Fragmente eines Urteils

  • OOC:
    An alle Leser - es handelt sich bei dem Geschriebenen um die Geschichte meines Charakters E.C.H.O.
    Da alle Geschehnisse in der Vergangenheit liegen, macht es wenig Sinn in Charakter darauf einzugehen.
    Seid also bitte so lieb und haltet hier die Kommentarsektion frei. Vielen Dank für´s Lesen! ^^

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    Teil I – Die Ordnung

    Der Raum ist still.

    Nur das Knistern der Neonröhre an der Decke bricht das Schweigen.

    Ein Mann steht da, unbeweglich, wie aus Stein gegossen.

    Seine Stiefel glänzen, jeder Schnürsenkel sitzt in der exakten Symmetrie eines Kreuzes.

    Die Uniform faltenlos, der Kragen hart, der Blick starr.

    Er bewegt sich nicht willkürlich, niemals. Jeder Schritt, jede Geste, jeder Atemzug ist vorherbestimmt.

    Wie eine Maschine, die gelernt hat, menschliche Bewegungen nachzuahmen.

    Seine Hände sind nicht ruhig. Sie zittern nicht – aber sie suchen Halt. Immer wieder gleiten

    sie an den Nähten seiner Kleidung entlang, als prüfe er, ob die Ordnung noch da ist.

    Auf dem Tisch liegt Papier. Sauber gestapelt, Blatt auf Blatt, in perfekter Kante.

    Darauf Zahlen. Endlose Zahlen, in Spalten und Reihen.

    Geschrieben mit einem Druck, der die Linien tief in die Oberfläche frisst.

    Kein Spielraum für Fehler. Keine Unschärfe.

    Ein Knacken.

    Das Funkgerät erwacht. Rauschen, dann eine Sequenz.

    Seine Finger greifen mechanisch zum Stift. Er schreibt, notiert, korrigiert, streicht, wiederholt.

    Die Welt um ihn herum verschwimmt – nur der Code bleibt scharf.

    Doch manchmal, ganz selten, taucht ein anderes Bild auf.

    Ein leises Bellen, kaum hörbar, so fern wie eine Erinnerung, die fast nicht mehr glauben lässt, dass sie echt war.

    Fell, weich unter den Fingern. Ein Tier, das nicht urteilte, nicht fragte, nicht forderte.

    Ein Hund, dessen Augen so klar waren, dass sie die Ordnung bedeutungslos machten.

    Der Mann blinzelt, als wollte er die Erinnerung verjagen.

    Sein Blick fällt zurück auf die Zahlen, die ihn festhalten, wie Ketten aus Tinte.

    Die Neonröhre flackert. Der Schatten an der Wand wirkt länger, schmaler, verzerrt.

    Er richtet den Stuhl exakt im rechten Winkel zum Tisch aus.

    Er setzt sich.

    Er schreibt weiter.

    Das Bellen verstummt.

    Nur das Echo der Ordnung bleibt.

    Einmal editiert, zuletzt von E.C.H.O. (21. September 2025 um 00:14)

  • Teil II – Die Stimmen

    Die Dunkelheit des Raumes ist schwer.

    Die Neonröhre hat aufgehört zu flackern, nun summt nur noch das Funkgerät.

    Ein gleichmäßiges, kaltes Rauschen.

    Dazwischen: Bruchstücke. Zahlen, Befehle, Fragmente.

    Der Mann schreibt.

    Die Tinte drückt tiefer, als das Papier tragen kann.

    Die Linien reißen.

    Schwarze Flecken breiten sich aus wie Risse in Glas.

    Manchmal wiederholt er die Sequenzen lautlos mit den Lippen.

    Manchmal drückt er die Zähne so fest aufeinander, dass die Muskeln an seinem Hals zittern.

    Die Stimmen im Funkgerät sind nicht mehr bloß Signale. Sie werden Gestalten, Gesichter, Schatten.

    Vor seinem Gesicht formen sie sich - Sie bellen ihn an.

    Er hebt den Kopf.

    Es durchbricht das Rauschen.

