Missing in Action (Tagebuch)

  • Von Tri Dolini über Solnichniy bis nach Berezino


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    "Always trusted too much, it was all I had

    I was blind to the darkness in everyone I know."


    Ich erwache durch das eindringliche Rufen von Hirschen, deren Klagen wie ein ferner, melancholischer Ruf nach Freiheit klingen. Das habe ich schön formuliert, oder? Tatsache ist, dass mir das Röhren nach einiger Zeit tierisch auf die Nerven geht. Okay, es ist endlich mal ein Reiz von außerhalb, aber irgendwann ist auch gut damit… Jedenfalls weiß ich definitiv, dass ich mich nahe eines Waldes befinden muss und die Wände der Hütte, in der ich mich noch immer befinde, wirken bedrückender als je zuvor. Zwar gibt es hier einen Kamin und ich überlege, ob ich nicht irgendwie ein Feuer entfachen könnte, um jemanden mit dem Rauch auf mich aufmerksam zu machen, aber leider finde ich nichts zum Anzünden. Papier und Holz könnte ich mir beschaffen, aber es scheitert an Streichhölzern oder einem Feuerzeug.


    Doch meine Zeit hier ist ohnehin wieder nur begrenzt, wie sich bald herausstellt. Um die Mittagszeit werde ich erneut ... "abtransportiert".


    Dieses Mal führt mich mein Weg in einen kleinen Verschlag in Solnichniy. Die Umgebung ist noch unbarmherziger als alles, was ich bisher erlebt habe. Keine Annehmlichkeiten, kein Bett, nicht einmal die dürftige Wärme eines provisorischen Schlafplatzes. Nur eine kalte, kahle Mauer und ein schmaler Lüftungsschacht, durch den gelegentlich ein Hauch frischer Luft und etwas Licht von außen hereinströmt. Es fühlt sich weniger wie eine Zelle und mehr wie ein Lagerraum an, in dem ich nur beiläufig deponiert wurde. Dennoch ist es wieder da – das gelbe Fass, mein stummer Begleiter, der sich wie ein drohender Schatten an meine Fersen heftet. Ob sie das Ding immer mitschleppen oder sich einen Vorrat angelegt haben? Ich frage mich wieder einmal, wie viel Aufwand diese Menschen betreiben müssen. Wie viele Verstecke haben sie gebaut? Und warum?


    Auch wenn die Fragen immer wiederkehren, hat sich doch etwas hat sich verändert: Meine Entführer wirken angespannt. Die flüchtigen, kaum wahrnehmbaren Zeichen sind da – ein nervöses Zucken, angespannte Stimmen, kurze Befehle. Sie wissen wohl, dass man ihnen auf den Fersen ist.


    Draußen höre ich geschäftiges Treiben. Stimmen hallen durch die Luft, begleitet vom Poltern schwerer Kisten. Ich spüre ihre Rastlosigkeit, höre Flüche und Rufe, als die Entführer ihre Arbeit in Eile verrichten und ich schnappe ein paar Mal das Wort „Berezino“ auf. Zeit, aktiv zu werden! Ich nutze die Gelegenheit und hinterlasse einen weiteren Hinweis in der Kiste in meinem Verschlag: Eine Holunderbeere. Ein Geniestreich! Okay… nicht wirklich. Beeren… Berezino. Ich weiß, der Witz ist flach. Ich weiß, dass nicht sicher ist, ob Berezino wirklich unser Ziel ist. Aber ich weiß, dass meine Freunde genau diesen Hinweis verstehen werden. Wie oft haben wir Berezino liebevoll „Bere“ genannt. Das muss einfach hinhauen…

    Wie gut, dass ich auf dem Weg hierher heimlich eine eingesteckt habe.


    Noch bevor ich mir weitere Gedanken über weitere Hinweise machen kann, werde ich wieder aus meinem Verschlag geholt. Das gleiche Ritual, wie immer. Die gleichen Anweisungen, die gleiche Ohnmacht.


    Unser Ziel scheint in der Tat Berezino zu sein. Ich werde in ein leerstehendes Gebäude gebracht, dessen Wände nur bedingt mehr Trost spenden als die, die ich zuvor in Solnichniy zurückließ. Dennoch bin ich froh, in einem Wohnraum zu sein und nicht mehr in dem kalten unwirtlichen Lagerraum. Die neue Zelle unterscheidet sich in Sachen Größe jedoch kaum von den anderen. Ein weiteres Gefängnis, ein weiterer Punkt auf einer scheinbar endlosen Reise.


    Als ich mich allein glaube, wage ich es, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Ich höre das kehlige Grollen aggressiver Zombies und hoffe, dass vielleicht jemand in der Nähe ist, um darauf aufmerksam zu werden. „Hallo? Ist da jemand?“ Meine Stimme hallt durch die Wände, verliert sich in der Leere. Doch wie schon so oft bleibt mein Ruf nach Hilfe unbeantwortet.


    Ich lehne mich gegen die kühlen Mauern, meine Gedanken kreisen rastlos. Der ständige Wechsel, die Ruhelosigkeit meiner Entführer und bei Nacht die eisige Dunkelheit jedes neuen Verstecks – alles deutet darauf hin, dass sich das Netz um sie enger zieht. Aber wie lange kann ich das noch durchhalten?


    Wieder falle ich in die Routine des Wartens. Warten auf eine neue Verlegung. Warten darauf, dass meine Botschaften ihre Empfänger erreichen. Warten auf eine Chance.

  • Berezino, ein oder zwei Tage nach dem Transfer

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    "And it feels like a prison I'm living in

    Did I earn all the pain in the consequence?"



    Die kleine Zelle in Berezino bietet mehr Anschein von Normalität, als ich erwartet hatte – und dennoch keinen echten Trost. Ein altes, fleckiges Sofa steht in einer Ecke, der Stoff ist bereits stark von der Zeit gezeichnet. Wie lange ich nun hier genau bin, ist mir auch ein Rätsel. Vielleicht ein oder zwei Tage? Vor dem Fenster wurde eine Wellblechwand angebracht, die das Tageslicht blockiert und die Zelle in ewige Dämmerung taucht, daher ist es naturgemäß schwer eine Aussage zu treffen. Meinen Wecker haben sie mir auch abgenommen und das schmerzt momentan am meisten. Nur ein kleiner Ofen steht in einer Ecke, jedoch scheinbar nutzlos, denn weder Feuerholz noch Zündmittel sind vorhanden. Und natürlich ist auch mein ständiger Begleiter wieder da: das gelbe Fass. Es steht vor dem Gitter, das den Raum vom Rest der Wohnung trennt. Vor der Eingangstür türmt sich ein schweres Wellblechtor auf, ein unüberwindbares Hindernis.


    Dann höre ich es. Das vertraute, tiefe Brummen eines ADA-Motors. Mein Herz rast. Hoffnung keimt auf – vielleicht ist es jemand, der mich findet! Ich schnappe nach Luft und trommle verzweifelt gegen die Wände: „Hier bin ich! HALLO!“ Doch meine Hilferufe erreichen die falschen Ohren.


    „SCHWEIG!“ Chucks donnernde Stimme durchbricht die Stille. Mein Herz sackt in die Tiefe. „Scheiße…“, entfährt es mir, als ich in eine Ecke zurückweiche. Die Angst ist überwältigend. Das wird nicht gut ausgehen.

    „Hände hoch, Kopf an die Wand!“ Chucks Befehl hallt durch den Raum, seine schneidende Stimme duldet keinen Widerspruch. Zitternd folge ich seiner Anweisung. Ich höre das metallische Klicken des Zahlenschlosses, das mir verrät, dass die Entführer jeden Moment eintreten werden. Trotzdem ziehen sich die Minuten endlos, bis Chuck schließlich vor der Gittertür steht. „Umdrehen! Ganz langsam zurück!“ Seine Waffe ist auf mich gerichtet. Mein Körper gehorcht wieder einmal, als wäre er losgelöst von meinem Verstand. „Näher kommen, umdrehen!“ Seine Stimme ist kalt, unnachgiebig. Ich spüre seinen Blick auf mir, während ich mich erneut drehe und warte, bis er mir die Handschellen anlegt. Das kalte Metall schließt sich um meine Handgelenke, und die allzu vertraute Ohnmacht überrollt mich erneut.


    Das Tor wird geöffnet, und Chuck führt mich aus der Zelle. Mit der Waffe im Anschlag treibt er mich vor sich her, die Stufen des Treppenhauses hinunter. Wenn ich nicht schnell genug bin, spüre ich den harten Stoß des Kolbens seiner Waffe in meinem Rücken. Vermultich die Quittung für den Versuch, nach Hilfe zu rufen. Jeder Schlag lässt meine Schulter pochend zurück, doch ich halte den Schmerz zurück, bemüht, nicht zu stolpern.


    Unten angekommen wartet seine Komplizin bereits. Ich weiß nicht, warum, aber ich werde sie „Jane“ nennen. Sie sichert das Gebäude, ihre Haltung angespannt und wachsam. Dann sehe ich das Fluchtauto, einen blauen ADA. Die Zeit wird knapp. Ich muss handeln, bevor es zu spät ist. Ich lasse alle Vorsicht fahren, nutze den Moment und rufe aus voller Kehle: „HILFE! HIER BIN ICH!“ Bitte lass meine Stimme bis am Camp zu hören sein… jemand muss das doch mitbekommen, verdammt!


    Doch bevor mein Ruf verstummt, als beide Entführer sofort simultan nach mir schlagen. Ich stürze und falle. Meine Jacke ist komplett ruiniert, als ich im Schmutz der Straße lande. „RUHE!“ brüllt Chuck, und ich spüre den Schmerz, der durch meinen Körper schießt. Keuchend liege ich auf dem Boden. „Ihr Monster“, bringe ich hervor, doch meine Worte haben keine Wirkung. Schließlich werde ich auf die Füße gezerrt und gezwungen, in den ADA zu steigen. Widerwillig gehorche ich, ich habe keine Kraft mehr für den Kampf übrig.


    Wieder setze sich der Motor in Bewegung, und die Fahrt ins Ungewisse beginnt. Ich klammere mich an den Gedanken, dass die Schreie vielleicht doch jemanden erreicht haben könnten. Vielleicht bin ich nicht ganz verloren. Aber bis dahin bleibt nur die Dunkelheit, die mich umgibt, und die Ungewissheit, wo die Reise diesmal enden wird.

  • Auf nach Svetlojarsk

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    "I can feel them watching me while I'm learning to survive

    Staring at my broken will that I'm too tired to hide

    So many demons I can't escape, burning my bridges to light the way

    I can feel them watching me but I'll make it out alive

    I'm learning to survive."


