01.07.2023 – Meine Herz
Es ist viel los bei uns am Camp und wir befinden uns im regen Austausch. Thema Nummer eins sind natürlich „die Russen“, oder die „Balzbubis“, wie ich sie in Ermangelung eines eigenen Namens wegen ihres doch seltsamen Auftretens scherzhaft nenne. Henriks Basis wurde erneut angegriffen, aber seine Sprengfallen zeigen Wirkung. Da er nun besonders vorsichtig ist, stoppt er auch einen Fahrer mit einem roten Gunter mit einer Straßensperre. Zunächst denke ich, dass er da vielleicht den Räuber des Bambi-Mobils angehalten haben könnte, aber der Fremde gibt sich als unser Bekannter Xam zu erkennen und versichert mir glaubhaft, dass er das Auto in Kamyshovo gefunden und wieder flott gemacht habe und seither damit ganz Chernarus bereist. Ich glaube ihm, denn bisher hat Xam sich uns gegenüber stets korrekt und freundlich verhalten und so auch Henrik sieht es so. Ich wünsche ihm alles Gute und Henrik lässt ihn ziehen.
Am Camp in Solnichniy treffen Kanu, Jammet und ich auf den „coolen Alex“, bzw. den „Allgäuer Alex“, wie er sich uns vorstellt. Ich statte ihn mit dem Nötigsten aus. Auch er zeigt sich dankbar für die Starthilfe und geht dann in Ruhe seinen Weg. Zeit für uns, nach Prigorodki zurückzukehren.
Dort angekommen verabschieden sich Jammet und Kanu wieder und ich baue noch etwas Gemüse an. Ein weiterer Überlebender stößt zu uns, der sich selbst zunächst „Negan“ nennt, aber auf Nachfragen hin nichts mit dem zur Sage gewordenen Negan aus dem anderen Chernarus zu tun hat. Es ist vielmehr ein Deckname, den er sich ausgesucht hat, aber eigentlich heißt er Jack und so möchte ich ihn auch viel lieber nennen. Ich glaube, er hat schlimme Dinge erlebt und ist auf der Suche nach Halt im Leben, der aber natürlich in solch einer Umgebung kaum zu finden ist. Außerdem hat er auch körperliche Beschwerden, denn er leidet unter einer starken Erkältung. Ich helfe ihm, seine Krankheit zu kurieren, obwohl sie sehr hartnäckig ist. Dann zieht er weiter.
Um auf andere Gedanken zu kommen und das Lager etwas zu füllen, angle ich etwas. Beim Fischen sehe ich Jack wieder, der von der Küste kommt. Er berichtet mir, dass er von einem schwarzen Gunter totgefahren wurde und darum wieder hier neustarten musste. Ich bekunde ihm mein Beileid. Wer hat wohl hinter dem Steuer gesessen und tut so etwas? Ein Schauer durchfährt mich, als ich daran denke, wie ich selbst vor einiger Zeit nur knapp einem Auto entkommen konnte. Nein, heute ist wirklich nicht Jacks Tag, aber trotzdem ist sein Wille ungebrochen und er zieht erneut in Richtung Norden.
Als Kanu zurück ist, meldet er Schüsse aus der Richtung von Pavlovo. Charly und seine Jungs haben dort eine riesige Basis mitten ins Gasgebiet gebaut. Wer macht denn auch sowas? Alarmiert prüfen sie sofort, ob dort noch alles steht. Leider sind sie zu spät und vieles wurde bereits ausgeräumt. Allerdings nehmen sie es sportlich, denn ihr persönlicher Verlust hält sich in Grenzen. Charly ist sogar amüsiert, wie viel Munition und Sprengstoff die Gruppe verschwendet hat, nur um an unbedeutenden Loot zu gelangen. Trotzdem beschließen die Jungs, umzuziehen.
Kanu und Jammet nutzen den Rest des Tages, um Bambikisten abzufahren. Unterwegs stoßen sie buchstäblich mit den Russen zusammen, die ihnen an einer Kurve mit einem schwarzen Gunter entgegenkommen. Meine Alarmglocken läuten. Mit erhobenen Waffen steigen die Russen aus, Kanu und Jammet grüßen sie jedoch freundlich, wie echte Samariter eben.
