10. Juni – Stich ins Wespennest
Während ich noch geschlafen habe, kamen in aller Frühe bereits zwei Bambis in Solnichniy vorbei. Kevin und Max haben die beiden im Vorbeifahren am Lager dort beobachtet, aber nicht angehalten. Ich hoffe die Bambis konnten ein paar brauchbare Güter am Auffanglager finden, wenn schon Jahsan nicht anwesend war, um sie zu begrüßen.
In Prigorodki gab es außerdem wohl einen Zwischenfall. Laut Wolfgang lag plötzlich eine BK-18 in einem der Zelte. Aus schlechter Erfahrung heraus haben wir beschlossen, keine Waffen in unsere Unterstände und Zelte zu packen. Kaum gibt man einem Bambi eine Waffe in die Hand, verletzt es sich in der Regel. Das können wir natürlich nicht riskieren! Daher hat Wolfgang diese Gefahr auch schnell gebannt.
Tja und als ich mich dann aus einem provisorischen Nachtlager in Berenzino schäle, nimmt das Chaos seinen Lauf. Ich entschuldige mich schon jetzt dafür, wenn einige Schilderungen nicht ganz zutreffen, aber ich versuche aus dem Gedächtnis alles so gut wie möglich wiederzugeben. Aber einige Gespräche später ist man natürlich immer schlauer und weiß, was anders hätte laufen sollen… nein müssen. Aber fangen wir vorne an.
Alles beginnt damit, dass Jammet bemerkt, dass der Drive-In erneut gewaltsam geöffnet wurde. Die Kisten sind durchwühlt worden und stehen im Schuppen verteilt, aber bis auf die rote Uniform fehlte nichts Wichtiges. Immerhin ein kleiner Trost. Da gerade im Funkkanal einiges los ist, da die Jungs wohl Kontakt zu anderen Überlebenden haben oder irgendwie gerade im Stress zu sein scheinen, lege ich Jammet erst einmal nahe, ruhig zu sein und die Informationen über fehlende Güter später auszuführen. Ein großer Fehler, denn somit lege ich die Weichen für die Katastrophe. Was gut gemeint war, kommt absolut falsch an und Jammet fühlt sich bevormundet und ist tief verletzt. Allerdings bemerke ich das zu spät. Wir ziehen uns in einen anderen Funkkanal zurück und Kanu hat wohl große Schwierigkeiten, als er nach Berenzino kommt. Viel Zeit zum klärenden Reden bleibt nicht. Er hat mindestens sieben Zombies im Schlepptau, als er über die große Wiese vor dem Camp in Berenzino rennt und natürlich eilen Jammet und ich ihm gleich zur Hilfe. Meine Vorstellung von „Hilfe“ bedeutet, einen Zombie nach dem anderen mit Fäusten oder Nahkampfwaffen zu erledigen. Am besten von einem Heuballen aus. Jammet beschließt, seine Waffe zu ziehen, laut zu schießen und so die Zombies auszuschalten. Gerade, als ich auf ihn zulaufe, um ihm mit den Zombies zu helfen, schießt er los. Zum Glück trifft mich kein Schuss, aber ich versuche ihn verbal davon abzuhalten, weiter zu schießen, um nicht noch mehr Zombies aus dem Ort anzulocken. Allerdings ist er für meine Anregung nicht empfänglich und betont mehrfach, er habe alle Zombies im Blick und darüber hinaus keine Alternative. Das wiederrum will einfach nicht in meinen gestressten Schädel und ich fühle mich vor den Kopf gestoßen. Ich habe ein ganz mieses Gefühl, als die Zombies auf uns zustürmen und versuche so gut es geht dem Ansturm Herr zu werden. Eine wirkliche Waffe habe ich nicht, außer meiner Erziehungs-Vaiga und einem Speer. Ich blocke, ich steche, ich weiche aus und renne. Eine Woge an schlimmen Erfahrungen bahnt sich ihren Weg. Unpassend. Szenen bauen sich vor meinem inneren Auge auf. Zähflüssig wabernd. Stimmen. Schüsse. Es sind Szenen, die ich vergessen wollte. „Jetzt nicht!“, beschließe ich stur und kämpfe weiter. Sie sind der Grund, weshalb ich seit damals versuche, lautes Schießen tunlichst zu vermeiden. Besonders hier, in Berenzino. Leider schaffe ich es in der angespannten Situation nicht, meine Kritik an unserem Vorgehen sachlich und objektiv zu formulieren, sodass sie nicht auf taube Ohren stößt. Jammet und Kanu kämpfen schließlich um ihr nacktes Überleben. Tja und ich? Ich helfe so gut ich kann und irgendwann haben wir es tatsächlich geschafft. Erschöpft und fassungslos jogge ich in Richtung Lager. Ich höre erneut einen Schuss. Plötzlich ist alles still.