    Der ADA rollt holprig über die Straßen und ich spüre jeden Stein, jede Unebenheit, die das Fahrzeug erzittern lässt. Das Brummen des Motors und das gelegentliche Fluchen meiner Entführer durchbrechen die drückende Stille. Meine Hände sind noch immer hinter meinem Rücken gefesselt, die Kälte des Metalls schneidet in meine Haut. Als ich aus dem Fenster sehe, erkenne ich Svetlojarsk wieder. Der Nebel hängt tief, die grauen Gebäude wirken verlassen und bedrückend. Es scheint, als würde dieser Ort seit Jahren nur noch vor sich hin verfallen. Trotzdem gibt es auch hier Hoffnung! Die Chuckle Chicks haben bei der Krankenstation ein provisorisches Bambi-Auffanglager errichtet. Vielleicht bemerkt mich ja jetzt endlich jemand? Ob meine Entführer absichtlich Stellen auswählen, die in der Nähe unserer Camps sind, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren? Durchtrieben und leichtsinnig. Ich hoffe, dass ihnen dieser Leichtsinn eines Tages das Genick bricht!


    In der Nähe der Kirche hält der ADA an. „Aussteigen und rein!“ Chucks Stimme ist schneidend, und ich gehorche, meine Bewegungen steif von der Enge der Handschellen und dem ständigen Sitzen. Seine Waffe bleibt auf mich gerichtet, als er mich in ein leerstehendes Gebäude führt. Ich weiß, was kommt. Ein weiterer Käfig, ein weiterer Raum, den ich mit meiner Verzweiflung füllen werde. Theatralisch.


    Die neue Zelle ist ähnlich wie die anderen, doch irgendwie scheint sie noch trostloser. Oder kommt es mir nur so vor? Der Raum ist klein und stickig. Eine Wellblechwand blockiert das einzige Fenster und lässt kaum Licht herein. Das gelbe Fass steht unheilvoll in der Ecke. Vor der Tür steht ein schweres Metalltor, das mich vom Rest des Gebäudes abschirmt. Das Gitter vor meinem Raum trennt mich erneut von der Welt, die ich nur durch Schlitze und Schatten wahrnehmen kann. Dieses Mal gibt es wieder ein Bett.


    „Hier bleibst du, bis wir dich wieder brauchen!“, befiehlt Chuck, bevor er mich mit einem harten Stoß in die Zelle schiebt. Die Handschellen werden mir abgenommen, dann knicken meine Knie ein, und ich kaure auf dem kalten, staubigen Boden. Es folgt das gleiche Ritual: Tor zu, Schloss dran. Schritte entfernen sich, dann Stille.


    Mein Körper schmerzt von der Tortur. Ich setze mich auf das Bett, schlinge meine Arme um die Knie und versuche etwas Kraft zu tanken. Irgendwann schaffe ich es, kurzzeitig einzunicken.

  • Von Svetlojarks nach Severograd

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    "Here I am wide awake, no I'm not dead yet

    And I'm not as confused as I know I was back then."


    Ich erwache vom Brüllen eines Motors draußen auf der Straße. Es könnte wieder der ADA sein, oder vielleicht ein LKW. Mein erster Gedanke ist Hoffnung – jemand könnte hier sein. Jemand könnte mich finden. Doch die Realität holt mich schnell ein. Niemand wird einfach so über diesen Ort stolpern. Nicht ohne einen Hinweis. Nicht ohne ein Zeichen von mir.


    Das gelbe Fass steht wie immer vor meinem Gitter, eine makabre Routine. Darin finde ich wieder Blutentnahmesets aber auch etwas Dosenfleisch und eine Flasche Wasser. Es ist besser als nichts, also esse ich es hastig, bevor ich mich wieder auf das Bett setze. Die Stille in diesem Raum ist fast beklemmend, nur gelegentlich wird sie vom Knarzen des Metalls über mir durchbrochen. Vielleicht ist da jemand im Obergeschoss, doch ich wage es nicht, laut zu rufen. Nicht nach gestern. Obwohl… war das überhaupt gestern? Jedenfalls habe ich nicht vor, nochmals Bekanntschaft mit Chucks Gewehrkolben zu machen.


    Ich höre Schritte. Sie sind weit entfernt, doch meine Sinne sind geschärft. Vielleicht nur einer der Entführer, der seine Runden dreht. Doch was, wenn es jemand Fremdes ist? Ich gehe zum Gitter, spähe hinaus und lausche. Der Gedanke, dass es einer von uns sein könnte – ein Samariter, ein Freund – lässt meine Hoffnung kurz aufflammen. Doch dann erinnere ich mich an den Schmerz der gestrigen Schläge. Chuck wird keine weiteren Versuche tolerieren. Ich kann es mir nicht leisten, entdeckt zu werden, bevor ich sicher bin, dass die Person draußen kein Feind ist.


    ~~~


    Die schwere Metalltür zum Verlies öffnet sich mit einem kreischenden Quietschen und ich höre Chucks schweren Stiefel auf den kalten Boden trampeln, noch bevor ich ihn sehe. Ohne ein Wort baut er sich vor dem Gittertor auf und deutet wieder mit der Waffe auf mich. „Aufstehen. Mit dem Rücken an die Wand“, befiehlt er. Seine Stimme ist kalt, gleichgültig, wie immer.


    Wieder folge ich mechanisch seinen Anweisungen, zu ausgelaugt, um Widerstand zu leisten. Meine Hände zittern, als er die Handschellen anlegt. Das kalte Metall schneidet. Leider ein vertrautes Gefühl und ich hasse es. „Los jetzt“, knurrt Chuck und stößt mich grob in Richtung der Ausgangstür. Wieder geht es durch das Treppenhaus, aber dieses Mal verzichtet er zum Glück auf seine markanten Schläge.


    Im ADA ist die Stille bedrückend. Chuck sitzt hinter dem Steuer, seine Komplizin Jane auf dem Beifahrersitz. Ihr Blick ist ebenso kalt wie seiner, aber sie wirkt angespannter. Sie sprechen kaum miteinander, nur kurze, knappe Worte über den Zustand des Fahrzeugs und das Ziel. Ich sitze auf der Rückbank, meine Hände hinter meinem Rücken gefesselt. Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es nun nach Severograd. Warum ausgerechnet dorthin? Ich kann diesen Typen wirklich nicht folgen. Jedenfalls scheint die Fahrt sich ewig hinzuziehen. Die Schläge, die ich in den letzten Tagen ertragen musste, haben meinen Körper erschöpft. Der Mangel an erholsamen Schlaf und Essen zehrt an mir. Trotzdem halte ich mich an einem Gedanken fest: Irgendwann muss es enden. Irgendwann kommt die Gelegenheit, zu entkommen.


    Als wir Severograd erreichen, fährt Chuck nicht ins Zentrum der Stadt, sondern lenkt den ADA auf eine holprige Nebenstraße. Sie führt uns zu einer Hütte am Ortsrand. Sie wirkt verlassen, doch als wir ankommen, steigen Chuck und Jane aus, um die schweren Tore, die das Haus sichern, zu öffnen.


    Das ist meine Chance. Kaum ist Chuck ein paar Schritte entfernt, winde ich mich aus dem Wagen und renne los. Meine Beine fühlen sich wie Blei an, jeder Schritt ist mühsam, doch der Adrenalinschub treibt mich voran. Der Wald scheint endlos, und die Bäume bieten kaum Schutz. Ich höre Chucks wütende Anweisungen und Janes suchendes Brüllen hinter mir.


    Doch plötzlich gibt mein Körper nach. Der Hunger, der Schmerz und die Müdigkeit holen mich ein. Schließlich lasse ich mich keuchend in eine große Tanne fallen und presse mich eng an den Stamm. Meine Atemzüge sind laut, zu laut, aber ich kann sie nicht kontrollieren. Dann höre ich Schritte.


    Vor mir steht Jane. Ich sehe die Waffe in ihrer Hand, die direkt auf mich gerichtet ist. Widerstand ist zwecklos. Mit einem knappen „Aufstehen!“ zwingt sie mich, mich wieder in Bewegung zu setzen. Mehr braucht es nicht.


    ~~~


    Zurück an der Hütte wartet Chuck bereits, seine Miene dunkel vor Zorn. Ohne ein weiteres Wort führen sie mich ins Haus. Die Atmosphäre ist bedrückend, die Räume sind eng, staubig und voller verschlissener alter Möbel. Sie zerren mich die knarrende Treppe hinauf. Meine Beine wanken, doch Janes Waffe bleibt auf mich gerichtet, und Chucks drohende Präsenz lässt mir keine Wahl.


    Oben angekommen, stoßen sie mich in einen Verschlag auf dem Dachboden. „Ab in die Zelle mit dir!“, sagt Chuck knapp. Ich setze mich in Bewegung. Hinter mir verschließt er wieder das Gittertor.

    Anschließend beugt er sich durch das Gitter zu mir und nimmt mir die Handschellen ab. Doch anstatt sofort zu gehen, zückt er ein Wärmekissen und wirft es mir mit einem spöttischen Grinsen zu. „Damit du nicht frierst“, sagt er süffisant. Ich bin so verdutzt, dass ich mir nur ein kleines „Danke“ abringen kann. Für einen kurzen Moment flackert Hoffnung auf, doch dann schlägt seine Laune um. Sein Blick verändert sich. „Träum was Schönes“, spottet er, seine Stimme trieft nun vor Sarkasmus. Unerwartet holt er aus und schlägt erneut mit dem Gewehrkolben nach mir. Der Schlag trifft mich hart und unvorbereitet und ich taumele gegen die Wand.


    Dann greift er nach etwas an seinem Gürtel oder seiner Weste. Eine Rauchgranate! Ich sehe, wie er den Stift zieht, und kurz darauf erfüllt pinker Rauch den Raum. Ich huste, versuche nach Luft zu ringen, während der Raum in greller Farbe versinkt. Meine Augen beginnen zu tränen und unter Keuchen höre ich, wie die Schritte der beiden sich entfernen. Schließlich wird die Tür zum Haus wieder abgeschlossen. Verdammte Monster… War das die Strafe für meinen Fluchtversuch? Selbst wenn! Ich würde es jederzeit wieder versuchen.


    Der Rauch zieht langsam ab, doch die stickige Luft bleibt. Meine Schulter schmerzt vom Schlag, und meine Hände zittern, während ich mich gegen die kühle Wand lehne. Der Raum ist eng und bedrückend, kaum größer als ein Schrank. Der Gedanke an eine Flucht scheint inzwischen weiter entfernt als je zuvor. Wem mache ich hier eigentlich etwas vor?

  • Hunger, Severograd


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    "I'm letting go of my shame, that unbearable weight

    I'm learning to survive

    I'm letting go of the blame from my selfish mistakes

    I'm learning to survive."


    Die Stunden auf dem Dachboden schleichen dahin wie ein zäher Albtraum. Es ist still, bis auf das gelegentliche Knarren des Holzbodens und das Pfeifen des Windes, der durch die Dachschindeln zieht. Mein Magen knurrt laut, und ich halte instinktiv die Arme darum, als könnte ich das Geräusch damit unterdrücken.