    Bellen?

    Klar, hell, lebendig.

    Seine Hand hält inne, der Stift fällt zu Boden.

    Die Erinnerung hält ihn.

    Ein Hund, der an seiner Seite lief, dessen Atem in der kalten Morgenluft sichtbar war.

    Ein Wesen ohne Lügen, ohne Urteil, ohne Schuld.

    Für einen Augenblick kehrt Ruhe zurück.

    Die Stimmen verstummen, als hätten sie Angst vor dem Echo dieser Erinnerung.

    Doch es hält nicht lange.

    Das Funkgerät knackt, neue Sequenzen schneiden in die Luft.

    Lauter, dringlicher, wie Befehle, die keine Widersprüche dulden.

    Der Mann greift den Stift, krallt ihn so fest, dass seine Knöchel weiß werden.

    Er schreibt, schreibt, schreibt.

    Das Bellen wird leiser.

    Die Stimmen bleiben.

    Und er – er schreibt.

    Einmal editiert, zuletzt von E.C.H.O. (21. September 2025 um 00:14)

  • Teil III – Das Protokoll

    Der Raum verändert sich.

    Nicht durch Möbel oder Licht, sondern durch Unordnung.

    Auf dem Tisch liegen die Blätter - verstreut. Sie sind beschriftet, nummeriert.

    Kästchen, Spalten, Zahlen.

    Ein Raster, das größer ist als der Raum selbst.

    Der Mann spricht nicht.

    Seine Stimme existiert nur auf Papier.

    Linien und Ziffern, die wie Adern über die Seiten kriechen.

    Ein Organismus aus Codes, dessen Herzschlag er allein versteht.

    Das Funkgerät rauscht weiter, unermüdlich.

    Die Stimmen sind nicht mehr fremd.

    Sie sind integriert.

    Fragmente werden zu Mustern, Muster zu Regeln.

    Jede Zahl bedeutet etwas.

    Jedes Wort ein Urteil.

    Er beginnt zu schreiben.

    Keine Namen, nur Bezeichnungen.

    Keine Geschichten, nur Verstöße.

    Kein Zweifel, nur Konsequenzen.

    Der Stift gleitet gleichmäßig.

    "Subjekt 4-1-2-9. Tatvorwurf: Luxuria. Urteil: SCHULDIG"

    Der Rhythmus des Schreibens ist der neue Pulsschlag.

    Die Blätter häufen sich, ein Turm aus stillen Urteilen.

    Und während draußen Wind gegen die Wände schlägt,

    entsteht im Inneren eine neue Welt.

    Eine Welt ohne Gnade, ohne Zwischentöne.

    Nur Schwarz.

    Nur Weiß.

    Nur Schuld.

    Nur Urteil.

    Das Protokoll wächst.

    Und der Mann verschwindet darin.

    2 Mal editiert, zuletzt von E.C.H.O. (21. September 2025 um 00:15)

  • OOC-Hinweis:

    Die nachfolgende Geschichte enthält sensible Themen wie psychische und körperliche Gewalt, Folter sowie traumatische Erfahrungen.
    Diese Inhalte dienen ausschließlich der Darstellung einer fiktiven Charakterentwicklung im Rahmen des Roleplays.
    Sie sollen nicht verharmlosen, verherrlichen oder reale Erfahrungen abbilden. Bitte bedenkt dies beim Lesen und achtet auf eure persönlichen Grenzen.

    Teil IV – Der Widerstand

    Flackerndes Neon.
    Kahle Wände, dahinter Glas.
    Schemen bewegen sich – Beobachter.
    Unantastbar.

    In seinen Händen eine Waffe.
    Schwer, kalt, der letzte Rest von Kontrolle.
    Die Mündung richtet sich gegen das Glas.
    Ein Schuss.
    Das Echo hallt in den Raum, Funken spritzen.
    Doch das Glas hält.
    Die Schatten dahinter bewegen sich nicht.

    Stattdessen – ein Zischen.
    Elektroden erwachen.
    Nadeln graben sich tiefer.
    Schmerz, elektrisch, gnadenlos.
    Sein Körper windet sich, doch er wird gehalten.