„Oh, it’s an accident! We need to call the police!”, scherzt Ronin, der die beiden wohl erkennt. Klar es ist ein Unfall, aber eine Polizei, die man wirklich rufen könnte, gibt es schon lange nicht mehr. Kanu erklärt Ronin, dass er auf der richtigen Straßenseite gefahren ist: rechts. Hoffentlich sind sie gut versichert! Ich bin erleichtert darüber, dass Jammet und Kanu mit ihm so gut scherzen können, aber etwas kommt Ronin seltsam vor. Innerhalb von 30 Minuten ist dies schon der zweite rote Gunter, den er heute zu Gesicht bekommt. Er berichtet, dass sie in Stary Sobor einen anderen Überlebenden in einem roten Gunter gesehen haben. Natürlich haben sie ihn nicht getötet, sondern nur mit ihm geredet. Ob das so stimmt? Wer war das? Der Räuber unseres roten Gunters oder vielleicht sogar Xam, der auch mit einem roten Gunter unterwegs ist? Das wäre schon ein großer Zufall.
Kanu prüft die Autos und stellt fest, dass alle noch in Ordnung sind und sie weiterfahren können. Ronin berichtet noch davon, dass er um Pavlovo herum einige Autos gesehen habe und sie dort in der Gegend eine Basis ausgeräumt hätten. Aha, das erklärt einiges. Also waren es in der Tat die drei Russen, die die Basis der Jungs geknackt haben. Irgendwie beeindruckend und unheimlich zu gleich. Aber Kanu lässt sich nichts anmerken. Wir bleiben neutral.
Ronin möchte aufbrechen, aber Jammet unterhält sich noch etwas mit ihm. Da hält es Cyber Sportsam nicht mehr aus. Er vollführt wieder einen seltsamen Tanz, rempelt mit seinem Körper und seinen Armen mehrmals das rote Bambimobil an und fragt Kanu: „Where is mein Herz?“ Kanu begreift sofort. Er baut sich vor seinem Gegenüber zu seiner vollen Größe auf, sieht ihn mit strengem Blick an und sagt mit tiefer Stimme voller Nachdruck: „That’s meine Herz!“ Der Balzbubi schüttelt den Kopf: „No, it’s meine Herz!“ Kanu beginnt zu lachen und wiederholt sich: „No, it’s mine. Definately mine.“ Als ich das über Funk höre, stockt mir der Atem. Einerseits bin ich nicht einfach ein Objekt, um das man sich streiten kann. Auf der anderen Seite weicht der anfängliche Ärger auch schnell einer Angst. Was, wenn Cyber Sportsman nun ernst macht? War das eben Kanus Todesurteil? Wie wird sein Gegenüber darauf reagieren? Ich mache mir wirklich große Sorgen um Kanus Sicherheit und da passiert es. Ganz offen fragt er: „We are married, you know?“ Erklärend fügt er hinzu: „We’ve been married for twenty years now.” Ich kann förmlich hören, wie am anderen Ende eine Kinnlade herunterklappen muss. Entweder Kanu oder ich… wir sind sowas von tot! „She’s married with you?“, fragt er ungläubig. „Yes, for twenty years.” Bestätigt Kanu. “And?”, fragt der Balzbubi gedehnt. „You’re too late“, grins Kanu triumphierend. Mann, Mann, Mann! Mir fehlen die Worte…Aber statt Kanu auf der Stelle zu erschießen und mir mit dem Tod zu drohen, sagt Cyber Sportsmann lediglich nochmals: „Meine Herz.“ Kanu schüttelt nochmals den Kopf, doch noch ehe das Spiel weitergehen kann, möchte Ronin Kanu noch eine Waffe als Entschädigung für den Unfall mitgeben, aber dieser lehnt ab und meint, dass sie es eilig hätten und er mit Jammet auch weitermüsse. Also verabschiedet er sich. Cyber Sportsman steigt grummelnd und unverrichteter Dinge in sein Auto. Wer weiß, was nun in ihm vorgeht? Ich bin auf jeden Fall erleichtert, dass Jammet und Kanu nichts passiert ist.
Meine Freunde steigen ein und können ihren Weg fortsetzen. Jammet seufzt tief und erleichtert: „Das war jetzt mal… anders.“ Kanu lacht wieder und melde sich bei mir über Funk: „Ja, Schatz. Der hat echt einen Hasen an dir gefressen…“ Eigentlich müsste es ‚Narren‘ heißen, aber ich bin zu perplex, um ihn da zu korrigieren. Das wird Folgen haben...
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