    Was mir erst jetzt auffällt: Kein Fass. Nein wirklich. Es steht dieses Mal kein gelbes Fass vor dem Tor, lediglich eine Kiste mit Blutentnahmesets. Kein gelbes Fass, keine Vorräte, so karg sie sonst auch waren.


    Der Hunger gräbt sich tief in meinen Körper, und die letzte Mahlzeit scheint eine Ewigkeit her. Meine Gedanken kreisen wieder um die Frage: Wollen sie mich hier oben einfach verhungern lassen?


    Ich versuche, mich abzulenken, suche verzweifelt nach etwas Nützlichem in diesem trostlosen Raum. Doch alles, was ich finde, ist Staub und ein paar lose Bretter, die keinen Zweck erfüllen. So vergeht die Zeit.


    Die Dunkelheit legt sich wie ein schwerer Vorhang über die Hütte, und die Temperaturen fallen. Mein Magen schmerzt so sehr und jeder Atemzug ist schwerer als der letzte. Endlich höre ich Schritte. Schwere, vertraute Schritte, die knarrend über die Treppe kommen. Chuck.


    Das Tor unten öffnet sich mit einem lauten Knarren, und Chucks bullige Silhouette kommt die Treppe nach oben. Sie baut sich vor dem Gittertor auf, in einer Hand einen Sack mit Vorräten, in der anderen die unbarmherzige Waffe. Er legt zwei Konserven vor dem Tor auf den Boden, sein Gesicht ein Zerrbild aus Spott und Gleichgültigkeit. „Guten Appetit“, sagt er und dreht sich schon zum Gehen.


    Doch etwas fehlt. Mein Blick wandert zu den Dosen. Es ist sofort klar: Kein Dosenöffner.


    „Kein Dosenöffner?“ frage ich schwach, meine Stimme zittert vor Hunger. „Wie soll ich die öffnen?“

    „Find’s raus“, sagt Chuck knapp, bevor er sich umdreht. Dann fügt er hinzu: „Sei froh, dass du überhaupt was bekommst.“ Das hat gesessen. Für einen Moment glaube ich wirklich, er würde nun einfach gehen. Doch dann wendet er sich um, zieht einen kleinen Dosenöffner aus der Tasche und öffnet mir damit die Dosen. Schließlich reicht er sie mir und holt noch weitere Konserven und getrockneten Kürbis aus seinem Vorratsbeutel.


    Nach getaner Arbeit entfernt er sich wortlos vom Gittertor. Ohne zu zögern, esse ich. Der Inhalt ist kalt, fast geschmacklos, aber ich fühle, wie die Spaghetti meinem Körper neue Kraft geben. Mein Magen beruhigt sich langsam, auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich noch viel mehr bräuchte, um die Erschöpfung zu vertreiben. Dennoch esse ich langsam und nicht alles auf einmal. Ich muss mir meine Rationen besser einteilen.


    Mit leeren Dosen und schmerzenden Gliedern lehne ich mich gegen die unnachgiebige Wand. Die Schmerzen, die Ohnmacht und die Dunkelheit drohen mich zu überwältigen. Doch ich habe überlebt. Zumindest diesen Tag. Die Wut auf Chuck brennt in mir wie ein schwaches Feuer – vielleicht genau das, was ich brauche, um weiterzumachen.

  • Nächster Tag, von Severograd nach Gorka


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    "Death surrounds

    My heartbeat′s slowing down

    I won't take this world′s abuse

    I won't give up, I refuse

    This is how it feels when you're bent and broken

    This is how it feels when your dignity′s stolen

    When everything you love is leaving

    You hold on to what you believe in."


    Das schwache Licht, das durch die Ritzen im Dachboden fällt, weckt mich. Die Nacht war wieder einmal kalt und unbarmherzig, und der harte Holzboden hat jeden meiner Muskeln schmerzhaft steif gemacht. Irgendwie habe ich keine Lust mehr, das alles aufzuschreiben. Es ist ohnehin jeden Tag immer das Gleiche, nur halt in anderen Facetten.


    Ich strecke mich vorsichtig, doch der Schmerz in meinem Rücken erinnert mich sofort daran, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis ich meinen Körper wieder gewohnt belasten kann.


    Ich richte mich langsam auf, massiere meinen steifen Nacken und betrachte den kahlen Raum. Hier oben gibt es nichts – keine Möbel, keine Annehmlichkeiten, nur Staub und Dunkelheit. Meine Zelle ist so spartanisch wie nur möglich. Keine Ablenkung, keine Hoffnung; nur ich gegen die gähnende Leere. Einzig zwei staubige Kisten stehen in der Zelle.


    Mein Magen knurrt laut und ich nehme mir etwas von meinem Vorrat. Eine Thunfischdose soll es heute sein. Es ist jetzt Tag – oder zumindest scheint es so, denn durch die schmalen Ritzen dringt etwas Licht. Das einzige Geräusch, das ich hören kann, ist das gelegentliche Knarren der Dielen, wenn der Wind durch die Hütte weht.


    Es dauert nicht lange, bis ich das Geräusch schwerer Stiefel auf der Treppe höre. Das Schloss des Verschlags klickt, die Tür schwingt auf, und da steht Chuck, wie immer mit dieser Mischung aus Genervtheit und Überlegenheit im Blick. In seiner Hand hält er, wie so oft, seine Waffe.


    „Aufstehen! Hände hinter den Rücken!“, befiehlt er, als ich mich mühsam erhebe. Mein Schweigen hat ihn bisher nie interessiert, aber heute beschließe ich es zu brechen. Zwei Worte brechen einfach aus mir heraus.


    „Und nun?“, frage ich, meine Stimme erschreckend rau vom Hunger und der Kälte. Chuck ignoriert mich und zielt weiter mit seiner Waffe auf mich. „Umdrehen, herkommen!“ Der Ton wird schärfer. Doch heute bin ich es leid. „Muss das wirklich sein?“ Ich kann nicht anders, aber ich bereue es sofort.


    Er packt mich grob und legt mir die Handschellen an. Mühsam kann ich ein Stöhnen unterdrücken. Ich möchte ihm die Genugtuung nicht geben. „Mitkommen!“, schreit er und öffnet das Gitter. Während ich ihm die Treppe hinunter folge, frage ich weiter: „Heute schlechte Laune?“ Es ist dumm, ich weiß das. Aber die Worte kommen, bevor ich sie aufhalten kann. Sein Bajonett blitzt auf, und ich spüre den Stich in meiner Seite. Ein Schmerzenslaut entweicht mir, und als ich das warme Blut spüre, wird mir gleichzeitig heiß und kalt. Chuck greift nach einer Bandage und verbindet die Wunde mit groben Bewegungen. „Brutalo...“, murmle ich. Doch er hat offensichtlich genug. „Schlechte Laune? Schlechte Laune gleich in dein Gesicht!“ Seine Stimme ist ein Donnern, und ich schweige. Es ist nicht der richtige Tag, um den Bogen zu überspannen.


    „Raus mit dir!“, befiehlt er und ich trete folgsam durch die Türen nach draußen. Dort sehe ich Jane, die bereits die Umgebung gesichert hat. „Ach, Jane ist auch wieder mit von der Partie, was?“, murmle ich vor mich hin. Mir ist inzwischen fast alles egal. „Keine Fragen stellen. Raus mit dir!“, schimpft sie und öffnet das Gartentor zur Straße. „Aber wer nicht fragt, stirbt dumm…“, beginne ich, doch es folgt keine Reaktion, außer dass Jane mich barsch unterbricht und in den parkenden Sarka scheucht: „Ab rein jetzt hier!“ „Rein in die Gute Stube!“, grinst Chuck hämisch, „Jetzt geht’s ab ins Reich der Kannibalen…“ Sein Spott lässt mich zusammenzucken, doch ich sage nichts. Ob er die Wahrheit spricht oder mir nur Angst machen will, ist egal – die Wirkung bleibt dieselbe. Mein neugewonnener Mut verlässt mich sofort wieder, als ich mit gefesselten Händen auf dem Rücksitz umständlich Platz nehme. Jane schlägt die Tür zu und steigt ebenfalls ein. Was haben diese Irren nun mit mir vor?


    Die Fahrt beginnt. Es ist Tag, und wir fahren durch die trostlosen Straßen nach Süden. Der Sarka holpert über die holprigen Straßen, und die Stille im Wagen ist bedrückend. Plötzlich ein lauter Knall – der Wagen trifft einen Stein und überschlägt sich mehrmals. Die Welt dreht sich, mein Körper wird hin- und her geschleudert, und der Schmerz ist kaum zu ertragen. Doch wie durch ein Wunder landet das Auto wieder auf seinen vier Rädern. Chuck und Jane scheinen unbeeindruckt. Der Motor startet erneut, und die Fahrt geht weiter, als wäre nichts geschehen.


    Die Sonne beginnt bereits zu sinken, als wir endlich Gorka erreichen. Die Kannibalen von Gorka... das hätte ich mir denken können.

    Der Anblick der verfallenen Häuser und das Gefühl von Tod und Verfall lassen mir einen Schauer über den Rücken laufen. Die Kannibalen von Gorka... Ist das etwa wahr? Stecken sie hinter all dem? Meine Gedanken rasen, während Chuck mich aus dem Auto zerrt und Jane beginnt, die Tore zu öffnen.


    Ich wittere meine Chance. Während Chuck Jane bei einem Code hilft, schleiche ich mich leise davon, versuche in den Schatten der Gebäude zu verschwinden. Doch es dauert nicht lange, bis Chuck mich einholt. „Wo willst du hin?“, knurrt er, bevor ich einen harten Schlag in den Rücken spüre. Er treibt mich zurück zum Auto, jeder Schlag seines Gewehrkolbens brennt in meinem Rücken. Als wir ankommen, sinke ich erschöpft vor dem Auto auf die Knie.


    Dann passiert es. Ohne Vorwarnung zieht Chuck seine Waffe und schießt. Ein brennender Schmerz durchzuckt mein Bein. Ich schreie auf, unfähig, den Schock zu verbergen. Verdammt! Er hat auf mich geschossen! Zum Glück scheint es nur ein Streifschuss zu sein, doch meine Hose ist ruiniert. Ich humple zur Polizeistation, getrieben von Chucks bedrohlicher Präsenz. Mit einem letzten Aufbäumen versuche ich aus meinen Fesseln zu entkommen, während Chuck die Zombies abwehrt, die durch seinen Schuss angelockt worden sind. Doch auch hier ist er gleich wieder zur Stelle, um meine Versuche mit einem Schlag zu unterbinden. Schließlich werde ich in die Polizeistation geführt und dort in eine Gefängniszelle.


