25. Mai 2023 – Eine neue Bedrohung
Ein lautes Röhren weckt mich. Im Wald vor Prigorodki
muss wohl ein Eber oder ein Hirsch sein. Seine Rufe sind bis ins Bambi-Auffanglager
zu hören. Die Sonne scheint und später könnte sich vielleicht die Gelegenheit
für eine Jagd bieten. Zunächst jedoch kontrolliere ich die Auto-Zelte. Sie sind
noch da und gut gefüllt. Alles so, wie es sein sollte. Prima, was mache ich nun
am besten? Dani meldet sich per Funk und fragt, wie weit wir in den letzten zwei
Tagen mit dem Aufbau des Lagers gekommen sind. „Na ja, das Camp steht. Es muss
nur ständig neu bestückt werden.“, beginne ich. Wie weit Kevin und Max mit ihren
Besiedlungsplänen sind, das weiß ich nicht. Ich esse einen Apfel und laufe kauend
den Weg zum Brunnen entlang. Schließlich biege ich ab und gehe ins Koch-Haus.
Im Hinterraum dann der erste Schock: Das gelbe Fass ist verschwunden. Es war klar,
dass irgendjemand das nicht einfach stehen lassen würde. Alle medizinischen
Güter liegen verstreut auf dem Boden. Ich wusste, dass es passieren würde, aber
dass die Ruhe so schnell wieder verfliegen würde, das überrascht mich schon.
Tja, das Fass ist wohl weg und es war ein Fehler, an das Gute im Menschen zu
glauben. Wie sagte ein römischer Dichter einst? „Der Mensch ist dem Menschen
ein Wolf, kein Mensch. Das gilt zum mindesten solange, als man sich nicht kennt.“
Ich glaube dieser Dichter hätte an Chernarus seine Freude gehabt… Schade, dass
wir keine Gelegenheit hatten, den Fremden näher kennenzulernen, der das Fass
genommen hat. Wenn er es dringend gebraucht hätte, hätte ich es ihm ohnehin
auch so gegeben. Aber klar, es gibt so viele Menschen, die hier eben nicht vom
Guten ausgehen. Es kommt sogar vor, dass manche uns misstrauen und von einer
Falle ausgehen. Und weißt du was? Ich kann das sogar verstehen. Man sieht in
allem einen ständigen Kampf und in jedem anderen eine Gefahr. Das schafft eine Mentalität
von Dieben und Mördern. Dabei wäre das alles nicht nötig gewesen. So wie ich
mich kenne, hätten wir ihm vermutlich sogar angeboten, das Fass zu seiner
Gebrauchsstelle zu fahren. Aber ja… der Fremde wusste es nicht besser und
rechnete wohl nicht damit, dass wir hier einer guten Sache nachgehen. Eventuell
war ihm das aber auch egal. Oder vielleicht hat er sich ins Fäustchen gelacht: „Mann
sind die blöd, können nicht einmal eine Basis vernünftig absichern! Brauchen
sich nicht wundern, wenn alles weg ist.“ Tja, mein Freund. Da hast du nicht
gründlich genug nachgedacht und das Offensichtliche übersehen. Das ist keine Basis..
es ist ein Bambi-Auffanglager. Offen für alle. Aber momentan ist mir auch egal,
was der Typ sich denkt. Ich bin zwar enttäuscht, über ein derartiges Verhalten,
aber momentan kann ich allein am Camp nicht viel tun. Daher schnappe ich mir
eine Bomber-Jacke, die im Koch-Haus liegt und sammle die verstreuten Güter wieder
ein. Anschließend beginne ich damit, alles wieder wegzuräumen. Lustigerweise
hat der Fremde das rote Fass vor der Türe des Koch-Hauses nicht entdeckt.
Entweder er hat es wirklich nicht gesehen oder aus unbekannten Gründen nicht
geholt… noch nicht. Ich muss laut lachen. Das Lachen bleibt mir im Halse
stecken, als ich einen stechenden Schmerz am Kopf spüre und einen lauten Schuss
höre. Sniper. Mein letzter Gedanke, dann holt mich die grausame Schwärze ein.
Wer auch immer auf mich geschossen hat, ein so guter
Schütze kann es nicht gewesen sein, denn ich schlage kurz danach noch einmal
die Augen auf. Mühsam drehe ich mich auf den Bauch, aber die Schmerzen sind so
stark, dass ich nicht aufstehen kann. Ich schließe erneut die Augen.
