Testament des Vergangenen
Kapitel 1: Das Erwachen im Irgendwo
„Zwischen dem letzten Atemzug und dem nächsten liegt keine Ewigkeit – nur Vergessen.“
Das erste Bruchstück... Die Küste... Fundament unseres Weges...
Ein heimtückischer Ort.
Kein Anfang, kein Ende. Nur Nässe, Salz und das Echo fremder Schritte.
Ein Ort, an dem alles seinen Anfang findet – und nichts je wirklich aufhört.
Die Gedanken an das Davor waren wie blasse Bilder im Nebel: Gesichter ohne Namen, Stimmen ohne Herkunft, Wärme ohne Bedeutung.
Was blieb, war das Rauschen. Nur das Rauschen.
Wir suchten einander. Nicht als Fremde. Als Brüder.
Geboren aus demselben Blut.
Getrennt durch Dunkelheit, durch Tod – oder etwas, das schlimmer war.
Wir tasteten durch die Finsternis, um das Verlorene zu greifen:
Den letzten Moment, den letzten Hauch, bevor das Nichts kam.
Dieses Nichts gehüllt in Schwarz, das mehr trug als nur Tod.
War es ein Fluch in dieser Welt voller wandelnder Leiber, oder ein Geschenk?
Ein zweites Leben, in einer Welt, die keine mehr ist?
Diese beiden Brüder waren wir.
Jung. Naiv. Noch unbefleckt von der Notwendigkeit, zu töten, um zu bleiben.
Noch voller Fragen – und ohne Antworten.
Unsere Schritte führten uns in eine namenlose Stadt am Meer.
Verrostete Kräne ragten in den Himmel wie Finger, die längst aufgegeben hatten zu beten.
Wir durchsuchten Häuser, fanden Dosen, Fetzen, ein rostiges Messer. Und sie –
die die einst Mensch waren, bewegte sich jetzt nur noch in Fetzen von Erinnerung.
Wir schlugen zu. Mit Angst, mit Wucht, mit Schuld.
Und doch kam die Frage:
Haben sie einst gelacht? Geweint? Geliebt?
Oder sind wir es, die nun langsam werden wie sie?
Zwischen den Ruinen trafen wir auf ein anderes Paar.
Zwei Männer – Fremde. Kein Willkommen. Nur starre Blicke und Gewehre in Händen.
Der eine redete zu viel. Der andere kein Wort.
Nicht Brüder. Keine Freunde.
Nur Überlebende, die nebeneinander existierten.
Wir standen einander gegenüber. Vier Silhouetten. Vier Gewehre.
Die Finger zitterten. Die Luft zerriss zwischen Blicken.
In mir – eine Stimme:
Sollte ich abdrücken?
Sind sie wie wir? Oder die Nächsten, die sich wandeln?
Doch dann…
Bausch senkte seine Waffe.
Langsam. Offen.
Hob die Hand – wie man es tut, wenn man zeigen will: Ich bin kein Feind.
Der Stille trat vor. Legte die Hand auf den Lauf des Vielredners. Drückte ihn sanft nach unten.
Ich… ließ los. Meine Waffe sank.
Der Moment blieb still. Kein Wort. Kein Schuss. Nur vier Menschen, die kurz vergaßen, was aus der Welt geworden war.
Wir verließen die Stadt gemeinsam.
Ohne Vertrauen. Aber mit Zweck.
Stumm zunächst, doch die Dunkelheit im Wald ließ Worte zu.
Zwischen knirschenden Ästen und dem Flüstern des Windes
fielen zaghafte Sätze.
Über das Wiederkehren.
Über das schwarze Nichts.
Über das Gefühl, aufzuwachen mit leerem Brustkorb,
als hätte man etwas vergessen, das man nie kannte.
Keiner sprach von Hoffnung.
Aber wir hörten einander zu.
Im Dickicht fanden wir Schutz.
Ein Lagerfeuer.
Es knisterte, als wollte es für uns sprechen.
Die Fremden saßen still, doch ihre Schultern sanken.
Man war noch misstrauisch.
Aber man war müde.
Und irgendwann –
ließ uns die Erschöpfung los.
Wir waren zu viert.
Und doch – jeder war allein.