt: „No, it’s not our mates. It’s just the three of us. I know the Russians. I think it’s a very toxic players so we just try to fight with him. If we hear some Russian language, we just raid their base and start to shoot.” Also Moment… das muss ich erst einmal verarbeiten. Er weiß, dass es hier russische Spieler gibt. Meint er die orangefarbenen Armbänder oder die Chernarussen? Er glaubt, sie versuchen die Gemeinschaft zu vergiften und darum schießen sie sofort, wenn sie hören, dass ihr Gegenüber Russisch spricht. Und jetzt kommt der Hammer: „We are Russians, but we don’t speak with Russians.” Er lacht. Okay, also die drei hier vor mir sind definitiv Russen. Das erklärt den osteuropäischen Einschlag. Aber statt Kontakt mit anderen Russen zu suchen, kämpfen sie gezielt gegen sie. Das ist ja mal eine Einstellung. Ich lache ebenfalls und sage, dass ich das seltsam finde, aber gut… ist ihr Leben. Ich erzähle ihm von unseren Chernarussen und dass sie sehr freundlich sind, aber so wirklich überzeugt sind sie nicht. Er erzählt mir von einem Russen, den er vor einem Jahr getroffen hat namens Kapper. Über die Schreibung bin ich mir nicht sicher, aber so hat sich das angehört. Ihn habe ich jedenfalls noch nicht getroffen.
Der stumme Dritte fährt mit einem grünen Sarka vor und schon wuseln die drei wieder um mich herum mitten auf dem Feld. Ich hoffe, dass nicht einer der Sniper hier rumlungert… das wäre ein Fest für ihn. Cyber Sportsman hat scheinbar noch nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen und er geht nun vor mir auf die Knie und macht Andeutung, dass er mich küssen möchte. Sein schweigsamer Kumpel scheint das aber gar nicht zu tolerieren (ich im Übrigen auch nicht!) und noch ehe ich selbst zuschlagen kann, prasselt seine Faust auf den Kopf seines Freundes nieder. Gebückt zieht Cyber Sportsman ab. Ein Glück, dass er eingegriffen hat, denn ich weiß nicht, ob die Jungs es verstanden hätten, wenn ich ihm eine verpasst hätte. Wobei… vermutlich schon. Ich glaube, der Jungspund braucht manchmal einfach jemanden, der ihn auf Linie hält. Jedenfalls merkt nun auch der Wortführer, dass es Zeit wird zu gehen. Er verspricht uns, das Camp in Ruhe zu lassen und die drei brechen im Sarka auf. Ich kläre sie noch kurz über unsere Camps auf und dass sie dort bitte auch nichts zerstören sollen. Aber natürlich dürfen sie sich bedienen. Sie bedanken sich und fahren los. Erst jetzt sehe ich, dass ihr grüner Sarka sehr markant ist. Er hat rote Türen, eine rote Heckklappe und eine rote Front. Das könnte noch wichtig sein.
Henrik, Ravini und Shizo sind auch unterwegs mit Tabasko zurück zum Turm. Ich erstatte ihnen Bericht, dass die Dreiergruppe mit mir geredet hat und vermutlich für den feigen Angriff auf Tabasko verantwortlich war, ich aber nicht 100% sicher sein kann. Es ist aber sehr sehr wahrscheinlich. Sie fahren wieter in Richtung Chernogorsk. Warum habe ich sie nicht direkt gefragt? Es war alles ziemlich chaotisch. Jedenfalls erklärt mir Tabasko, dass er als Bambi tatsächlich bereits zurück am Turm war, dort aber sofort erschossen wurde. Das waren dann vermutlich die Schüsse, die ich gehört habe. Eventuell von diesem Cyber Sportsman oder dem stummen Dritten. Henrik fragt nach dem Sarka und ob dieser rote Türen gehabt hat. Ich bestätige. „Dann ist das unser alter“, gibt er gepresst von sich. Auch er scheint sauer und auf Rache aus zu sein. Nun kann ich nicht mehr viel tun, außer den Schaden zu begrenzen. Ich schaue beim Rohbau nach, ob der LKW noch da ist. Tatsächlich steht das Gefährt noch an Ort und Stelle. Tabasko ist erleichtert. Darauf hatten sie es wohl nicht abgesehen. Leider kann ich ihn nicht wegfahren. Alles wäre wirklich einfacher, wenn ich Autofahren könnte… Aber so nervös setze ich mich nicht hinter das Steuer. Gerade überlege ich, was ich mit dem LKW machen soll, da kommt der eigenartige Sarka zurück und hupt. Die drei fragen, ob sie mich mitnehmen können, aber ich verneine. Steige nie zu Fremden in ein Auto! Das Angebot ist zwar nett gemeint, aber nein danke… Tabasko und Henrik verstehen das nicht, Ravini lacht süffisant. Wäre ich mitgefahren hätte ich ja gewusst, wo sie sich aufhalten. Aber so läuft das nicht! Ich versuche neutral zu bleiben und niemandem in den Rücken zu fallen. Das ist oft schwer genug, wenn man eben nicht weiß, was gerade eigentlich passiert. Nur werde ich mich sicherlich nicht zu diesem Cyber Sportsman in ein Auto setzen… Stattdessen erzählen ich den dreien, dass ich noch schauen möchte, was beim Turm passiert ist, da ich Schüsse gehört habe. Ronin erklärt mir, dass ein Toter oben auf dem Turm liegt. Okay… das muss dann wohl Tabasko sein. Ich beschließe, seine Leiche zu vergraben. Die drei fahren wieder los.
Somit könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein, aber noch hat der Regen nicht eingesetzt und die dunklen Wolken sind noch nicht vorbeigezogen. Als ich durch das Industriegebiet jogge, versuche ich Wolfgang zu warnen, dass sie in Richtung Chernogorsk fahren und er vorsichtig sein soll. „Jetzt kommen’s“, sagt er noch. Tabasko berichtet, dass sie alle seine ABC-Ausrüstung mitgenommen habe und befürchtet, dass Pavlovo ihr Ziel sein könnte. Keine guten Neuigkeiten. Aus Richtung Chernogorsk kommen Schüsse. Ich renne in die Richtung, aus der ich die Schüsse vermute. Sind das wieder die drei? Ich frage in den Funk, ob die Jungs auch den Schuss gehört haben. Tabasko verneint. Wolfgang antwortet nicht. „Wolfgang, hast du den Schuss gehört?“, frage ich. Keine Antwort. „Wolfgang?“, frage ich unsicher. „Wolfgang, kannst du mich hören? Bitte kommen!“
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