    Die Zelle ist wie erwartet karg. Eine Pritsche, eine Kiste darunter, das unvermeidliche gelbe Fass und ein vergittertes Fenster. Chuck schließt mich ein, dreht sich dann noch einmal um und schlägt nach mir. „Träum was Schönes!“, spottet er, bevor er die Tür hinter sich zuschlägt. Wird das jetzt zu einer Art Signature Move bei ihm? Jane wirft mir einen letzten Blick zu, bevor sie und Chuck die Polizeistation verlassen.


    Ich versuche dem Schmerz standzuhalten und schaffe es nur mit Mühe, das Bewusstsein nicht zu verlieren. Draußen stöhnen die Zombies vor dem Gitterfenster. Chuck legt das schwere Vorhängeschloss um das Gitter und schließt anschließend die Zellentür von außen ab. „Hey! Was ist mit dem Schlüssel…?“, protestiere ich, „Für die Handschellen? Ich bin immer noch gefesselt!“ „Kannst du behalten. Als Andenken!“, lacht er hämisch und ich höre, wie er und seine Begleitung die Polizeistation verlassen. In Gedanken füge ich entschlossen hinzu: „Nein, die sind für DICH reserveriert…!“. Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen.


    Schließlich begebe ich mich zum Fenster. Draußen steht ein rotes Gunter Wrack und der Sarka sowie jede Menge geifernde Zombies. Durch das Fenster sehe ich, wie Chuck und seine Begleitung die Zombies niederschießen. Chuck grinst mich am Fenster süffisant an, hebt seinen Arm zum Gruß und wirft mir anschließend ein Messer gegen die Gitterstäbe. „Hier fang!“, grinst er breit. Sehr witzig… Natürlich gelingt mir dies nicht mit auf dem Rücken gefesselten Händen und das Messer fällt klirrend vor dem Fenster zu Boden. Anschließend steigen beide lachend in das Auto und fahren laut hupend davon.


    Tja und dann bin ich wieder allein. Die Stille in der Zelle ist fast greifbar, unterbrochen nur vom gelegentlichen Stöhnen der Zombies, die sich vor dem vergitterten Fenster bewegen. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Auf dem Tisch, der sich hinter den Gitterstäben befindet, steht eine Kiste. Sie scheint absichtlich außerhalb meiner Reichweite platziert worden zu sein – eine weitere kleine Grausamkeit meiner Entführer.


    Doch ich gebe nicht auf. In meiner Tasche habe ich noch einen der rostigen Nägel, die ich vor Tagen heimlich an mich genommen habe. Vorsichtig taste ich nach dem kleinen Metallstück und beginne die mühselige Arbeit, die Handschellen an meinen Handgelenken zu lösen. Der Nagel rutscht immer wieder ab, und meine Finger schmerzen vor Anstrengung, doch nach einer schier endlosen Geduldsprobe höre ich endlich das erlösende Klicken. Die Fesseln fallen ab, und ich reibe meine schmerzenden Handgelenke.


    Ich wende mich dem gelben Fass zu. „Hallo, alter Freund…“, flüstere ich. Nach den Erlebnissen in Severograd bin ich ganz froh, wieder eines dieser Fässer zu sehen, denn das bedeutet wenigstens Wasser. Als ich den Deckel öffne, entdecke ich wieder Blutentnahmesets. Scheinbar sind sie doch noch nicht mit mir fertig und das mit den Kannibalen war nur eine Behauptung, um mir Angst zu machen. Außerdem finde ich eine Dose Pfirsiche, Spaghetti und – wie könnte es anders sein – Hundefutter. Mein Magen knurrt laut, und ich beschließe, die Pfirsiche zu öffnen. Der süße Saft und die weichen Fruchtstücke sind ein kleiner Trost inmitten dieses Elends. Ich esse langsam, genieße jeden Bissen, denn ich weiß, dass ich mir alles wieder werde einteilen müssen.


    Erst als mein Magen nicht mehr so schmerzt, lasse ich mich erschöpft auf das Bett sinken. Die Matratze ist dünn, und jede Feder darunter drückt sich unangenehm in meinen Körper. Doch nach der körperlichen Anstrengung heute fühlt es sich das Liegen fast wie ein Luxus an.


    Die Dunkelheit senkt sich über Gorka, und das Knurren der Zombies wird zu einem monotonen Hintergrundgeräusch. Ich wende meinen Blick zum Fenster und sehe sie – die Sterne. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten erblicke ich einen klaren Himmel. Ihr Leuchten ist schwach, aber beständig, und für einen Moment fühle ich eine seltsame Art von Frieden. Ich bin so bewegt, dass meine Augen sich mit Tränen füllen. Vielleicht sehen meine Freunde auch gerade jetzt auf diesen Sternenhimmel? Er ist wie eine Erinnerung daran, dass da draußen noch eine Welt existiert – eine Welt, in die ich irgendwann zurückkehren werde.

  • Konversation mit einem Monster, Gorka

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    "It′s hiding in the dark, its teeth are razor sharp

    There's no escape for me, it wants my soul, it wants my heart

    No one can hear me scream, maybe it′s just a dream

    Maybe it's inside of me, stop this monster."




    Die Schatten des Nachmittags fallen lang, und das Licht, das durch das kleine vergitterte Fenster dringt, färbt die Zelle in einem trüben Grau. Ich sitze auf dem Boden, meinen Rücken gegen die kalte Wand gelehnt, als ich es höre: das kehlige, raue Knurren der Untoten. Instinktiv bewege ich mich zum Fenster, richte mich vorsichtig auf und spähe durch die schmalen Gitterstäbe hinaus. Draußen sehe ich sie – zwei Zombies, die ziellos zwischen den verfallenen Gebäuden umherwandern. Ihre Bewegungen sind langsam und ruckartig, ihre Köpfe hängen schief. Sie sind ein grotesker Anblick, aber in meiner Einsamkeit wirken sie fast… vertraut. Und so seltsam es klingt, ich beginne, mit ihnen zu sprechen.


    „Hey“, sage ich leise und klammere mich an die Gitterstäbe. „Ja, ich meine euch. Die da draußen.“ Die Zombies knurren, als Antwort oder aus reiner Instinktlosigkeit. Ich nehme das als Einladung. „Was habt ihr so den ganzen Tag zu tun?“, frage ich und lehne meinen Kopf gegen die kalten Stäbe. „Herumwandern? Nach dem nächsten Opfer suchen? Oder genießt ihr einfach die Ruhe?“ Einer der Zombies bleibt stehen, als hätte er mich gehört. Sein Kopf zuckt in meine Richtung, und ich lache bitter. „Oh, jetzt bin ich interessant, was? Kein Fleisch hier drinnen, sorry. Ich bin genauso verloren wie ihr. Vielleicht sogar schlimmer.“ Ich mustere die beiden durch das Gitter. Ihre verfallenen Gesichter, die leeren Augenhöhlen. „Ihr wart mal wie ich, oder? Menschen. Mit Geschichten. Mit Träumen. Was ist mit euch passiert?“ Meine Stimme wird leiser, fast zu einem Flüstern. „Hat euch jemand im Stich gelassen? Oder habt ihr einfach das Pech gehabt, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein?“


    Das leise Knurren ist die einzige Antwort, die ich bekomme. Es fühlt sich seltsam an, aber irgendwie tröstlich. Sie hören mir zu. Oder ich stelle mir vor, dass sie es tun. „Ihr seid besser als Chuck und Jane“, sage ich mit einem leichten Lächeln. „Ihr seid wenigstens ehrlich. Ihr wollt nur überleben, genau wie ich. Ihr tut, was ihr tun müsst, weil ihr nicht anders könnt. Aber die beiden?“ Ich schüttle den Kopf. „Sie haben eine Wahl, und trotzdem entscheiden sie sich dafür, Monster zu sein.“ Ich rutsche wieder auf den Boden, meine Stimme sinkt noch weiter. „Vielleicht ist es einfacher, ein Zombie zu sein. Keine Angst. Keine Sorgen. Nur dieser eine Instinkt: Fressen. Ihr müsst euch nicht mit Schuldgefühlen herumschlagen… oder mit Erinnerungen.“ Die Zombies bewegen sich weiter, ihr Knurren wird leiser, während sie um eine Ecke verschwinden. Ich starre durch das Gitter hinaus, in die Leere der Stadt. „Vielleicht sehen wir uns später wieder, Jungs.“, sage ich leise. „Ich hoffe nur, dass ihr dann nicht versucht, mich zu fressen.“


    Die Stille kehrt zurück, und ich sitze noch lange dort, die Stirn gegen die Gitterstäbe gelehnt, bis die Schatten der Nacht den Raum verschlucken. Es war kein wirkliches Gespräch, aber in diesem Moment hat es sich fast wie Gesellschaft angefühlt.

  • Unbekanntes Datum – Gorka - Kontaktaufnahme mit Modd

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    "Reachin' for the light

    Reachin' from inside

    Help me tonight."



    Durch das vergitterte Fenster meiner Zelle fällt mattes Licht, ein schwacher Beweis, dass es Tag geworden ist. Wenigstens weiß ich jetzt, wann Tag und Nacht sich abwechseln, auch wenn das Gitter mich nach wie vor ständig an meine Gefangenschaft erinnert. Die Stunden ziehen zäh dahin und mein Körper ist zu schwach, um mich gegen die zermürbende Langeweile zu wehren. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn als ich wieder zu mir komme, dämmert es bereits. Mein Magen knurrt laut und unbarmherzig, während ich mich mühsam aufsetze.


    Plötzlich huscht ein Schatten am Fenster vorbei. Ich zucke zusammen. Zuerst denke ich, dass es einer meiner Entführer ist. Ich warte angespannt auf das vertraute Klicken des Zahlenschlosses, aber es bleibt still. Vielleicht ist es jemand anderes? Mein Herz klopft schneller, eine seltsame Mischung aus Hoffnung und Misstrauen. Schließlich fasse ich Mut und rufe vorsichtig: „Hallo? Hallo, ist da jemand?“


    „Hallo? Klopf, klopf…“, antwortet eine unerwartet freundliche Stimme von draußen. Mein Puls schießt in die Höhe. Wer ist das? Ein Fremder! Einer ihrer Komplizen? Oder doch ein Überlebender, der nur zufällig hier ist? Ich schleiche mich vorsichtig zum Fenster, meine Stimme zittert leicht und mein Magen hört einfach nicht auf zu knurren. „Hallo, hi! Wo bist du?“ Ich sehe nichts, außer dem roten Wrack eines Gunters, das vor meiner Zelle steht. Die Stimme antwortet gelassen: „Du hast Hunger, wie ich höre.“ Ich vermute, er muss in dem Verschlag neben meinem Gefängnis sein. „Ja… total!“, sage ich ehrlich, meine Hoffnung wächst. „Wo bist denn du?“ Mein Blick wandert suchend, doch ich erkenne niemanden. „Ich.bin.weg“, lautet die kurze aber knappe Reaktion meines Gegenübers - und höre ich da ein verlegenes Lachen? Verdammt! Weg? Jetzt, wo er hier ist? Ich schlucke die Enttäuschung hinunter und beschließe, ruhig zu bleiben. Ich war so nah dran. So nah! Aber ich gebe nicht auf. Ich versuche möglichst ruhig zu klingen und nicht gleich in Panik aufzubrechen. Natürlich schreit alles an dieser Begegnung nach einer Falle für ihn und vielleicht ist sie das ja auch. Ich muss an Stimmuuung und seinen letzten Kontaktversuch mit mir denken… aber ich muss es riskieren!