Einige Augenblicke später, die sich für mich wie Stunden anfühlen, wache ich auf. Die Sonne steht noch recht hoch am Himmel und mein ganzer Körper schmerzt. Ich liege auf dem Rücken, die einzig halbwegs bequeme Position (falls man in diesem Fall wirklich von „bequem“ reden kann), den Rücken dem Lager zugewandt. Die Wunde, die mir eine Kugel zugefügt hat, brennt und ich fühle mich zerschlagen. Meine Weste hat mir aber mal wieder das Leben gerettet. Zum zweiten Mal. Ich bin sicher, dass die Schüsse nicht von Jammet stammen, also muss der Schütze noch in der Nähe sein. Was also tun? Ich sollte aufstehen und übers Feld rennen, aber ich möchte keinen weiteren Schuss riskieren. Außerdem ist mir der Weg zu weit und zu anstrengend; ich möchte mich nicht bewegen. Mich umzusehen, traue ich mich ebenfalls nicht, aus Angst, der Schütze könnte sehen, dass ich nur bewusstlos war und erneut auf mich schießen. Kleiner Feigling…. Zumindest schaffe ich es, meine Freunde sofort per Funk zu warnen. Aus den Augenwinkeln sehe ich Jammet und Kanu umherrennen. Vielleicht kann ich wieder einschlafen; einfach die Augen schließen. Nichts sehen, nichts hören. Aber wem will ich etwas vormachen? Ich bin hellwach. Mich plagt das schlechte Gewissen. Wenn ich doch nur nicht so bestimmend gewesen wäre. Vielleicht wäre mein Vorschlag dann besser aufgenommen worden, wir hätten die Schüsse vermieden und wären nicht von dem Schützen entdeckt worden getroffen worden. Ich hatte auf mein Bauchgefühl gehört und zu sehr darauf geachtet, was andere benötigen, sodass ich nicht gemerkt habe, was mein Freund gerade braucht: Ein offenes Ohr. Kein Wunder also, dass dann sein Ohr für meine Anweisung verschlossen blieb. Jammet, es tut mir so unendlich leid! Überhaupt, wer bin ich, dass ich Anweisungen gebe? Ich bin kein General oder Kommandeur. Nur ein einfacher Samariter, der Neulinge anspricht und versorgt. So oder so: Ich hab‘s vermasselt und es endet in einer Katastrophe.
Meine Warnung kommt zwar rechtzeitig, aber Kanu wird angeschossen und muss sich zurückziehen. Auch Jammet gerät unter Beschuss und verbarrikadiert sich in einem Schuppen. Dort schließt er sich ein, um seine Wunden zu versorgen. Allerdings haben wir alle das Gefühl, dass wir ständig beobachtet werden. Wolfgang eilt uns zur Hilfe, nur fällt es uns schwer, den Gegner auszumachen. Es scheint, als würde er direkt durch Wände sehen können und genau wissen, wo wir uns befinden. Kann man gegen einen solchen Gegner überhaupt bestehen? Und vor allem, was hat er davon? Warum greift er uns eigentlich an? Ist er einer von jenen, die auf Überlebende lauern und diese dann abschießen? Ich versuche etwas auszumachen; lausche, höre aber nur das Rascheln des Grases und das Säuseln des Windes in meinen Ohren. Mein Herz schlägt so kräftig, dass ich das Gefühl habe, mein Körper müsste auf und ab hüpfen und jeder könnte es sehen. Alle meine Muskeln spannen sich an und ich versuche jede Kleinigkeit wahrzunehmen. Ich halte meine Hände über den Kopf. Die Handflächen sind schweißnass und kalt. Ein kleiner Teil meines Verstandes schüttelt mich und ruft mir zu: „STEH AUF! LAUF WEG! MACH, DASS DU WEG KOMMST!“. Was ich danach machen soll, weiß ich nicht, aber alles ist besser, als wehrlos dazuliegen und mit zusammengebissenen Zähnen gegen die Panik anzukämpfen. „STEH AUF! TU WAS!