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Ich weiß nicht, wie lange das alles dauert, aber als ich
wieder zu mir komme, befinde ich mich wieder an der Küste. Ich bin ein Bambi im
roten T-Shirt. Zum Glück habe ich zu Dani noch Kontakt, aber außer der
Gewissheit, dass er mich nicht erschossen hat, kommt keine brauchbare
Erkenntnis. Statt mich aufzubauen, hänselt er mich eher noch damit, ich könnte
doch so langsam auch mal zur „dunklen Seite“ wechseln und auf andere Jagd
machen. Wie wäre es mit einem neuen Kapitel? Die dunkle Aura…. Ha ha. Blödsinn.
Nicht ich. Abgesehen davon gibt es jetzt Wichtigeres.
Im strömenden Regen versuche ich zunächst
herauszufinden, wo ich bin. Es ist neblig, kalt und ich habe Hunger. Aber ich muss
wohl in der Nähe von Kamyshovo sein. Nicht optimal, aber leider auch ein
ganzes Stück vom Bambi-Auffanglager entfernt. Toll… und irgendwo dort macht ein
mordgeiler Irrer wieder Jagd auf ehrenamtliche Helfer und Bambis. Andererseits,
was würde ich schon groß gegen ihn ausrichten können? Also mache ich das Beste
aus der Situation und versuche einfach irgendwie zu überleben und mir eine
kleine Ausrüstung zusammenzusuchen. Ich durchstreife die Polizeistation, kämpfe
gegen ein paar Polizisten-Zombies und renne auf der Straße in Richtung Westen.
Während ich renne, grübele ich über die Geschehnisse nach. Wer könnte der ominöse
Schütze gewesen sein? Waren es wieder unser spezieller combat-loggender „Freund“
mit dem unaussprechlichen Namen und sein Handwerker-Kumpel? Oder unser anderer
combat-loggender „Freund“, der eher allein agiert? Haben eventuell die nackten
Assi-Bambis wieder etwas damit zu tun? Diesen Gedanken verwerfe ich recht
schnell wieder. Wenn ich mich recht erinnere, war das, was mich gerade getroffen
hat, eine schwere Waffe. Ich kenne mich mit Waffen nicht gut genug aus, um
sagen zu können, was es genau war. Aber es war groß und böse. Für Scharfschützen
gemacht. Da ich aber nicht gleich auf der Stelle tot war, muss es sich um einen
nicht ganz so begnadeten Schützen handeln. Immerhin habe ich mich nicht bewegt
und wenn er tatsächlich im Rohbau saß, dann war er auch nicht wirklich weit
weg. Na ja und die Assi-Bambis, die hielten sich ja meist in der Nähe und...
naja sie waren extrem asozial eingestellt. Ich tippe eher auf einen Sniper am
Rohbau. Das könnte zu unserem „Freund“ mit dem unaussprechlichen Namen und
seinem Handwerker-Kumpel passen. Andererseits war dieser ein hervorragender
Schütze. Ebenso der combat-loggende Sniper, der vorzugsweise allein agierte. Stimmt…
und dann gibt es noch einen, über den ich bisher nicht geschrieben habe. Eine
Person, die wie ein Schatten ist. So ähnlich wie Wolfgang, aber abgrundtief
böse. Charly meint, er sei der böse Schatten oder gar Zwillingsbruder von unserem
Wolfgang. Die Gruppe um Charly und Tabasko erzählt sich zumindest die Legende
dieses Überlebenden, der die Wälder allein durchstreift und fast keinem genau
gesehen wurde. Aber wenn ER jemanden sieht, endet das meist tödlich. Ein
heimtückischer Schuss auf dich mit Schalldämpfer mitten im Wald? Das war er.