    „Du bist weg?“, frage ich, bemüht, die Hoffnung in meiner Stimme nicht völlig zu ersticken. „Das ist schade, denn ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen.“ Mein Magen knurrt wieder und die Stimme draußen bleibt für einen Moment stumm. Dann fragt er: „Wobei brauchst du denn Hilfe?“


    Ich zögere. Soll ich ihm sagen, wie schlecht es um mich steht? Was, wenn er wirklich einer der Entführer ist? Doch der Hunger und die Einsamkeit wiegen schwerer als die Angst. Dass er nachfragt ist ein gutes Zeichen, aber ich beschließe, ihn besser doch nicht in Gefahr zu bringen. Wieder denke ich an Stimmuuung und die unheilvollen Schüsse. Wie lange mag das jetzt her sein? Ich kann keinen Fremden mehr diesem Risiko aussetzen. „Gut, vielleicht wär’s besser, wenn du ganz schnell weggehst, weil ich weiß nicht, wann die Typen zurückkommen.“ „Wobei brauchst du denn Hilfe?“, fragt er nochmals nach. Es scheint ihm wirklich ernst zu sein. Tja… wobei brauche ich Hilfe? Das ist eine lange Geschichte, aber ich beschließe, erst einmal mit dem dringendsten anzufangen. „Naja, ich bin hier so ziemlich am Verhungern“, gebe ich zurück. Die Worte kommen mir seltsam fremd vor. Wann habe ich das letzte Mal mit einem Fremden gesprochen? „Kennen wir uns eigentlich?“, frage ich noch nach, denn ich habe wirklich keine Ahnung, wer da auf der anderen Seite der Mauer steht. Mein Gegenüber antwortet: „Nee, ich glaub nicht“. „Dann haben wir uns noch nicht getroffen, okay“, nehme ich abwägend zur Kenntnis. In Ordnung, dann kann er natürlich mit meiner Geschichte und den Samaritern nicht so viel anfangen. „Ich stelle mich ihm kurz als Herz-aus-Gold vor und bitte ihn, den anderen zu sagen, dass ich mich hier aufhalte und hoffentlich gerade gesucht werde. Schweigen. Meine Hoffnung schwindet. Schließlich meldet er sich wieder, seine Stimme wird leiser, fast nachdenklich. „Essen hab ich leider keins“, sagt er, und mein Herz sackt ab. „Okay, schade…“, sage ich tapfer, obwohl ich die Enttäuschung kaum verbergen kann. Mein Magen knurrt laut, als wolle er die Situation kommentieren.


    Nach einigen Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, beginnt er: „Essen hab ich leider keins.“ „Okay, schade.. aber gut. Dann muss ich noch ein bisschen durchhalten.“, gebe ich tapfer zurück. „Du weißt ja, wie das ist…“, beginnt er. „Ja, ja…“, antworte ich ihm etwas gespielt, „… man findet nie das, was man sucht…“. Ich bemühe mich, möglichst gefasst und „normal“ zu klingen. Wobei ich vielleicht eigentlich hätte sagen wollen: „Jeder ist sich selbst der Nächste…“, aber das bringe ich dann doch nicht fertig. Ich möchte ihm nichts unterstellen und vielleicht hat er wirklich nichts Essbares bei sich. Abgesehen davon, warum sollte er es einer Fremden einfach so geben? Wir kennen uns nicht. Wieder knurrt mein Magen und ich schlinge meine Arme fester um meinen Bauch, als wollte ich ihn am Reden hindern. Ich wechsle das Thema, um die Stille zu unterbrechen. „Darf ich fragen, wie du heißt?“ „Ich bin Modd - M.O.D.D“, kommt die Antwort wie aus einer Pistole geschossen. Bevor meine einzige Chance verfliegt, setze ich noch nach: „Okay, hi Modd. Ja… wenn du jemand anderen triffst, kannst du ihnen gerne sagen, wo ich bin. Vielleicht kann mich dann endlich jemand hier raussholen.“ Das klang nun viel weniger dringend, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, aber ich möchte mein Gegenüber nicht erschrecken oder vergraulen. Es scheint zu klappen, aber er wird nun doch stutzig. „Wieso rausholen?“, fragt er mit einer Spur der Überraschung in seiner Stimme, „Bist du eingesperrt worden in der Base, oder?“ „Jaja. Ich bin entführt worden“, beginne ich meine Geschichte. Mit einem ungläubigen Lächeln (so hört es sich zumindest an) antwortet er nur: „Entführt? So, so….“ Ja… das kenne ich schon. So ähnlich hat bisher so ziemlich jeder reagiert. Ich bestätige. „Klingt jetzt so ein bisschen nach Falle, aber…“, beginnt er, da unterbreche ich ihn. Ich kann die Worte einfach nicht zurückhalten. Er weiß, was er wissen muss und er darf nicht auch ein Opfer der Entführer werden. Nicht wie Stimmuuung. „Ja, am besten machst du ganz schnell die Fliege, denn es hat schonmal jemanden erwischt…Ich möchte nicht nochmal jemanden auf dem Gewissen habe, weiß du….“, ich hoffe das ist für ihn ein deutliches Warnzeichen und er macht sich jetzt auf den Weg. Weg von diesem schrecklichen Ort. Mein Magen knurrt wieder und ich zittere. Ist es vor Kälte oder vor Angst?


    „Am Frieren bist du auch, indoor? Bist du nackig, oder…?“, fragt mein Gegenüber nach. Bewahre! Aber meine Kleidung hat in der Tat schon die besten Tage hinter sich und die Folgen der ständigen Schläge sind allgegenwärtig. „Nein, nein. Aber meine Kleidung ist komplett ruiniert. Schläge, Schüsse… das ganze Programm.“ Seltsam, wie distanziert ich davon berichten kann. So als sei das alles gar nicht mir passiert, sondern jemand anderem. Wieder knurrt mein Magen. „Ja… und wem soll ich bescheid sagen, wo du steckst?“, möchte er nun noch wissen. Ich erkläre ihm, dass er anderen Überlebenden von mir erzählen soll, sofern sein Gegenüber ihn am Leben lässt… Vielleicht kommt so die Nachricht am Ende dann doch nach Prigorodki zu den anderen Samaritern.


    Um meinen Magen etwas zu beruhigen, nehme ich eine der Schmerztabletten, die vor Tagen im Fass waren und beginne zu trinken. Aber es hilft nur bedingt. Ich fülle meine Flasche zweimal am Fass auf und blicke auf meine Blutkonserven, die ich wieder „gespendet“ habe. Da kommt mir eine Idee. Ich nehme einen der Beutel und werfe ihn durch die Gitterstäbe nach draußen vor das rote Gunter Wrack. Lieber bekommt er sie, als meine Entführer. Am Ende möchte er noch wissen, in welche Richtung meine Entführer verschwunden sind. Ich vermute in Richtung Osten. Modd meint, dass er aus der Richtung gekommen sei, aber ich erkläre ihm, dass das auch schon ein paar Tage her sein muss und die Entführer hier nur unregelmäßig vorbeischauen. Trotzdem muss ich immer mit ihrem Eintreffen rechnen und wünsche ihm darum schnell eine gute Weiterreise. Abschließend bedanke ich mich für die Nachricht, die er überbringen möchte. Als Dank weise ich ihn auf meine Blutspende hin, die er sich dann auch nimmt. Endlich sehe ich das Gesicht meines Gegenübers und er winkt mir zu, ehe er dann mit schnellen Schritten verschwindet. Tränen füllen meine Augen. Er ist der erste Überlebende, den ich seit meiner Entführung gesehen habe, meine Entführer ausgenommen. Es ist ein bewegender Moment und ich glaube, er ahnt gar nicht, wie sehr mit das mitnimmt. Aber ich versuche gefasst zu bleiben. „Viel Glück! Halte durch“, wünscht er mir noch und verschwindet. Ja… das ist ein guter Rat.


    ~ ~ ~


    Die Stunden vergehen zäh. Mein Magen rebelliert weiterhin, und ich fühle mich zunehmend schwächer. Die Dunkelheit senkt sich über Gorka, und das Grillenzirpen setzt ein. Ich schließe die Augen und versuche, mich vom Hunger abzulenken, als plötzlich Schritte zu hören sind.


    Es ist Modd, der zurückgekommen ist! „Klopf, Klopf!“, begrüßt er mich, vermutlich grinsend. Ich erwidere den Gruß und höre, wie jemand sich an einer Dose zu schaffen macht. Mein Magen verkrampft sich bei dem Geräusch und dem Gedanken an etwas zu Essen. Er stellt sich vor dem Fenster auf und wirft mir eine geöffnete Dose Spaghetti zu. „Wow! Dankeschön!“, sage ich überrascht und unendlich glücklich. Mit dieser kleinen Geste hat er mir vermutlich das Leben gerettet. Wie die Spaghetti in der geöffneten Dose heil in meiner Zelle ankommen, kann ich mir nicht erklären, aber es bewegt mich unglaublich, dass er sich sogar die Mühe gemacht hat, die Dose für mich zu öffnen. „Danke, danke, danke!“, stammle ich überwältigt. „Bitteschön“, gibt er gelassen zurück, als sei es nichts. „Vielen, vielen Dank…“, sage ich immer wieder, hebe die Dose mit den Spaghetti vom Boden auf und halte sie triumphierend hoch. Sofort beginne ich zu essen, aber immer langsam. Bissen für Bissen. Es ist mir egal, ob ich etwas zurückbehalten sollte oder nicht. Der Hunger ist einfach zu groß. Die kalten Nudeln füllen meinen Magen und das ständige Knurren lässt nach. Modd wendet sich zum Gehen. „Pass auf dich auf…“, rufe ich ihm hinterher. „Du auch!“, antwortet er. Ich muss schon fast etwas grinsen. Das sagt Hikaru auch immer zu mir und jedes Mal antworte ich beherzt: „Immer!“ Das ist meine reflexartige Antwort auf diesen Abschiedsgruß, so auch dieses Mal. Tja, hat ja bisher wunderbar geklappt…. „Kannst ja schlecht weglaufen“, fügt er hinzu, um die Situation etwas aufzulockern. Ich bin dankbar für den Versuch der Aufmunterung. „Ja… genau“, gebe ich schwach zurück und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Das erste Lächeln seit Langem.