“, ruft mir die innere Stimme wieder zu. Ich bleibe ganz still liegen. Etwas in mir sagt mir, dass rennen vielleicht doch keine so gute Idee sein könnte. Tja, warum nicht? Was hindert mich daran? Wenn ich doch nur dem Schützen klar machen könnte, dass ich – das wir – keine Gefahr für ihn sind. Aber wie? Jedes Zeichen, das ich gebe, könnte das verräterische Lebenszeichen sein, dass die tödliche Aufmerksamkeit und damit den nächsten Schuss auf mich zieht. Ich warte. Wartete darauf, den Schützen vielleicht zu Gesicht zu bekommen. Dann versuche ich zu reden. Ich frage, was das alles soll. In mehreren Sprachen. Keine Antwort. Dann warte ich wieder. Manchmal können zwei Minuten eine endlos lange Zeit sein. Schließlich rappele ich mich vorsichtig unter Stöhnen auf und laufe ganz langsam und ruhig in Richtung des Lagers. Allen Überlebensinstinkten zum Trotz. Ich halte die Hände hoch über meinen Kopf und marschiere Schnurstracks zur Klinik. Vielleicht erkennt der Schütze ja das Signal und feuert nicht? Jammet ist inzwischen wieder ebenfalls dort. Gerade erreiche ich den Zaun vor der Klinik, da fallen erneut Schüsse. Kanu sieht einen Überlebenden bei der Feuerwehr. Dieser schießt auf Jammet, dann erneut auf mich. Die Kugeln schlagen rechts und links neben mir ein im Pfosten des Zaunes. Ein metallisches Klackern hallt in meinem Kopf und ich versuche den Fluchtinstinkt erfolgreich zu unterdrücken. Ich setze ruhig und unbeirrbar meinen Weg fort. Mein Verstand arbeitet mal wieder. Wie kann das alles sein? Jammet und Kanu meinten, der Schütze sei ein wahrer Gott und nun…das? Er trifft nicht einmal, wenn jemand sich im Schneckentempo bewegt? Für mich gibt es nur eine logische Erklärung: Es müssen mindestens zwei sein. Ob sie sich kennen und zusammenarbeiten? Oder sind sie nur zufällig hier, durch die Schüsse angelockt? Schließlich entkomme ich in die Klinik.
Nun wird Kanu tödlich verwundet und landet wieder an der Küste. Das Schicksal meint es nicht gut mit ihm, denn er erwacht weit entfernt in Solnichniy. Dort trifft er auf einen anderen Überlebenden namens Devon. „Hi! Kannst du mich bitte umbringen?“, fragt er den verdutzen Fremden. „Ich bin Kanu, der Samariter. Normalerweise helfen wir ja den anderen, aber gerade werden wir in Berenzino über den Haufen geschossen…Geh da also lieber nicht hin…..“, beginnt er zu erklären. Devon scheint zu verstehen und ermöglicht Kanu einen schnellen Weg zurück. Aktive Sterbehilfe.
Während wir auf Kanus Rückkehr warten, erwischt es Wolfgang im „Todeshaus“, als ein Fremder zu ihm ins Gebäude stürmt und auf in schießt. Ein Schuss in den Kopf, vermutlich mit einer Skorpion. Jammet ist noch immer stark verletzt, da er zwischenzeitlich von Zombies entdeckt wurde. Er findet zu allem Überfluss auch keine Bandagen, um sich zu verbinden und schleppt sich halb tot in den Drive-In. Ich schlage mich zu ihm durch und versuche ihm zu helfen, aber die Kochsalzlösung wirkt nicht schnell genug. Ich beschließe, ihm eine Bluttransfusion zu geben, allerdings kennen wir seine Blutgruppe nicht. Ich gehe das Risiko ein, denn so oder so würde er bald sterben. Die Schusswunden und die Zombies waren einfach zu viel. Kaum habe ich ihm das Blut verabreicht, bäumt er sich noch einmal auf und sackt dann leblos zusammen. Ich versuche sofort ihn wieder zu reanimieren, zunächst erfolgreich, aber dann wieder mit dem gleichen Ergebnis. Jammet sackt erneut zusammen. „Halte durch!“, flehe ich ihn an. Nach einem dritten Anlauf hat sein Körper den Kampf aufgegeben. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich das Blut war, was ihn am Ende das Leben gekostet hat, aber nun befindet sich Jammet ebenfalls wieder an der Küste. Allein bleibe ich am Lager zurück, sichere Jammets Sachen und schleiche mich zu Wolfgangs Todesstelle. Dort sichere ich ebenfalls alles, bis Kanu und er zurückkommen und die Dinge abholen. Eigenartig. Wie kann jemand mit einem Schuss aus einer Skorpion so viele Dinge gleichzeitig beschädigen und ruinieren? Das ist schon sehr merkwürdig. Es ist falls so, als habe er hinterher noch ein volles Magazin auf Wolfgangs geschundenen Körper gefeuert. Barbarisch!
