Testament des Vergangenen
Kapitel 4: Regen fällt nie grundlos
„Es gibt Momente, in denen wir uns selbst fremd werden – und nie wieder zurückfinden.“
Ich träumte – Regen.
Nicht dem, der wäscht oder Pflanzen gießt.
Dem, der vergisst.
Er fiel schwer auf die Welt,
auf einen brennenden Wald,
auf eine Straße, die niemand mehr ging.
Dort lag Er.
Verloren zwischen Flammen und Asche.
Ein Mensch – regungslos,
als hätte das Leben beschlossen, nicht zurückzukehren.
Ein Rabe landete auf ihm.
Ruhig – Selbstverständlich.
Er pickte ins Gesicht,
zog Fleisch aus der leeren Höhle,
als wäre es ein Tag wie jeder andere.
Dann sah er mich.
Ein einziges Auge.
Tiefrot,
wie die Glut unter der Erde.
Es brannte sich in mein Innerstes.
Der Schock riss mich aus dem Schlaf.
Feuchte Luft lag auf meiner Haut,
der Himmel war schwer und wolkenverhangen.
Über mir: das Blätterdach,
ruhig in einem leichten Wind, wie spöttischer Trost.
Es roch nach kalter Kohle und nassem Holz.
Ich starrte nach oben.
Noch immer spürte ich den Blick des Raben.
Noch immer brannte sein Auge in mir.
Neben mir saß der Stille,
kramte in seinem Rucksack.
Als er meine Augen traf,
blieb er kurz in der Bewegung stehen.
Keine Worte – nur dieses stille Fragen.
Ich flüsterte: „Komische Träume… in letzter Zeit.“
Er nickte kaum sichtbar.
Verstanden, wie so oft.
Bausch schlief auch noch.
Aber der Hunger war wach.
Er nagte langsam – nicht wild,
aber stetig.
Als der Morgen uns endlich vollends hatte,
zogen wir weiter.
Ein Dorf lag vor uns – Still, grau,
ein Ort, den selbst die Zeit vergessen hatte.
Vielleicht würden wir etwas essbares finden.
Aber vielleicht auch nur neue Schatten und Gedanken alter Zeiten.
Wir gingen schweigend.
Der Wald war still.
Nicht einmal Vögel wagten sich in diesen Tag.
Die Stadt lag leblos vor uns,
und doch… war sie es nicht.
Zombies bewegten sich langsam durch die Straßen,
träge, wie Erinnerungen, die nie ruhen wollen.
Wir teilten uns auf.
Die Zeit fehlte.
Ich durchsuchte Haus um Haus.
Zerfallene Küchen, verstaubte Regale,
einzelne Kinderschuhe,
ein zerbrochener Spiegel,
der mich nicht mehr erkannte.
Dann sah ich ihn.
Einen Brunnen.
Er war nur ein Bauwerk – und doch…
mein Atem stockte.
Ich zwang mich weiter.
Weg von dem Bild.
Weg von den Erinnerungen.
Das letzte Haus stand einsam,
am Rand des Dorfes,
dort, wo der Asphalt sich wieder ausbreitete,
wie eine alte Narbe.
Ich trat ein.
Still.
Vorsichtig.
Es roch nach altem Schweiß,
nach Eisen, nach Staub.
Dann: ein Schlag.
Von hinten.
Wuchtig, hart –
etwas traf mich an der Schulter,
ich fiel nach vorne,
meine Waffe rutschte mir aus der Hand und krachte auf den Boden.
Ein Mensch –
wild, verzweifelt,
die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Wir rangen.
Stolperten.
Rissen uns durch Flur und Tür,
bis der Kampf uns hinausschob – auf die Straße,
Nach draußen,
in das von dunklen Wolken verdeckte Licht.
Ich wollte nicht kämpfen.
Nur Abstand.
Nur reden.
Doch er schlug.
Und ich wich aus.
Und meine Hand – Sie griff das Messer.
Das eine.
Das, was Er dabei hatte.
Das, von dem ich geschworen hatte,
es nie zu ziehen.
Ein Ruck.
Ein Schrei.
Ein Schubser – und dann war es passiert.
Die Klinge.
Sein Körper.
Mein Griff.
Sein Blut.
Es floss über meine Finger.
Warmes Leben, das ich nie nehmen wollte.
Und doch…
Ich erstarrte.
konnte ihn nicht loslassen,
konnte nicht atmen.
Da lag er.
Ein Mensch – erschlagen von Angst,
nicht Schuld. Oder etwa doch?
Was habe ich getan….
Die anderen kamen.
Bausch blieb stehen,
sah mich nur an.
Keine Wut.
Nur dieses dumpfe Wissen,
das mehr sagte als jede Stimme.
Das Messer fiel aus meiner Hand.
Schlug kaum hörbar auf den nassen Asphalt.
Der Vielredende trat vor – grinste.
„War doch gar nicht so schwer“, murmelte er,
„gibt immer ein erstes Mal.“
Und dann beugte er sich über den Toten.
Fing an zu Suchen,
als wäre er nur ein Sack voll Dinge.
Ich hörte nichts mehr.
Schon lange nicht mehr.
Der Regen hatte begonnen.
Zuerst zaghaft, dann immer mehr.
Ich stand über dem Körper,
blickte hinab.
War das wirklich ich?
Ich hatte jemanden getötet,
der vielleicht nur überleben wollte.
Ich hätte sprechen können.
Ich hätte…
Aber ich tat es nicht.
Der Regen mischte sich mit dem Blut.
Zombies krochen heran,
Vom Geschehen angelockt.
Wir mussten gehen.
Keine Zeit mehr für ein Begräbnis.
Wortlos liefen wir die Straße hinauf,
in Richtung Wald,
in Richtung Irgendwo.
Ich drehte mich um.
Noch einmal.
Aus Reflex – oder Reue.
Und da war er.
Der Rabe.
Auf einem Pfosten sitzend,
nass, aber aufrecht.
Schwarz wie vergessene Schuld.
Er sah mich.
Er hatte alles gesehen.
Und in seinem Blick lag kein Tadel.
Nur Erkenntnis.
Ein stilles Spiegelbild
dessen, was ich geworden war.
Ich war ihm näher,
als mir selbst.
Er wandte sich nicht ab.
Musste er nicht.
Ich stand da.
Still.
Der Regen fiel.
Und das Messer in mir – Es schnitt nicht durch Fleisch,
sondern durch das,
was ich einmal war...