Kapitel 19, Erinnerungen: Der Unfall
Ich schreckte durch einen lauten Knall und einen stechenden Schmerz in der Schläfe auf. Wir saßen immer noch im Jeep, allerdings schien der Fahrer gerade die Kontrolle über das Fahrzeug verloren zu haben, es schleuderte über ein Feld, Mike und ich rutschten über die Rückbank, stießen zusammen und schlugen gegen die Scheiben. Endlich schaffte der Fahrer es anzuhalten, wir standen mitten auf einem Feld, ich rieb meine pochende Schläfe und starrte nach draußen.
Es wurde gerade hell, aber ich konnte noch nicht viel erkennen. "Alle aussteigen!" Das war ein eindeutiger Befehl des Fahrers, also sprang ich schnell nach draußen. Jetzt konnte ich auch sehen, warum wir über das Feld geschleudert waren. Ein gutes Stück hinter unserem Auto führte die Straße entlang, auf der wir unterwegs waren, doch sie war durch ein Autowrack und etwas brennendes blockiert. Was brennt da? Ich fühlte ein Grauen in mir aufsteigen, ist das etwa der Militärlaster aus meiner Straße?
"Los kommt her!" Mir blieb keine Zeit länger darüber nachzudenken, einer der Soldaten lief ein Stück Richtung Straße, hob die Waffe und zielte auf den Laster an. Währenddessen bedeutete der andere uns zum Kofferraum zu kommen. Überfordert stellte ich mich neben ihn, mein Kopf tat immer noch weh und mir war schummrig, vermutlich von dem Beruhigungsmittel. Der Soldat kramt eine Weile herum, dann zog er eine Jeans, ein T-shirt und einen Pulli hervor. "Da probiert das mal an, ich hatte so wenig Zeit, das ich meine Zivilkleidung einfach ins Auto geworfen hatte. Glück für euch." Erst jetzt fiel mir wieder auf, dass ich immer noch in Shorts und T-shirt dastand, als ich einen Blick zu Mike warf stellte ich fest, dass er immerhin eine Jeans an hatte. Schnell schlüpfte ich in die Hose, sie passte sogar halbwegs. Mike hatte sich das T-shirt genommen und bot mir den Pulli an. Dankbar nickte ich ihm zu und streifte ihn über.
"Kann einer von euch mit einer Waffe umgehen?" Entsetzt starrte ich ihn an, wieso sollte ich das können? Aber Mike war offensichtlich nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen und meinte nur "Klar kann ich schießen." Wortlos reichte der Soldat ihm eine Makarov, zwei Magazine und mir eine Taschenlampe. Dann ging er zu seinem Kameraden, verwirrt von der Situation folgten wir ihm.
"So ihr zwei, Mike und Ivan heißt ihr, richtig? Ich bin Sergej und mein wortkarger Kamerad hier ist Yuriy, wie ich sehe hat er euch ja schon ausgerüstet." Immer noch überfordert nickte ich, Sergej zielte während unserem Gespräch ungerührt weiter Richtung Straße. "Wir werden jetzt da vor gehen, schauen was passiert ist, ob noch jemand am Leben ist und versuchen ob wir einen Reifen finden, uns ist nämlich einer kaputt gegangen." Ohne das uns Zeit zum nachdenken zu lassen, lief er los, Yuriy und Mike folgten ihm. Ich wollte nicht untätig alleine auf dem Feld bleiben, also machte ich die Lampe an, lief ihnen nach und versuchte den Weg möglichst gut auszuleuchten.
Inzwischen war das Feuer fast ausgegangen, vorsichtig schlichen wir auf die Straße, die Soldaten voran, dann Mike und als letztes ich. Der Schein meiner Taschenlampe fiel auf das Autowrack, es war komplett zerstört, ich ließ den Lichtkegel weiter wandern. Ich schauderte, meine Vermutung war richtig gewesen, das war der Laster. Die Plane glühte noch, die Reifen waren komplett verbrannt, die Fahrerkabine war zusammengedrückt, offensichtlich musste etwas schreckliches geschehen sein, so das der Fahrer ungebremst in das Auto gerast war. Mir graute davor, trotzdem musste ich einfach wissen, was sich auf der Ladefläche befand. Langsam näherte ich mich, die anderen hatten den gleichen Plan gefasst wie ich, also blieb ich ein Stück entfernt stehen und sah zu, wie Mike die Hand nach den Resten der Plane ausstreckte und anhob.
Die ganze Ladefläche war nur noch ein wildes Durcheinander aus zerfetzten und verbrannten Körpern. Das Blut stand auf der ganzen Rampe und lief an den Seiten herunter. Einige der Leichen waren eindeutig angefressen und hatten die Augen noch weit aufgerissen. Der Gestank war widerlich und ich musste mich fast übergeben. Yuriy trat vor, legte seine Waffe auf den Boden und griff ohne zu zögern zwischen die Leichen. Er wühlte herum, ein widerliches knackendes Geräusch erklang. Er hielt kurz inne und zog dann mit beiden Armen einen Reifen unter den Leichen hervor, Blut lief herunter, an Yuriy hingen Eingeweide und Fleischfetzen, ich meinte den Darm einer der Leichen zu erkennen. Er schüttelt ihn kurz ab und kam dann von der Ladefläche herunter, durchtränkt mit Blut, hob den Reifen hoch und drückte ihn Sergej schwungvoll in die Hand, Blut spritzte ihm ins Gesicht und er drehte angewidert den Kopf weg. "Da den haben wir doch gebraucht, reparier unser Auto." Er wischte seine Hände an der Hose ab und schulterte sein Gewehr wieder.
Die ganze Zeit über hatte ich mich in einer Schockstarre befunden, jetzt fiel ich auf meine Knie und erbrach mich.