    Sie brechen ihn nicht mit Worten.
    Sie brechen ihn mit Werkzeugen.

    Dann stellen sie ihn vor eine Wahl.
    Ihn – oder den Mann, der weinend auf dem Boden sitzt.
    Verzweifelt. Zitternd.
    Die Augen voller Flehen.

    Aber die Akte liegt aufgeschlagen daneben.
    Klar, kalt, nüchtern.
    Daten, Beweise, Taten.
    Kein Zweifel.
    Keine Frage.
    Die Schuld ist echt.

    Keine Exekution erfolgt grundlos.
    Niemals.

    Die Waffe sinkt.
    Ein Moment der Stille.
    Dann fällt die Entscheidung.

    Das Glas bleibt ungebrochen.
    Doch ein anderer Mensch bricht in diesem Augenblick–
    und er versteht, dass es keinen Ausweg gibt.
    Nur das Urteil.
    Nur den Weg des Richters.

    Einmal editiert, zuletzt von E.C.H.O. (21. September 2025 um 00:18)

  • Teil V – Die Masken

    Licht flackert. Schatten tanzen.

    Gesichter verschwimmen, verlieren ihre Ränder.

    Mal Freund, mal Fremder. Mal Bruder, mal Feind.

    Die Stimmen, die früher nur rauschten, tragen jetzt Gesichter.

    Doch keines bleibt.

    Ein Mann tritt näher. Setzt ihm eine Maske auf.

    Ein anderer nimmt sie ab.

    Dann wieder dieselbe Bewegung.

    Auf, ab, auf, ab.

    Wie ein Ritual, kalt und mechanisch.

    Die Maske fühlt sich fremd an.

    Riecht nach Metall und Schweiß, nach all den Händen, die sie zuvor berührt haben.

    Und doch bleibt sie länger auf seinem Gesicht.

    Die Pausen werden kürzer, die Übergänge schneller.

    Bis er beginnt, sie selbst zu halten.

    Mit beiden Händen, fester, entschlossener.

    Kein Spiegel, keine Reflexion.

    Nur die Augenlöcher, schwarz wie Gräber.

    Er merkt: niemand fragt mehr, wer darunter ist.

    Niemand will das Gesicht sehen.

    Niemand erinnert.

    Und er versteht – hinter der Maske ist er sicher.

    Kein Mensch mehr, den man brechen kann.

    Kein Opfer, nur eine Stimme.

    Das Gesicht ist unwichtig geworden, die Maske spricht an seiner Stelle.

    Die Masken werden mehr.

    Eine für das Schweigen.

    Eine für das Urteil.

    Eine für die Exekution.

    Er wählt sie nicht – sie wählen ihn.

    Und irgendwann: kein Unterschied mehr.

    Nicht mehr abnehmen.

    Nicht mehr zeigen.

    Denn unter der Maske wartet nur ein Mensch.

    Und Menschen zerbrechen.

    Ein Echo nicht.

    Einmal editiert, zuletzt von E.C.H.O. (22. September 2025 um 18:24)

  • Teil VI – Das Trauma

    Ein Raum.

    Steril.

    Kacheln glänzen.

    Metallisch, kalt.

    Ein Lautsprecher knistert.

    Keine Stimme. Nur Zahlen.

    „19–21–2–10–5–11–20 … 5–3–8–15.“

    Wieder und wieder.

    Gleichförmig. Unerbittlich.

    Dann Nadeln.

    Elektroden erwachen.

    Der Schmerz bohrt sich tiefer, brennt in die Knochen.

    Der Körper schreit.

    Zahlen fluten seinen Kopf.

    Morsezeichen. Codes. Reihen, die sich drehen.

    Kein Halt in Sprache. Kein Halt im Gesicht derer, die ihn brechen.

    Nur die Ordnung der Zahlen.

    Für einen Moment – ein Fragment.

    Etwas Weiches.

    Fell. Warm.

    Doch es bleibt nicht.

    Verblasst.

