Testament des Vergangenen
Kapitel 2: Mit offenen Augen verloren
„Wer im Nebel wandert, erkennt nicht, ob er sich verirrt – oder ob die Welt selbst verloren ist.“
Träume...
Brennenden Wäldern.
Der Rauch stieg wie Stimmen in den Himmel.
Unter mir eine Stadt, Gehüllt in grünen Nebel der, wie giftiges Tuch über den Ruinen lag, Überwuchert, als hätte der Wald geerntet, was einst ihm gehörte.
Ein tiefschwarzer Rabe flog durch den Nebel,
landend auf dem Dach einer alten Kirche, dort, wo einst vielleicht jemand gebetet hatte,
Ein einziger Blick – rotglühend, wie das Auge selbst.
Dann kam der Schrei.
Ein Laut so voll Schmerz, dass mein Innerstes erbebte.
Eine blutige Klinge – für den Bruchteil eines Augenblicks.
Ein Lachen, zufrieden.
Und Dunkelheit.
Ich fuhr auf.
Das Lagerfeuer war längst nur noch kalte Asche.
Die Sonne kämpfte sich durch Nebel und Baumwipfel.
Eine kalte Schönheit lag über dem Wald –
eine stille Schönheit, die sich verbarg vor einer Welt, die nichts mehr für solche Momente übrighatte.
Ein Blick umher.
Bausch schlief scheinbar noch. Die anderen ebenfalls.
sitzend, Waffen in Händen – selbst im Schlaf auf der Hut und ohne Frieden.
Langsam aufstehend ließ ich den Blick durch das dunstige Licht gleiten.
Rehe in der Ferne zu hören. Kein Husten, kein Knurren. Nur Natur.
Für einen Moment – nur einen – war es friedlich.
„Guten Morgen“, kam es leise von hinten.
Bausch.
Er war schon da, genoss diesen flüchtigen Moment genauso wie ich.
Wir sagten nicht viel. Mussten wir auch nicht.
Die anderen erwachten. Misstrauen lag noch immer in der Luft, aber wir bewegten uns – weiter.
Im Gehen begannen die beiden, mit denen wir die Nacht geteilt hatten, zu sprechen.
Der eine – der Vielredende – schilderte seine Sicht auf das Überleben.
Der Stille, wie immer, schwieg.
Worte über Notwendigkeit. Über Entscheidungen.
„Manchmal muss man’s tun. Menschen töten. Wenn du’s nicht machst, tut’s wer anders.“
Ich spürte, wie sich Bausch neben mir anspannte.
Sie hatten schon getötet.
Vielleicht mehr, als je nötig gewesen wäre.
Der Vielredende redete leicht, zu leicht.
In seinen Augen war kein Bedauern – nur Berechnung.
Keine Reue in seiner Stimme – nur kalte Zweckmäßigkeit.
Vielleicht sogar… Genuss? Freude?
Der Stille stimmte dem scheinbar wortlos zu.
Ich weiß nicht, warum wir ihnen weiter folgten. Wir hätten uns abwenden können.
Aber wohin? Vielleicht weil wir niemand sonst hatten.
Vielleicht, weil man in der Stille des Waldes weniger hinterfragt.
Das Dorf kam nach Stunden.
Ein Ort wie eingefroren – leer, Verfallen, schweigend, umhüllt in leichten Nebel.
Ein Polizeiposten, leergefegt, bedeutungslos. Ein Ort der einmal Ordnung kannte – jetzt nur noch eine Kulisse für Instinkt.
Eine blaue Hütte, früher vielleicht Hoffnung für Kranke, jetzt nur noch Moder der Vergangenheit.
Ein Brunnen – fast heilig im Anblick,
Ich war durstig.
Niederkriechend, wie zum Gebet.
Das Wasser, perfektes, klares, frisches, fast durchsichtiges Wasser.
Gelockt beugte ich mich hinab –
Und sah ihn nicht kommen.
Ein Schatten. Ein Raubtier.
Ich dachte, es sei einer von uns.
Dann – ein Messer, im Spiegel des Wassers in meinen Händen.
Ein Ruck zurück. Ein Schlag, der ins Leere ging – nur knapp.
Ich stürzte – das Herz schlug wie Flügel gegen den Brustkorb.
Über mir – der Räuber.
Noch ein Stoß – diesmal zielgerichtet.
Ein Schuss.
Der Angreifer sackte zusammen.
Bausch hatte gehandelt – instinktiv, schnell.
Keuchend mit dem Blick auf das Messer, welches nun neben mir lag.
Ein Zombie kam durch das Gebüsch. Ich griff danach, schlug zu.
Als ich aufblickte, lag der Räuber vor mir – noch am Leben.
Ich hielt inne.
Seine Augen – voller Angst.
Meine Hand – voller Zweifel.
Ich konnte nicht.
Die Hand, die das Messer hielt, zitterte.
Feigheit?
Oder Gnade?
Dann…
Der Vielredende trat wortlos aus dem Schatten.
Ein Schuss.
Stille.
Ich starrte auf den leblosen Körper.
Das Licht in seinen Augen… erloschen.
Kein Zögern. Kein Wort.
Ich sagte nichts.
Aber ich spürte es.
Etwas hatte sich verändert. Etwas kippte in uns.
Wir begruben ihn.
Zu dritt.
Unter dem Spott des Vielredenden.
„Zeitverschwendung“, murmelte er.
Aber für mich war er…
War er immer noch ein Mensch gewesen.
Vielleicht hatte ich ihn gehasst. Vielleicht hätte er mich getötet.
Aber… er war auch nur verloren. Wie wir alle.
Bausch zitterte. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.
ein stummes „Danke“.
Ein Nicken… Mehr brauchte es nicht.
Wir nahmen, was uns blieb.
Und gingen.
Zurück in den Wald, im Schutze des Nebels
Weiter.
Einfach nur weiter.