    Als er weg ist, lege ich mich auf die Pritsche und rolle mich zusammen. Die Nacht legt sich wieder über Gorka und hüllt meine Zelle in Dunkelheit. Es ist wieder entsetzlich kalt, aber die Begegnung nährt meine Hoffnung und wärmt mich fast etwas von innen heraus. Ich werde es schaffen. Irgendwie!

  • Unbekanntes Datum – Von Gorka nach Chernogorsk

    Der letzte Transfer

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    Die Nacht ist kalt und still, abgesehen von den gelegentlichen Röcheln der Zombies draußen vor dem Fenster. Ich bin halb eingeschlafen, als plötzlich die Tür aufgerissen wird. Ein Mann, den ich bisher noch nie gesehen habe, tritt ein. Er hat asiatische Gesichtszüge, trägt eine abgewetzte Jacke und hält eine Tüte Chips in der Hand. Sein Blick ist abschätzend, aber irgendwo blitzt auch eine Spur von Überheblichkeit auf. „Deine Henkersmahlzeit“, sagt er und wirft die Chips auf den Boden vor das Gitter.


    Meine Wut flammt auf, ich erhebe mich vorsichtig und trete langsam an das Gitter. Einem inneren Impuls folgend, formt sich meine Hand zu einer Faust und schnellt durch das Gitter in seine Richtung. Die innere Wut lässt mich meine Schwäche für einen Augenblick vergessen. „Nix da!“, fluche ich. Das hat gesessen. „Das wirst du noch bereuen!“, funkelt er mich böse an. Er bückt sich, hebt die Tüte Chips auf und schüttelt sie spöttisch. „Genieß dein letztes Essen“, droht er, während er die Chips durch das Gitter schiebt.


    Ich greife überrascht nach der Tüte. Nach meiner Aktion von gerade eben bekomme ich tatsächlich noch etwas? Ich vermute, sie brauchen mich einigermaßen bei guter Gesundheit. „Wer bist du?“, frage ich, meine Stimme scharf, obwohl ich vor Müdigkeit kaum gerade sitzen kann. „Ich bin Chucks Bruder“, grinst er breit. Die Antwort hilft mir nicht wirklich weiter, denn sie klingt so unglaubwürdig wie falsch. Aber sie verrät mir zwei andere Dinge. Erstens, er hat kein Interesse daran meine Frage ernsthaft zu beantworten. Tja und zweitens, - und das beunruhigt mich am meisten - sie haben meine Notizen gelesen. Wann und wo? Hoffentlich waren es nicht die, die ich versteckt hatte. Nein, das darf nicht sein. Bestimmt sind sie schon gefunden worden und Hilfe ist unterwegs. So rede ich mir das zumindest ein.



    Da der Hunger mich plagt, habe ich keine Wahl. Ich setze mich zurück in die Ecke, zögere, öffne die Tüte schließlich und beginne langsam zu essen. Mein Magen rebelliert vor Hunger, aber es fühlt sich falsch an, diesem Mann auch nur das geringste Zugeständnis zu machen. Kaum bin ich fertig, befiehlt er mir, wieder ans Gitter zu kommen. Ich ahne, was nun kommt und richte mich mühsam auf, während er mich zur Eile antreibt.


    „Warum so eilig?“, frage ich zynisch, während ich zum Gitter humple. Er grinst wieder und murmelt etwas über seine angebliche Lieblingsfernsehshow, die er später sehen will. Lächerlich. Wir wissen beide, dass seit der Zombieapokalypse kein Fernseher mehr läuft. Aber habe ich groß eine Wahl? Die Waffe an seinem Holster spricht eine deutliche Sprache, aber ich weiß auch, dass ich ihm gleich ausgeliefert sein werde. Verflixt… Kann ich wirklich gar nichts tun?

    Am Gitter angekommen soll ich ihm meinen Arm entgegenstrecken. Ehe ich versehe, was passiert, wird mir eine Kochsalzlösung verabreicht. Seine Augen mustern mich, und ich sehe eine Spur von Berechnung darin. Vermutlich hat er bemerkt, wie schlecht es mir wirklich geht. Mein Körper fühlt sich an wie Blei, und ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Oder aber er hat den Befehl, mich transportfähig zu machen. Die Welt um mich rum bekommt schon wieder etwas mehr Farbe.


    „So, sind wir bereit zum Abtransport?“, fragt er mit spöttischem Ton, als er geendet hat.

    „Ich nicht, aber du wahrscheinlich schon“, entgegne ich, und mein Sarkasmus bleibt nicht unbemerkt. Sein Grinsen verschwindet.


    Es folgt die gleiche Prozedur wie zuvor auch schon: Die Handschellen klicken, kalt und unerbittlich wie immer. Als er das Gittertor öffnet, zielt er sofort mit seiner Waffe auf mich und befiehlt mir, langsam nach draußen zu gehen. Der eisige Wind trifft mein Gesicht, als ich schließlich vor die Haustür trete.


    Vor mir steht ein Humvee – ein monströses Fahrzeug, gepanzert und einschüchternd. Mein Magen zieht sich zusammen. Was haben sie jetzt vor? Ich versuche, mich zu weigern, zu kämpfen, aber meine Kräfte sind am Ende. Er packt mich grob und verfrachtet mich in das Fahrzeug.


    Schließlich geht die Fahrt in der Dunkelheit los.


    Als wir einige Zeit gefahren sind, meldet sich mein schweigsamer Fahrer zu Wort. „Riechst du den Duft der Heimat?“, fragt er höhnisch, während wir in Richtung Prigorodki fahren. Mein Blick wandert aus dem Fenster. Ich erkenne das Camp, die vertrauten Silhouetten in der Dunkelheit. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals.


    „Danke, du kannst mich hier rauslassen. Den Rest schaffe ich auch zu Fuß“, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Natürlich ignoriert er mich. Aber zu meiner Überraschung hält er vor Prigorodki an, steigt aus und öffnet meine Türe. Wollen sie mich wirklich gehen lassen? Was wird denn hier nun wieder gespielt? Gerade, als ich aussteigen möchte, knallt er sie mir wieder vor meiner Nase zu. Ach, das war der Sinn des Spiels. Als ich mich mühsam aus meinen Fesseln winden will, bekomme ich einen Schlag ab, der mich zurück auf den Sitz drückt. Ich schreie, rufe um Hilfe. Aber nichts passiert. Es scheint, als habe er ganz genau gewusst, dass ausgerechnet jetzt niemand am Camp ist. Was für ein widerwärtiges Spiel.


    Wir setzen die Fahrt fort, und ich kann spüren, wie die Spannung in der Luft steigt. Doch dann passiert etwas, womit wohl keiner geahnt hat. Eines dieser Naturphänomene oder eine dieser gefürchteten Anomalien (Lags) packt unser Fahrzeug. Auf halbem Weg nach Chernogorsk verliert mein Fahrer plötzlich die Kontrolle über das Auto. Der Humvee schleudert vor und zurück und kracht, wie durch eine gigantische unsichtbare Hand geschleudert, gegen einen Laternenmast und bleibt liegen. Alles um mich herum wird schwarz.



    Ich wache mit pochendem Kopf an der Küste auf. Mein Körper schreit vor Schmerzen, aber mein Geist ist klar: Das ist meine Chance. Ich schleppe mich auf die Beine. Ich bin nicht weit entfernt von der Unfallstelle und schleppe mich mühsam vorwärts. Doch bevor ich mich entfernen und in Sicherheit begeben kann, ist er bereits da. Er hat seine Waffe in der Hand und zielt auf mich. Mir reicht es. Mit der Kraft der Verzweiflung stürme ich auf ihn los. Es kommt zum Kampf. Faust gegen Faust. Er ist stärker, aber ich kämpfe mit einer Verzweiflung, die ich nicht einmal kannte. Von meinem Einsatz überrascht, liegt er plötzlich bewusstlos vor mir. Verdammt… ja, ich wollte ihn bezwingen und abhauen. Aber so? Ich kann ihn einfach nicht sterben lassen. Wie schon bei Chuck setze ich beherzt zur Reanimation an. Mein Gegenüber steht auf packt seine Waffe und dieses Mal bin ich ihm unterlegen. War ja klar. Was bin ich für ein Einfaltspinsel. Mit groben Bewegungen legt er mir erneut die Handschellen an und zwingt mich weiter zu Fuß in Richtung Chernogorsk. Ich kenne die Strecke im Schlaf in und auswendig und ich ahne bald, wohin unser Weg mich führt.


    Als wir Chernogorsk erreichen, sehe ich, was meine Entführer die letzten Wochen getan haben: Eine gigantische Basis rund um die Polizeistation erstreckt sich vor uns. Es ist ein Fort aus Holz und Stacheldraht, das den Horizont dominiert. Als ich das Gebäude vor mir emporragen sehe weiß ich es: Hier endet meine Reise. Doch mein Herz schlägt schneller, denn ich bin nahe – nahe bei meinen Freunden, nahe bei den Samaritern.


    Ich werde in eine Zelle gebracht und eingeschlossen. Zeit, meine Wunden zu lecken und Kraft zu tanken. Die Spannung in der Luft ist greifbar. Chuck mag nicht hier sein, aber seine Präsenz ist überall spürbar. In jeder Wand, jedem Tor und jedem Gitter. Sie scheinen sich vorzubereiten. Ob Hilfe unterwegs ist? Ich hoffe es, denn dann kann der Showdown beginnen.

  • Unbekanntes Datum – Polizeistation Chernogorsk

    Das große Finale (1): Der Masterplan

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    "What a twisted web you weave

    Inside a maze of mirrors

    But you're afraid you're false, I was deceived"



    Das erste Licht des Tages sickert durch das vergitterte Fenster meiner Zelle, kalt und unbarmherzig wie alles hier. Mein Magen knurrt leise und die Schmerzen in meinem Bein sind schwerer zu ignorieren. Der Streifschuss, den ich vor einigen Tagen davongetragen habe, mag keine tiefe Wunde hinterlassen haben, aber die Prellungen und der Blutverlust haben meinen Körper ausgelaugt. Jede Bewegung kostet mich Kraft, die ich kaum noch aufbringen kann.


    Ich liege auf der harten Pritsche, die Hände zitternd vor Erschöpfung, als ich das vertraute Klicken des Türschlosses höre. Schritte hallen durch den Flur – schwer, zielgerichtet. Es ist der Asiate. Ich habe noch immer keinen Namen für ihn und ich weigere mich zu akzeptieren, dass es Chucks Bruder sein soll, also kann ich ihn nur nach seinem Erscheinungsbild benennen. Er bewegt sich mit einer Entschlossenheit, die heute noch bedrohlicher wirkt. Doch etwas ist anders.


    „Aufstehen!“, bellt er, während er näherkommt. Seine Stimme ist scharf, und ich weiß, dass Widerspruch keine Option ist. Langsam rolle ich mich zur Seite, lasse meine Beine über den Rand der Pritsche baumeln und starre ihn an. Jede Bewegung brennt, aber ich zwinge mich dazu, nicht die Schwäche zu zeigen, die mich innerlich auffrisst.