    Wie ein Restbild, das zu lange auf einer Leinwand gebrannt war.

    Isolation.

    Zwang.

    Die Grenzen von Mensch und Werkzeug verschwimmen.

    Er stirbt nicht.

    Aber etwas anderes stirbt in ihm.

    Und was bleibt –

    ist keine Erinnerung mehr.

    Nur noch E.C.H.O.

  • Teil VII – Der Freund

    Ein Feuer.

    Nicht groß, nicht hell, nur ein kümmerlicher Kreis aus Glut inmitten von Wind und Regen.

    Doch in der Dunkelheit wirkt es wie eine Sonne.

    Zwei Männer sitzen davor.

    Müde Gesichter, Ränder von Dreck, Hände, die mehr Narben als Haut tragen.

    Aber sie lachen. Kein lautes Lachen – eher ein Aufbrechen, ein kurzes Aufatmen,

    als hätte das Elend für einen Moment keine Macht.

    Der eine von ihnen: ein Mann mit einem Lächeln, das trotz allem noch warm wirkt.

    Nicht scharf, nicht kalt, sondern ehrlich.

    Ein Lächeln, das der Kälte für einen Atemzug trotzt.

    Neben ihnen liegt der Hund.

    Ein Mischling, zottelig, dünn. Sein Atem dampft in der kalten Luft.

    Er rückt näher, wenn der Wind zu stark wird. Drückt seinen Kopf gegen den Mann mit dem Lächeln,

    so wie er es immer tat, wenn er spürte, dass Stille zu schwer wurde.

    Das Fell riecht nach Erde und Rauch.

    Das beruhigt.

    Der Freund bricht ein Stück Brot in zwei Teile.

    „Hier. Nimm.“

    Die Kruste ist hart, fast steinig, aber es ist Brot. Ein Luxus.

    Wasser folgt – abgestanden, metallisch – aber geteilt wie Wein unter Brüdern.

    „Wir schaffen das. Zusammen.“

    Die Stimme des Freundes trägt Gewicht.

    Nicht das eines Befehls, sondern das einer Wahrheit.

    Und der Mann mit dem Lächeln glaubt ihm.

    Wie könnte er nicht?

    Er sieht das Feuer, den Hund, das Brot.

    Sie sind noch am Leben – und das reicht.

    Später, im Traum, wiederholt sich diese Szene.

    Immer wenn die Kälte der Zelle ihn verschlingen will, kommt sie zurück.

    Das Feuer.

    Der Hund, warm und atmend an seiner Seite.

    Und die Hand des Freundes auf seiner Schulter.

    „Wir schaffen das.“

    Noch ohne Bitterkeit.

    Noch voller Hoffnung.

  • Teil VIII – Das Versprechen

    Regen.

    Fein, kalt, fast unsichtbar.

    Er rinnt über die Gesichter, klebt an den Haaren,

    sammelt sich in den Nähten der Kleidung.

    Die beiden Männer gehen Seite an Seite.

    Der Hund voraus, springt zwischen Pfützen, bleibt immer wieder stehen,

    um sicherzugehen, dass sie folgen.

    Sein Schwanz wippt wie ein Metronom.

    „Wir sind bald da.“

    Die Stimme des Freundes klingt fest.

    Zu fest.

    Wie eine Überzeugung, die mehr für ihn selbst bestimmt ist als für den, der zuhört.

    „Und dann?“

    Die Frage kommt leise. Nicht misstrauisch, nur vorsichtig.

    Der Mann mit dem Lächeln schaut hinüber, sucht in den Augen des Freundes eine Antwort, die mehr wie Zukunft klingt.

    „Dann… haben wir Ruhe. Ein Dach. Sicherheit. Vielleicht sogar mehr.“

    Das Wort mehr hängt einen Moment in der Luft.

    Mehr als was? Mehr als Hunger, mehr als Nächte, die von Schüssen zerrissen werden?

    Oder mehr als nur Überleben?

    Sie erreichen eine Anhöhe.

    Unten im Tal: ein Bauwerk aus grauem Beton.