Ein Schuss auf dein fahrendes Auto mitten aus dem Nichts? ER war’s. Egal, wo du
dich auf in Chernarus befindest, du musst immer damit rechnen, dass er auch da
ist. Wo auch immer ein heimtückischer und plötzlicher Tod passiert, ist der
Schatten mit im Spiel. So zumindest die Legende. Entweder er ist wirklich ein
kaltblütiger Killer, oder aber die Gruppe hat sich da in etwas verrannt. Charly
ist wohl der Einzige, der ihn einmal gesehen und beobachtet hat und er hat
einen Heidenrespekt vor ihm. Ich glaube ja, sie jagen da einem Phantom nach und
interpretieren etwas zu viel. Aber dieser Running-Gag „Das war der Schatten!“ hat
schon Stil irgendwie. Ob er es auch war, der mich am Bambi-Auffanglager abgeschossen
hat? Etwas spricht ganz klar dagegen: Der Schatten tötet lautlos. Mein Mörder
hat sich darum keine Gedanken gemacht. Also bleibt mir nur eine schreckliche Erkenntnis:
Bei dem Mörder muss es sich um jemand Neuen handeln. Falls das zutrifft, werde
ich ihn den „Lurker Sniper“ nennen. Eine neue Bedrohung also… Puh. Das muss ich
erst einmal verdauen. Echt jetzt? Mann, so langsam wird es langweilig. Ich
meine, seine Ego-Tour in allen Ehren, aber ich begreife einfach nicht, was
daran so ehrenhaft und ruhmreich sein soll, auf unbewaffnete Helfer zu schießen,
noch dazu aus dem Hinterhalt. Aber offenbar gibt es da draußen genügend Leute,
die eben genau das tun. Ich begreife es nicht. Es will nicht in meinen Kopf. Was
aber noch viel wichtiger ist: Ich muss mir jetzt wirklich ernsthaft überlegen,
ob ich weiterhin in der Lage bin, derartige Anfeindungen durchzustehen. Die
letzten Monate haben mich unheimlich viel Kraft gekostet und ich habe
angefangen, mich zu verändern. Ich werde paranoider und am Ende habe zu allem
Überfluss sogar Blue erschossen… Gut, die Hintergründe sind auf jeden Fall
andere, aber ein Mord ist ein Mord. Ich rede das nicht schön und ich bereue. Ich
möchte das nicht mehr. Also wenn es wieder einer unserer alten Bekannten war
oder ein neuer Feind sein sollte, dann brauchen wir in Prigorodki nicht
mehr lange zu bleiben. Bambis können wir schließlich überall versorgen. Andererseits…
Prigorodki ist mein Zuhause geworden und wir haben es mit so viel Mühe
und Hilfe aufgebaut. Es steht für einen Neuanfang und für Menschlichkeit. Prigorodki
macht den Unterschied. Alternativen hätten wir genug, oh ja. Aber ich lasse mir
das jetzt nicht von einem Irren kaputt machen! Trotzig renne ich immer weiter
den Schienen entlang durch den Strömenden Regen. Scheißkerl! Meine Wut stachelt
mich zu Höchstleistungen an und selbst den nagenden Hunger, den ich nur mit ein
paar Äpfeln und etwas Pastete gestillt habe, hält mich nicht auf. Keuchend erreiche
ich die Schule in Elektrozavodsk und durchsuche sie nach Brauchbarem.
Leider gibt es nichts zu finden. Eine Bambi-Fahne als Wink des Schicksals wäre
jetzt absolut episch gewesen, aber das Schicksal hat daran kein Interesse.
Schade. Tabasko meldet sich gemeinsam mit Shizo per Funk und ich setze sie ins
Bild. Die drei sind im anderen Chernarus am Werken. Auch unser Vlad
gesellt sich dazu und er hat sofort vor, mir zu helfen. Ich durchsuche noch das
Krankenhaus in Elektrozavodsk, aber leider finde ich keine rote Notarzt-Kleidung.
Während ich stur weiterrenne, grübele ich mit Vlad und Tabsko darüber, welche
Kleidung man am besten nun in die Bambi-Zelte packen sollte. Ziemlich alltäglich
inmitten dieser Stresssituation, aber was will man machen? Mehr als rennen kann
ich gerade ohnehin nicht. Also zurück zur Kleidung. Es wird ja Sommer. Sind
Jägerklamotten da noch zeitgemäß? Tabasko erklärt, dass Charly der festen
Überzeugung sei, man könne auch problemlos weiße Jägerkleidung tragen. Gerade
möchte ich darauf etwas entgegnen, da gesellt sich Charly in Persona dazu. „Wenn
man von der Sonne spricht, schickt sie ihre Strahlen!“, grüße ich ihn freundlich.