    „Heute wird’s interessant“, sagt er mit einem Grinsen, das nichts Gutes verheißt. In seinen Händen hält er etwas, das mir sofort auffällt: rote Sanitäterkleidung. Meine rote Sanitäterkleidung – oder zumindest ein nahezu identisches Set. Sie sieht fast neu aus, nur leicht verschmutzt. Keine Risse, keine Flecken, nichts, was von den Strapazen erzählt, die ich durchgemacht habe. Mein Blick wandert zu meinen eigenen Kleidern, die zerschlissen und dreckig wie ich selbst sind. Sie sind ein stummer Zeuge meiner Qualen, ein Schatten dessen, was ich einmal war.


    Er schließt die Zellentür hinter sich, beugt sich leicht vor und bringt sein Gesicht auf eine Höhe mit meinem. Nur das Gitter trennt uns. Sein Grinsen wird breiter, während er die Uniform vor seinen Körper hält, als würde er sie anprobieren. „Steht mir doch, oder?“, fragt er spöttisch und dreht sich einmal wie ein Schauspieler auf einer Bühne.

    „Du bist krank“, stoße ich hervor, meine Stimme zitternd vor Wut. Doch er lässt sich nicht beirren. „Deine Samariter“, beginnt er, und in seinem Ton liegt unverhohlene Verachtung, „diese Möchtegern-Helden. Sie sind bestimmt schon unterwegs. Vielleicht sogar schon in der Stadt. Und weißt du, was das Beste daran ist?“ Er macht eine dramatische Pause, und mein Magen zieht sich zusammen. „Sie werden MICH retten.“


    Ich starre ihn an, unfähig zu antworten. Sein Plan ist grausam in seiner Einfachheit: Er will sich als mich ausgeben, die Retter in die Falle locken und sie dann aus dem Hinterhalt ausschalten. Sein Lächeln wird noch breiter, als er mit übertriebener Gestik meine Haltung imitiert. „Oh nein, mir wird Gewalt angetan!“, sagt er in gespielter Panik. „Holt mich doch endlich hier raus!“



    „Sie werden dich durchschauen“, sage ich schließlich, langsam, doch die Überzeugung in meinen Worten fühlt sich hohl an. Er schüttelt nur den Kopf. „Wirklich? Schau dich doch an – dreckig, kaputt, zerschlissen wie deine Hoffnung. Sie sehen nur, was sie sehen wollen: Herz-Aus-Gold, die arme Geisel, die gerettet werden muss.“


    Ein zweiter Entführer tritt in den Flur, bleibt an der Tür stehen und sichert die Umgebung. Der Asiate nickt ihm zu. „Bring sie rauf“, befiehlt er, und bevor ich reagieren kann, packen mich grobe Hände. Meine Hände werden erneut gefesselt, und Schritt für Schritt werde ich nach oben gezerrt – ganz nach oben, bis kurz vor das Dach der Polizeistation.



    Ich bekomme die Handschellen abgenommen und werde gezwungen, eine Feuerleiter hinaufzuklettern. Mein Körper schreit vor Schmerz, aber ich habe keine Wahl. Irgendwie schaffe ich es, den Aufstieg zu bewältigen, bis ich endlich nach Luft schnappend auf dem Dach ankomme. Der Turm, der sich hier erhebt, ist umgeben von hölzernen Zäunen und Tarnnetzen. In der Mitte steht ein Verschlag, gesichert durch mehrere Holzwände und ein Gittertor.


    Ich werde in die Zelle geschoben. Das gelbe Fass, mein „treuer Begleiter“, erwartet mich bereits. Ich bekomme eine schwere Plattenweste gereicht, die ich „zu meinem Schutz“ - wie sie sagen - anziehen soll. Scheint, als würde es hier zumehmend ungemütlich werden, aber sie brauchen mich lebend. Noch.

    Der Asiate bleibt einen Moment stehen, mustert mich in der Plattenweste und sagt nur: „Warte hier. Die Show beginnt bald.“


    Ich sinke auf den Boden, die Arme brennend, mein Herz schwer vor Angst und Erschöpfung. Der Hunger in meinem Magen ist ein dumpfes Pochen, übertönt von der Ungewissheit, die vor mir liegt. Doch tief in mir keimt ein winziger Funke Hoffnung auf. Vielleicht ist dies der letzte Ort, an dem sie mich festhalten. Vielleicht sind meine Retter, die ich mir so sehr wünsche, schon auf dem Weg. Vielleicht endet es heute.

  • //Ab hier behandeln die Beiträge die Geschehnisse während des Event-Finales aus Herz-Aus-Golds Sicht.



    Unbekanntes Datum – Polizeistation Chernogorsk

    Das große Finale (2) - Eigeninitiative


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    "All the bones that you′re breakin′ (Breakin')

    You pretend that you′re the one that can save me (Save me)

    Now I'm takin′ it back, it was never yours (Never yours)

    I'm fightin′"



    Das kalte Licht des Nachmittags fällt durch das Tarnnetz vor meinem Verschlag, während ich regungslos auf dem Boden sitze. Mein Magen knurrt, und meine Prellungen pochen schmerzhaft bei jeder Bewegung. Plötzlich höre ich eilige Schritte, die über das Dach hin und her hallen. Die Entführer sind in Aufruhr, ihre Stimmen werden lauter, schärfer. Es ist nicht zu übersehen, etwas ist im Gange.


    Dann fallen die ersten Schüsse, dumpf und schallgedämpft, und ich halte den Atem an. Kommen sie aus Richtung Prigorodki? Meine Hoffnung keimt auf, aber ich wage nicht, sie zu nähren. Stattdessen hebe ich die Hände über den Kopf, ein entwaffnendes Zeichen, das meine Unterwürfigkeit zeigen soll. Wenige Sekunden später öffnet sich das Tor, und ein Entführer, den ich noch nie gesehen habe, tritt ein. Ohne ein Wort fesselt er meine Hände hinter dem Rücken, grob und schnell. Er will sichergehen, dass ich keinen Versuch wage, ihren Plan zu durchkreuzen.


    Ich hocke mich in die Ecke meiner Zelle, meine Hände eingeschränkt, die Bewegungen schmerzlich. „Das wird nicht leicht“, denke ich, während ich die Stimmen draußen höre. Es sind mindestens zwei, vielleicht drei Bewacher auf dem Dach. Die Waffe des Asiaten ist plötzlich wieder auf mich gerichtet, als er erneut vor meiner Zelle auftaucht. Seine Augen funkeln bedrohlich, und mit einer klaren Geste deutet er auf mich. „Dir wird’s heute dreckig ergehen!“, sagt er mit einem Grinsen.

    Welcome to my world. Mal ehrlich, schlimmer als das, was ich bisher durchgemacht habe? Ich bitte euch… es kann einfach nur besser werden.


    „Angst, Potter?“, stoße ich hervor, der Sarkasmus ist meine einzige Verteidigung. Warum dieses Zitat? Es scheint aus einer längst vergangenen Welt zu kommen. Aber es ist heraus, und ich spüre einen Funken Triumph, als er kurz stutzt. „Träum weiter“, gibt er schließlich zurück. Sein Lachen hallt in meinem Kopf wider, doch seine Worte fügen sich nahtlos in die Widersinnigkeit der Situation. Es ist ein Duell, das wir beide gerade begonnen haben.


    Als er sich entfernt, beginne ich damit, an meinen Fesseln zu arbeiten. Das Metall der Handschellen drückt sich in meine Haut, aber ich muss etwas tun. Sobald ich Schritte höre, halte ich inne, um keinen Verdacht zu erregen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das ich mir nicht leisten kann zu verlieren. Ein Schuss hallt über das Dach, diesmal näher. Meine Finger arbeiten weiter, trotz des metallischen Klicken der Handschellen, das die Stille durchbricht.


    Endlich bin ich frei. Meine Handgelenke pochen, aber ich kümmere mich nicht darum. Stattdessen wende ich mich dem Zahlenschloss zu, das mein Tor sichert. Es hat nur drei Stellen – ich kann das schaffen! Mit zitternden Fingern stelle ich eine Kombination nach der anderen ein, immer wieder innehaltend, wenn Schritte näherkommen.


    „Benimm dich, sonst Beine krack krack!“, schreit der Asiate plötzlich und schlägt mit seinem Gewehr nach mir, als er meine Versuche bemerkt. Ich weiche zurück, ein erschöpftes „Lern mal Deutsch!“ entfährt mir, bevor ich mich wieder in die Ecke meiner Zelle zurückziehe. Von unten höre ich Trinitys Stimme, scharf und genervt: „Schnauze da oben!“ Sie ist also auch hier. Doch wo ist Chuck?


    Die Zeit vergeht, Schuss um Schuss hallt über das Dach. Ich mache weiter. Langsam, geduldig. Wieder stelle ich eine Ziffer ein. Plötzlich eine Explosion – der Boden unter meinen Füßen bebt. Eine Sprengladung muss unten detoniert sein. Der Asiate rennt vorbei, das Gewehr im Anschlag, und ich nutze die Gelegenheit. „Haha, siehst du? Sie kommen! Spürt die Power meiner Bambi-Armee!“, rufe ich ihm einschüchternd hinterher, während ich am Schloss arbeite. Als hätte ich eine Armee zur Verfügung, aber vielleicht zeigt der Bluff ja Wirkung.


    Meine Finger zittern so stark, dass ich kaum die nächste Zahl einstellen kann, aber ich lasse mich nicht aufhalten. Die Welt um mich herum scheint in einer Kakophonie aus Schüssen, Explosionen und panischen Schreien zu versinken.


    Dann höre ich ihn wieder. „Du wirst noch dein blutiges Wunder erleben!“, droht der Asiate, seine Worte verlieren sich fast in der tosenden Geräuschkulisse. Doch diesmal ist es mir egal. Ein letztes Mal nehme ich all meine Kraft zusammen und fokussiere mich auf das Schloss. Schüsse. Explosionen. Schritte, die über mir dröhnen. Ich weiß nicht, ob meine Befreier es bis hierhin schaffen, aber ich muss am Ball bleiben.


    ~ ~ ~


    Die Zeit schleppt sich dahin wie eine Schnecke auf einem Sandweg. Ich sitze auf dem harten Boden meiner Zelle, die Hände schmerzen von den Fesseln, und meine Gedanken kreisen unaufhörlich um Fluchtmöglichkeiten. Immer wieder beobachte ich die Bewegungen der Bewacher, lausche auf die Schüsse und das dumpfe Echo der Detonationen, die aus der Ferne durch die Mauern dringen. Ich kann nur langsam am Schloss arbeiten und muss alles gut timen. Wenn ich das Schloss nicht knacken kann, so lenke ich wenigstens die Aufmerksamkeit eines potenziellen Schützens auf mich. Aber ich muss vorsichtig sein und darf den Boden nicht überspannen.