    Hoch, fensterlos, fast verschluckt vom Nebel.

    Es wirkt leblos. Aber nicht verlassen.

    Der Hund knurrt.

    Kurz, tief, wie ein leiser Warnruf.

    Der Freund geht in die Hocke, legt ihm die Hand auf den Nacken.

    „Schon gut. Alles in Ordnung.“

    Doch die Spannung in seiner Stimme verrät etwas anderes.

    Der Mann mit dem Lächeln bleibt stehen.

    Blickt auf das Gebäude, das eher wie ein Käfig als wie ein Zufluchtsort wirkt.

    „Das soll es sein? Dort drin?“

    Ein Nicken.

    „Nur für eine Weile. Sie brauchen Männer wie uns. Und wenn wir ihnen helfen, helfen sie uns. So läuft das.“

    Die Worte klingen geübt, vorbereitet.

    Ein Versprechen, das schon oft wiederholt wurde.

    Doch es trägt Gewicht – das Gewicht von Vertrauen.

    Der Mann mit dem Lächeln legt die Hand auf die Schulter des Freundes.

    Der Hund bellt einmal, laut, bricht den Moment.

    Dann laufen sie weiter, in Richtung Beton und Nebel.

    Später, in der Zelle, wird er diese Szene wieder sehen.

    Nicht mehr mit Brot und Feuer – sondern mit Mauern und Versprechen.

    Und das Echo davon wird lauter sein als jeder Schuss.

  • Teil IX – Der Verrat

    Kälte.

    Die Zelle atmet mit. Stein zieht jede Wärme aus den Knochen.

    Er liegt, halb wach, halb gefangen in den Bildern, die immer wiederkehren.

    Feuer, Brot, ein Lachen, das vertraut klingt.

    Ein Versprechen. „Bei mir bist du sicher.“

    Doch Sicherheit ist ein Wort, das in dieser Welt nur noch auf Messern liegt.

    Die Bilder kippen.

    Das Feuer erlischt. Der Freund bleibt – aber das Lachen wird dünner, gezwungener.

    Augen, die nie ganz in die seinen sehen.

    Dann der Tag.

    Tore, die sich öffnen. Männer mit Klemmbrettern, Masken ohne Namen.

    Der Freund führt ihn hinein.

    Eine Hand auf der Schulter, so wie früher, nur schwerer, fester, fast wie ein Griff.

    Der Hund zieht an der Leine, bellt, springt.

    „Er darf nicht mit“, sagt jemand.

    Protest, ein Blick nach hinten – da reißt ein Wächter die Waffe hoch.

    Ein Knall. Ein Jaulen, scharf und kurz.

    Stille.

    Das Versprechen bricht im gleichen Moment wie der Nacken des Tieres.

    Hände zerren ihn weiter.

    Die Tür fällt ins Schloss. Metall, das jede Hoffnung verschluckt.

    Von der Zelle aus, jetzt, Jahre später, sieht er noch einmal den Rücken seines Freundes.

    Wie er nicht zurückschaut.

    Wie er geht.

    Und er versteht.

    Es ging nie um ihn. Es ging darum, jemanden zu bringen, um selbst verschont zu werden.

    Nicht aus Hass. Nicht aus Pflicht.

    Aus Angst.

    Er lacht. Ein Laut aus Verzweiflung.

    Lachen, das gegen die Zellenwände stößt.

    Das Gesicht seines Freundes verschwimmt im Dunkel.

    Es bleibt nur das Bild eines leeren Halsbandes, das niemals zurückgebracht wurde.

  • Teil X - Der Riss in der Stille


    Beton. Eisen. Atem, der an der Zellenwand zurückprallt.
    Nichts bewegt sich. Selbst die Schatten wirken müde.

    Ein Tropfen fällt. Irgendwo.
    Die Luft schmeckt nach Rost und Desinfektion – sauber, aber tot.

    Er sitzt. Hände auf den Knien, leer.
    Nicht gefesselt, aber gefangen in Etwas, das größer zu sein scheint, als alles Andere.
    Freiheit ist ein Geräusch, das er nicht mehr erkennt.