Dani mimt den Eifersüchtigen und ich ziehe ihn damit etwas auf. Charly meint
jedoch, ich habe bereits ein neues Herzblatt. In der Tat… „Ja, unser
Sniper-Typ. Den habe ich in mein Herz geschossen… ähm ich meine er hat in mein
Herz geschossen.“, beginne ich zu erklären. Wir witzeln noch etwas. Ach die
Jungs…. Zumindest die Moral halten sie aufrecht und ich bin zwar noch immer
sehr wütend und enttäuscht über das Verhalten des Fremden, aber zumindest bin
ich nicht allein. Ich warne Vlad davor, zu nahe ans Camp zu kommen und er
bedankt sich. Charly meint, wir benötigen im Camp auf alle Fälle wieder den „heiligen
Manfred“. Dieser würde das Camp beschützen, denn solange er stand, kam kein
Sniper ans Camp. Ja… das stimmt schon auf die ein oder andere Art, aber wie
viele Leute auf den Turm kletterten und sich dann runterstürzten? Nein das muss
nicht sein. Schon gar nicht an einem Bambi-Auffanglager. Der Turm hatte einen
schlechten Einfluss auf uns, sofern ein Turm so etwas ausüben kann. Unterwegs jage
ich vor Bubis Scheune (der noch immer nicht zurückgekehrt ist) ein paar Ziegen
und nehme ihr Fleisch mit. Bei einem liegengebliebenen Zug bekämpfe ich
zahlreiche Zombies und nehme mir einen großen grünen Wanderrucksack. Prima,
darin habe ich genügend Platz für weitere Dinge. Ich entdecke bei Cap Golovo
noch ein grünes Fass in einem Schuppen, das ich für uns gleich sichere. Ich
laufe ohne das Fass weiter und höre Schüsse aus Richtung des Chernogorsker
Industriegebiets. Jupp, das ist das gleiche Geräusch wie vorhin. Ein Schock
fährt mir durch die Glieder. Ich funke, ob bei Vlad alles in Ordnung ist. Er
berichtet, dass er beim Haus am Berg vor Prigorodki war und jemand versucht
hat, ihn zu treffen. Aber er hat es überlebt und ist zum Glück nicht stark
verletzt. Ich beschließe meinen Rucksack im Feld liegen zu lassen zu schleiche
mich in Richtung des Rohbaus von Osten her. Vlad behält die Seite des Hauses im
Auge und ich schleiche mich von unten an. Langsam schleiche ich mich nach oben.
Dann beschließe ich, auf‘s Ganze zu gehen. „Hallo böser Sniper, bist du hier?“,
rufe ich laut. Was Besseres ist mir nicht eingefallen…Keine Antwort. Aber ich
entdecke einen Kartoffelsack. Ich suche alles ab. Niemand ist da. Aber dort in
einer Ecke strahlt mich etwas an: Das gelbe Fass! Unser Fass! Bei näherer
Betrachtung sehe ich, dass es zu einem Feuerfass umfunktioniert wurde, aber es
muss unser Fass sein. Das würde ich überall erkennen. Der Lurker-Sniper hat
darin einen Teil meiner Ausrüstung untergebracht. Ich erkenne meinen roten
Rucksack wieder, den Begrüßungsteddy, meine Handschuhe, ein Leder-Reparatur-Set,
eine Axt, ein Fieberthermometer und einen Vorschlaghammer sowie ein
Konstruktions-Kit für Unterstände. Jupp, das müssen meine Sachen sein. Ein
prüfender Blick vom Rohbau aus bestätigt es. Ja, er hat von hier direkt auf
mich geschossen. Dieser miese kleine Frechdachs! Aber er ist spurlos
verschwunden. So, wie der mysteriöse Combat-Logger damals. Pah…. Nat gut, dann
kann ich hier nicht viel mehr tun. Ich bringe das Fass wieder zurück ins Auffang-Lager
und bringe mich in Sicherheit. Leider finde ich den Rucksack im Feld nicht
mehr, das bedeutet, dass jemand anderes ihn gefunden haben muss. Schade um das
ganze Ziegenfleisch, aber vielleicht hilft es dem Fremden ja. Solange es nicht
der Lurker-Sniper war… den würde ich zu gerne mal sprechen. Aber dann bitte
ohne, dass er eine Waffe in der Hand hat.
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Am Abend gesellt sich Jammet noch zu uns ans Lager. Von
dem Sniper gab es soweit keine Spur mehr. Ich denke für heute hat er wohl genug
gemordet. Ich hole mir aus dem Camp neue rote Notarzt-Kleidung und fühle mich
gleich schon viel wohler in meiner Haut.
S-TLK, Kanu und Jammet kommen etwas später mit einem
grünen Sarka voller Ausrüstungsgegenstände vorbei und wir füllen die Unterstände
und Zelte mit neuen Gütern auf. Soweit sind wir hier fertig. Ich lege mich hin
und grüble noch darüber, ob wir hier nun bleiben oder doch weiterziehen
sollen. Die kommenden Tage werden es zeigen.