    Die Retter sind da, davon bin ich überzeugt. Es ist alles nur eine Frage der Zeit.


    Mit zittrigen Fingern taste ich erneut das Schloss ab, kaum dass mein Bewacher sich entfernt hat. Eine Zahl nach der anderen stelle ich ein, so vorsichtig wie möglich. Doch das metallische Klicken bleibt nicht unbemerkt. „Wirst du wohl aufhören!“, donnert der Asiate von draußen, sein Gewehr im Anschlag. Ich hebe sofort die Hände und weiche zurück. Doch kaum ist er wieder verschwunden, mache ich weiter.

    Ein perfides Spiel beginnt. Ich bin am Zug auf diesem Schachbrett, meine Bewegungen begrenzt, während die Bauern um mich herum patrouillieren. Doch ich bin nicht gewillt, mich schlagen zu lassen. Mein nächster Zug: Ich greife eine der Hundefutterdosen aus dem gelben Fass und werfe sie mit voller Wucht auf den Boden. Ohne Dosenöffner bekomme ich sie ohnehin nicht auf. Ein weiterer Ausdruck von Hohn durch meine Entführer.

    Das dumpfe, blecherne Scheppern hallt durch die Zelle, und wie erhofft, stürmen gleich zwei Bewacher mit erhobenen Waffen herbei. Ihre Augen sind weit aufgerissen vor Anspannung, vermutlich haben sie mit einem weiteren Granatenangriff gerechnet.

    „Die Gefangene möge sich ruhig verhalten, sonst werden ihr die Beine gebrochen.“ Die Durchsage hallt durch die Lautsprecher der Stadt, fast wie die Bahnhofsdurchsage in der alten Welt. Die Stimme ist ruhig, fast gelangweilt, als wäre das alles ein routinemäßiger Tag im Büro. Es wäre beinahe absurd, würde nicht gerade meine Freiheit auf dem Spiel stehen.


    Ich lausche auf das Geräusch ihrer Schritte, warte, bis sie sich entfernen, dann greife ich wieder zum Schloss. Die Zahlen stellen sich träge unter meinen zittrigen Fingern, eine nach der anderen. Doch plötzlich ein Schrei: „Hör auf damit, sonst brech‘ ich dir die Füße!“, brüllt der Asiate und stürmt erneut auf mich zu. Dieses Mal gebe ich ihm eine Blutkonserve durch die Gitterstäbe, ein Akt der Beschwichtigung. „Hey, ich will dir ja nur die Blutspende geben.“, sage ich ruhig, obwohl mein Herz rast.


    „Warum seid ihr so nervös?“, frage ich, meine Stimme so beiläufig wie möglich. Seine Augen verengen sich. „Ein Vögelchen hat gezwitschert, dass du heute eine Befreiungsmission erleben wirst.“ Seine Worte sind übertrieben gewählt, als hätte er meinen Spott von vorhin in Bezug auf seine Deutschkenntnisse tatsächlich ernst genommen.

    „Na, das freut mich doch“, antworte ich, und meine Erleichterung ist echt. Sie kommen. Meine Befreier kommen wirklich! „Na dann haut rein, da draußen!“, rufe ich, wobei ich jede Silbe betone, damit meine Stimme das Mikrofon in der Sendezentrale unter mir erreicht.

    „Die Chuckattacks werden es verhindern!“, tönt die tiefe Stimme aus den Lautsprechern, doch ich lasse mich nicht einschüchtern. „Holt mich hier raus, jawoll! Die Typen sind komplett irre!“, schreie ich, so laut ich kann. Der Asiate kehrt zurück, sein Gesicht verzerrt vor Wut. „Du wirst noch dein blutiges Wunder erleben!“, zischt er, doch ich antworte mit einem sarkastischen Grinsen. „Oh Mann, der Wortwitz! Hast du da lange dran gesessen?“ Seine Fassade bröckelt. Er greift nach seinem Gewehr, doch eine Explosion unter uns lässt ihn zurückschrecken. Der Boden erbebt, Staub rieselt von der Decke. Meine Retter sind nicht weit und er eilt zurück zu seinem Posten.


    Ich mache mich erneut am Schloss zu schaffen, meine Finger zittern, doch ich bin entschlossen. Ein Schuss durchbricht die Luft, dann noch einer, und die Panik der Entführer wird greifbar. Die Welt um mich herum versinkt wieder in jener Kakophonie aus Schüssen, Explosionen und panischen Rufen. Der Boden bebt erneut, und das Tor gibt ein leises Knirschen von sich. Es ist noch nicht offen, aber ich weiß, ich bin nah dran. Sehr nah. Mein Herz hämmert in meiner Brust, die Freiheit ist greifbar.


    Ich werde nicht aufgeben. Nicht jetzt. Nicht hier. Heute endet das. Auf die eine oder andere Art.



    ~ ~ ~

  • Unbekanntes Datum – Polizeistation Chernogorsk

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    "Show 'em what you′re made of

    Victory's for the brave ones

    Never bow the knee

    'Cause it′s do or die."


    Das große Finale (3) - Demoralisierung

    Die Luft in meiner Zelle ist stickig, die Spannung greifbar. Jeder Atemzug fällt mir schwer, als ich erneut versuche, am Zahlenschloss zu drehen. Meine Finger zittern vor Angst und Erschöpfung, aber ich gebe nicht auf. Noch eine Zahl… dann vielleicht die nächste… Doch mein Bewacher hat genug von meinem Spiel.


    Ein lauter Knall zerreißt die Luft. Der Schuss trifft den Boden direkt vor mir, prallt vom Boden ab und streift mein Bein. Ein scharfer Schmerz durchzuckt mich, und ich keuche auf. Sofort hebe ich die Hände, lasse das Schloss los und weiche zurück. Mein Herz hämmert wie wild. Sie können mich offensichtlich nicht töten – noch nicht –, aber ich weiß, dass sich das bald ändern könnte. Und wenn das passiert, dann Gnade mir Gott.

    Wieder erschüttert eine Explosion das Gebäude, und ich werfe mich instinktiv auf den Boden. Der Staub rieselt von der Decke, und die Wände vibrieren unter der Wucht des Angriffs.

    Für einen Moment erfasst mich eine dunkle Vorahnung. Was, wenn meine Retter nicht wissen, wo ich bin? Was, wenn sie den Turm in Grund und Boden sprengen, ohne zu ahnen, dass ich hier bin?

    Der Gedanke lähmt mich fast, aber ich schüttele ihn ab.


    Plötzlich zischt etwas in meine Richtung. Eine pinke Rauchgranate rollt in meine Zelle, und der aufsteigende Rauch füllt den Raum mit einer erstickenden Wolke. Ich huste heftig und versuche, den Drang nach Luft zu unterdrücken. Schüsse und das Surren von Kugeln hallen durch den Turm. Einer meiner Bewacher geht zu Boden – nicht der Asiate, aber es ist ein erster Erfolg. Hoffnung keimt in mir auf, doch sie wird sofort von einer hallenden Durchsage erstickt: „Verstärkung ist unterwegs! Wir sind die Chuckattacks. Flieht, ihr Narren!“ Die Stimme ist tief und ruhig, doch in ihrem Unterton liegt eine höhnische Genugtuung. Es ist klar, sie versuchen, meine Retter zu demoralisieren.


    Der Asiate kommt zurück, sein Gewehr bedrohlich auf mich gerichtet. „Aufstehen!“, bellt er, und ich zwinge mich, seine Anweisungen zu befolgen. Er hält wirft mir einen Zettel hin und presst die Worte durch zusammengebissene Zähne: „Sprich!“


    Ich nehme den Zettel mit zitternden Händen und beginne, die Worte zu lesen.


    „Dies ist eine Nachricht an die Samariter und alle, die mich suchen.

    Ihr müsst aufhören. Bitte. Ich weiß, dass ihr es gut meint, aber es ist zwecklos.

    Es gibt keinen Plan, keinen Helden, der mich hier rausholen wird.

    Ihr werdet alle verletzt, ihr werdet alle sterben… Alles, was ihr tut, bringt niemandem etwas – schon gar nicht mir.


    Die Entführer haben recht.

    Ihr seid keine Retter, ihr seid nur Dummköpfe, die versuchen, eine verlorene Sache zu retten.

    Wenn ihr euch jetzt zurückzieht, wenn ihr mich vergesst, könnt ihr wenigstens euch selbst schützen.

    Eure Gruppen, eure Freunde – die brauchen euch.

    Nicht ich.

    Nicht mehr.


    Bitte… lasst mich los. Es ist zu spät.“


    Meine Stimme zittert, als ich die letzten Worte lese. Mein Herz rast, während ich verzweifelt überlege, wie ich meinen Freunden eine geheime Botschaft zukommen lassen kann. Der Asiate fixiert mich mit einem kalten Blick, und ich weiß, dass ich keine Zeit habe.

    Ich muss es auch versuchen. Das ist meine Chance!

    „Soll ich den Rest auch noch vorlesen?“, sage ich schließlich, fast beiläufig, als hätte ich nicht bemerkt, dass die Aufnahme noch läuft.


    Das sitzt. Shaitan sei Dank... ich konnte mich an die Berichte über die Operation Nightingale bzw. The Movement of the Red Star erinnern. Damals wurde der Leiter des CRK, Shaitan, von Terroristen entführt und sollte eine Lösegeldforderung vorlesen. Der schlaue Fuchs griff zu einer brillianten Taktik und konnte so den anderen genau vermitteln, dass die Nachricht nicht echt war. Damals hatte er einen Satz in seine erzwungene Rede eingebaut, der wie ein beiläufiger Kommentar klang, aber seine Retter erkennen ließ, dass er unter Zwang handelte.


    Meine Worte verhallen für einen Moment, dann höre ich ein unheimliches Lachen aus der Sendeanlage: „Sie hat so recht! Gebt auf! Ich hab schon Tinnitus im Auge, ich seh nur Pfeifen da draußen!“

    Es hat funktioniert. Die ruhige, tiefe Stimme aus dem Lautsprecher versucht, es zu überspielen, aber ich bin sicher, dass meine Freunde meine wahren Worte hören. Der Asiate lacht ebenfalls, boshaft und höhnisch, doch er drückt nicht ab. Stattdessen zieht er sich zurück, und ich sinke in die Ecke meiner Zelle.


    Ich habe ihnen die Nachricht übermittelt, die sie wollten, doch mit diesem unscheinbaren Satz habe ich auch meine eigene Botschaft gesendet. Meine Freunde werden verstehen. Sie kennen mich. Sie wissen, dass ich niemals so sprechen würde – nicht ohne Zwang.


    Ich hoffe, dass sie die wahre Nachricht hören können: "Ich bin hier. Ich kämpfe auch. Kommt und holt mich.“