    Dann: ein Knall.
    Kurz, fremd, wie ein Herzschlag, der nicht seiner ist.
    Ein Alarm verstummt, bevor er richtig beginnt.
    Schritte. Stimmen. Chaos, das er nicht versteht.

    Die Tür steht offen.
    Ein Spalt, kaum sichtbar.
    Ein Luftzug schiebt den Staub hinein, trägt den Geruch von Erde, von Leben.

    Er sieht sie lange an.
    Zu lange.
    Die Finger zucken, aber die Beine bleiben still.
    Die Kälte der Zelle hält ihn fester als jede Fessel.

    Schließlich steht er doch auf.
    Tritt näher.
    Die Hand berührt das Metall, kalt und feucht.
    Draußen: Geräusche, Wellen, Wind, etwas, das ruft.

    Er zieht die Tür langsam auf.
    Nur einen Spalt weit genug, um zu sehen.
    Flackerndes Licht, ein leerer Gang, Blut an der Wand.
    Niemand da.

    Sein Atem stockt.
    Für einen Moment denkt er, das sei Freiheit.
    Dann begreift er, dass sie ihn nicht will.
    Nicht mehr.

    Er schließt die Tür wieder.
    Langsam, leise, bis das Schloss einrastet.
    Setzt sich zurück.
    Legt die Hände auf die Knie.
    Wartet, bis das Licht wieder flackert und alles so aussieht wie vorher.

    Nur der Wind bleibt.
    Ein Hauch durch die Ritzen, wie ein Versprechen, das er nicht glaubt.

  • Teil XI: Der Weg, den keiner wollte

    Die Nacht riecht anders.
    Nicht nach Chlor und kaltem Eisen, sondern nach Rauch.
    Irgendwo brennt etwas – leise, hungrig, wie eine Erinnerung, die wieder atmen darf.

    Echo öffnet die Augen.
    Die Zelle ist nicht mehr still.
    Gedämpfte Rufe hallen durch die Gänge, dumpf, chaotisch.
    Etwas ist passiert. Wieder ein Alarm. Wieder ein Riss in der Ordnung.

    Er steht.
    Langsam, wie jemand, der es verlernt hat.
    Die Tür – offen. Diesmal weiter. Kein Zufall mehr.
    Dahinter: Dunkelheit. Bewegung. Ein Körper, der an der Wand lehnt, ohne Kopf.

    Er geht hinaus.
    Nicht rennend, nicht fliehend.
    Nur gehend. Schritt für Schritt, als würde ihn etwas Unsichtbares führen.

    Der Boden ist feucht. Blut zieht Linien, denen man folgen könnte, wenn man wollte.
    Er folgt ihnen nicht.
    Seine Hände zittern, aber nicht vor Angst – eher, weil sie zu lange nichts mehr gehalten haben.

    vor einer Zelle liegt etwas. Papier. Eine Akte, halb verbrannt, halb vergessen.
    Sein Name oben, eingeritzt wie ein Urteil.

    Er nimmt sie auf.
    Blätter, Seiten, Berichte.
    Über ihn. Über das, was sie glaubten, dass er ist.
    Er liest nichts. Noch nicht.
    Er faltet sie grob zusammen, steckt sie unter den Arm, als wäre das Gewicht vertraut.

    In der Ferne schreien Männer.
    Befehle, Schüsse, metallische Echos.
    Er biegt ab, instinktiv, hin zu einem alten Ausgang, den er nie benutzen durfte.

    Der Wind trifft ihn wie ein Schlag.
    Kalt. Echt.
    Zum ersten Mal seit – wie lange? – riecht er Salz. Meer. Freiheit.

    Aber Freiheit fühlt sich fremd an.
    Er schaut zurück, auf die Mauern, auf den Rauch, auf das Feuer, das irgendwo alles verschlingt.
    Dort drinnen lag die Ordnung.
    Hier draußen: nichts.

    Er schwankt.
    Die Knie wollen zurück. Das Herz nicht.
    Dann sieht er sie – Spuren im Schlamm, groß, tief. Männer, die gerannt sind.
    Und daneben, etwas rundes, halb vergraben.