Endlich wird es ruhiger im Lager. Ich beschließe, im Garten geduckt etwas Gemüse anzubauen, damit wir wieder Nahrung haben. Kaum habe ich das Gartenhäuschen erreicht, werde ich auch schon wieder getroffen. Dieses Mal endgültig. Ich hab’s gründlich vermasselt.
Frustriert lande ich ganz in der Nähe der Küste und Wolfgang hat seinen Ausguck auf einem Turm bezogen. Er sieht einen der Schützen und ich beschließe, als Bambi auf ihn zuzulaufen. Mit erhobenen Händen. Allerdings werde ich kurz vor ihm gleich wieder abgeschossen. Auch zwei weitere Versuche der Kontaktaufnahme scheitern. Scheinbar gibt es kein Interesse an einer Klärung.
Ich bin erschöpft und müde, als ich in Prigorodki ankomme und von Kevin und Max gemeinsam (die auf der Suche nach etwas Action sind) mit Blue abgeholt und nach Berenzino gebracht werde. Es ist wie verflucht. Kaum betreten Kevin und Max die Stadt, ist alles friedlich und ruhig. Wir beschließen, alles aufzuräumen und Kevin zieht mit Max weiter, allerdings erhalte ich von Max zuvor noch einen roten Rucksack, einen blauen Helm, eine neue Weste und rote Kleidung. Wow! Das ist klasse und tröstet etwas über den Frust hinweg, den das Gemetzel verursacht hat.
Als etwas Ruhe eingekehrt ist, zieht Whoomba los und findet einen schwarzen Olga am Kartenrand mit Wellblechen und explosivem Zündstoff. Er fährt ihn weg, wird dann aber im Auto vor seiner Basis erschossen. Kevin und Max sammeln ihn freundlicherweise auf, als er den vermeintlichen schwarzen Olga in Elektrozavodsk sichtet. Cyfox war in Prigorodki und wurde von einem Olga-Fahrer mit der Hupe begrüßt, aber er entpuppt sich als Alexej in einem dunkelroten Olga. Also nichts. Keine Spur von dem Auto. Kevin und Max statten sich aus und fahren weiter, entdecken dann aber eine Basis im Norden und sehen den schwarzen Olga durchfahren. Sie vermuteten, er gehört zu der Basis und beschließen, in die Basis einzusteigen. Es gibt ein Feuergefecht und einer der Gegner stirbt im Kugelhagel. Die Basis war aber der Mühe nicht wert und sie ziehen wieder ab. Später nimmt Andi mit mir Kontakt auf: Flo und er sind bei ihrer Basis überfallen worden. Mir wird einiges klar… Was für ein schreckliches Missverständnis! Kevin und Max haben wohl ihre Basis für die des schwarzen Olga-Fahrers gehalten, der Whoomba getötet hat. Ich schaffe es noch, die Missverständnisse aufzuklären, aber ein schlechtes Gefühl bleibt.
Was aber noch viel aufschlussreicher ist: Kanu, der nun als Samariter Weiß seine Runden dreht, hat in der Nähe des Bambi-Auffanglagers in Berenzino ein Versteck gefunden mit Gasmasken, Filtern und Waffen. Vermutlich gehört es einer Gruppe, die nach Rify aufbrechen wollte. Tja und nun kommt es: Das Fass passt sehr gut zu dem Ort, wo wir den oder die Schützen vermutet haben. Es ist also gut möglich, dass diese uns nur darum so vehement angegriffen haben, weil sie um ihr Versteck fürchteten und eventuell auch einen gelben Sarka vermissen, der in der Nähe arglos abgestellt worden war… eins kommt zum anderen. Wenn man doch bloß über alles hätte reden können! Wir haben beschlossen, den Stash dort unangerührt stehen zu lassen und so unseren guten Willen zu signalisieren. Aber natürlich müssen wir noch vorsichtiger sein. Spät am Abend sprechen Jammet und ich uns aus. Nach einem langen Gespräch verstehen wir uns etwas besser. Ich versuche in Zukunft nicht mehr zu viele Leute zu bevormunden. Jammet hat für sich beschlossen, dass er den Standort nicht mag. Berenzino verbindet er seit jeher mit keinen angenehmen Erinnerungen. So beschließt er mit Kanu weiterzuziehen, während ich noch die Stellung halte. Ich habe vor, das Versteck regelmäßig zu kontrollieren, um zu sehen, ob sich etwas tut.
Aber nun wird es erst einmal Zeit unsere Wunden zu lecken. Mal wieder.