    Er kniet nieder.
    Er zieht es heraus – ein Halsband.
    Leder, aufgequollen, eingerissen. Eine Gravur kaum noch lesbar.

    Er streicht mit dem Daumen darüber, als könne er den Namen zurückholen.
    Dann steht er auf.
    Im Hintergrund kollabiert das Gebäude. Stahl schreit, Beton fällt.

    Er geht weiter, Richtung Ufer.
    Kein Plan, kein Ziel.
    Nur die Gewissheit, dass, wenn er stehen bleibt, die Zelle wiederkommt – in seinem Kopf, in seiner Haut, in seinen Träumen.

    Das Meer liegt schwarz vor ihm.
    Ein Boot liegt vor ihm am Wasser.
    Er steigt hinein.

    Der Himmel ist grau. Der Wind trägt Asche.
    Er legt das Halsband und die Akten neben sich.
    Dann greift er nach dem Ruder.

  • Das Meer liegt wie Öl.
    Schwer. Schwarz.
    Kein Wind, der weiß, wohin.

    Echo sitzt mitten drin.
    Das Boot schaukelt seicht - fast so, als würde es atmen.
    Zwischen seinen Beinen die Akten.
    Feucht, wellig,
    Tinte läuft über Ränder wie Blut über Wunden.

    Er zählt.
    Immer wieder.
    5....3....8.....15
    dann wieder nichts.
    Zahlen kreisen,
    werden zu Flüstern,
    zu Stimmen ohne Körper.

    Sein Kopf kippt zur Seite.
    Die Lippen bewegen sich,
    doch der Hals verweigert den Ton.
    Das Salz brennt in den Rissen der Haut.

    Vor ihm, über dem Wasser,
    Gesichter.
    Keine echten.
    Fratzen aus Schaum,
    Augen aus Licht,
    Münder aus Dunkel.
    Sie lächeln.
    Ziehen Grimassen,
    spucken Worte, die er nicht versteht.

    Ein Kichern, das nicht vom Wind kommt.
    Ein Finger, der aus der Tiefe ragt,
    zeigt auf ihn, lacht –
    oder betet.

    Echo reißt die Hände hoch.
    Er schlägt um sich,
    gegen nichts, gegen alles.
    Die Fratzen reißen weiter ihre Münder auf,
    und er versucht zu schreien.

    Die Lippen bewegen sich,
    doch kein Laut kommt.
    Das Salz frisst die Stimme,
    wie es die Haut gefressen hat.

    Echo versucht aufzustehen.
    Der Körper folgt nicht.
    Die Hände zittern,
    als wollten sie sich selbst loswerden.

    Die Akten rutschen nach vorn,
    ein paar Blätter reißen.
    Ein Satz bleibt hängen:
    „Subjekt zeigt deutliche Dissoziation vom Ich.“
    Er starrt darauf,
    bis die Buchstaben anfangen, zu atmen.

    Wieder Zahlen.
    5....3....8....15
    Sie flackern in seinem Kopf,
    tauchen auf der Innenseite der Lider auf,
    wie Brandzeichen,
    bis er sie nicht mehr zählen kann.

    Der Himmel bricht auf.
    Das Boot stößt gegen etwas.
    Land, vielleicht. Oder nur Schlamm.

    Echo fällt aus dem Boot.
    Die Knie schlagen auf,
    der Sand klebt an den Akten, an der Haut, an allem.
    Er kriecht.
    Langsam, mechanisch, wie etwas, das vergessen hat, warum.

    Das Meer zieht hinter ihm zurück.
    Er bleibt liegen.
    Die Finger verkrampfen sich um das Halsband,
    das auf seiner Brust liegt.
    Metall, kalt, stumm.

    Vor ihm: Stiefel.
    Schwarz. Breit.
    Schlamm rinnt an ihnen hinunter.

    Echo hebt den Kopf,
    bis der Blick bricht.

    Dann nichts mehr.
    Nur das Meer, das wieder atmet.