22. April 2023 – Eine Lektion in Dankbarkeit
Ich erwache durch ein Ziehen in meiner Schulter. Vorsichtig blicke ich mich um und erinnere mich… ich hatte mich ja nach dem nächtlichen Einsatz für neben dem Kamin in den Sessel gekuschelt und war eingeschlafen. Vermutlich in einer ungesunden Position, denn jetzt zahlen meine Steifen Schultern den Preis. Ich recke und strecke mich im Sonnenlicht, das durch das Fenster scheint. Ich bin also in Vishnoye. Bis auf ein paar Zombies ist draußen alles friedlich und ruhig. Keine Spur von Dani, die Asche im Kamin ist kalt.
Scheint, als würde mich mein heutiger Weg erst einmal zurück an die Küste nach Prigorodki führen. Ich funke in die Runde und tatsächlich melden sich der farmende Ravini sowie der immer wandernde Wolfgang. Stolz verkündet er mir, dass er eine Bambi-Fahne für unser Lager gefunden hat. Ich danke ihm und bitte ihn, sie in eine meiner Kisten in der Nähe des Bambi-Lagers zu legen, damit ich sie dort später abholen kann. Als Gegenleistung verspreche ich ihm, alle 9x39 Munition zu geben, die ich so auf meinen Reisen finde. Eventuell verschlägt es mich ja in ein Militärgebiet und ich finde etwas Brauchbares. Jedenfalls weiß ich bei Wolfgang, dass er ebenfalls auf seine Art für eine gute Sache kämpft und niemanden einfach so grundlos kaltblütig und hinterrücks erschießen würde. Er kennt Chenarus wie seine Westentasche und erinnert mich in der Hinsicht an Kanu. Sie beide müssen als Kind eine Karte von Chernarus versehentlich verspeist haben… achso ich wollte ja mit diesen Witzen aufhören. Schon gut.
Nach einem spärlichen Frühstück in Form einer getrockneten Birne, schaue ich mich etwas in Vishnoye um und schleiche mich an einigen Zombies vorbei. Am Ortausgang weiden drei Ziegen. Was für ein Glück!
Ich beschließe, mir etwas Fleisch für die Bambi-Auffangstation mitzunehmen. Dummerweise wurden durch meine Schussgeräusche einige Zombies aufgeschreckt. Ich kralle mir alles Fleisch schnell zusammen und laufe los. Am anderen Ende des Ortes flüchte ich mich in eine Hütte. Alle Zombies reihen sich vor der Türe auf. Na toll… aber auch jetzt ist das Schicksal mir wieder hold. Ein großer Rucksack liegt arglos auf dem Boden, in den ich das Fleisch aufteilen kann. Ich nehme den blauen Rucksack in die Hand. Somit habe ich wieder etwas mehr Platz. Die Zombies erledige ich nach und nach mit allem, was mir zur Verfügung steht. Speer, Schusswaffe und bloße Fäuste. Nach einigen anstrengenden Minuten ist es geschafft und sie türmen sich vor dem Haus auf. Da meldet sich Kanu über Funk bei mir. Er ist doch tatsächlich in der Nähe und würde mich ein Stück weit begleiten. Was für eine schöne Wendung!
Wir tauschen ein paar Sachen aus und wandern in Richtung Küste.
Etwas überrascht ist er durch mein grünes Outfit, denn normalerweise trage ich ja rot, aber für den externen Einsatz gestern hatte ich mich noch schnell umgezogen. Hauptsache, mein rotes Kreuz, der blaue AN-Helm und momentan eine quietschgelbe NBC-Hose machen mich gut sichtbar und lassen mich nicht wie ein vollausgestatteter, feindlicher Überlebender aussehen. Wir stapfen durch das hohe Gras, beseitigen hier und da ein paar Zombies am Vorort und setzen unseren Weg fort. Auf einem kleinen Hügel erklärt mir Kanu den weiteren Weg in Richtung Bambi-Lager, dann stockt er plötzlich. Auch ich sehe, was er meint: Auf dem Feldweg am Waldrand in knapp 500 Metern Entfernung rennt ein anderer Überlebender!
Ich verabschiede mich von Kanu und beschließe, den Fremden anzusprechen. Vielleicht kann ich ihm ja helfen. Schnell renne ich gut sichtbar über die Wiese und den kleinen Hang hinauf, auf dem er oben in den Wald verschwunden ist. Am Waldrand schaue ich mich um, aber er ist nicht mehr zu sehen. Über Funk habe ich auch noch Kontakt zu Kanu und frage nach, ob er noch eine Spur von dem Fremden hat. Fehlanzeige. Ich beschließe zu rufen und verfluche die Tatsache, dass ich mein Megaphon in der Bambi-Basis gelassen habe. Das wäre jetzt hier sehr praktisch gewesen.
„Haaalloooo! Hallo, Hallo, Halloooo!“, trällere ich unbedarft durch den Wald, um auf mich und meine friedlichen Absichten aufmerksam zu machen, den schweren Rucksack voller Ziegenfleisch in meinen beiden Händen. Keine Antwort. Ich sehe mich um.
Von rechts vorne höre einen Knall. Erst leise, dann zunehmend lauter. Verdammt schnell!
Vor mir wird alles schwarz. Ich höre noch, wie ich stöhnend zu Boden falle.
Stille.
Ist das nun das Ende?
Komischerweise glaube ich nicht, dass dies das Ende ist, denn ich kann noch denken. Und ich denke, so komisch es ist daran, dass ich hoffentlich Kanu noch einen Funkspruch zugeschickt und ihn gewarnt habe. Ich denke daran, dass ich sogar extra noch gerufen habe und der Überlebende wohl alles andere als gute Absichten hatte. Wie offensichtlich… Aber ja, ich denke. Also bin ich.
Tja und nun? Also wenn das das Ende sein soll, dann ist es unbefriedigend, immer noch solche Gedanken zu hegen. Denn dann wäre das ja nun alles unnütz. Ich dachte immer, dann wäre einfach alles vorbei und man würde aufhören zu denken. Tja… Aber was ist das? Um mich herum wird es plötzlich wieder hell und ich finde mich auf dem Waldboden wieder. Stöhnend rolle ich mich auf meinen Bauch. Der Kerl hat mich an den Beinen erwischt. Und da mache ich etwas ziemlich Blödes… Anstatt mich in Sicherheit zu bringen, bin ich noch so im unvernünftigen „kleines-Kind-Modus“, dass ich laut nach dem Fremden rufe. „Hey! Was soll denn das denn?! Ich habe dir doch gar nichts getan!“ Mein Gehirn arbeitet wieder, denn ich wiederhole fast schon automatisch die Nachricht auf Englisch. Es könnte ja sein, dass man mich sonst nicht versteht. „I didn’t do anything to you! Come on, why are you shooting?“ Vorsichtig stehe ich auf und sehe mich um. Keine Spur von dem Fremden zu sehen. Meinen Rucksack mit dem Fleisch lasse ich liegen und ziehe mich keuchend an die Türe eines im Wald abgestellten Bauwagens zurück. Noch unter Schock funke ich Kanu zu, dass ich noch lebe und versuche, den Fremden anzusprechen, aber keine Antwort bekomme. Eigenartigerweise blute ich auch nicht, aber der Schuss muss mich voll erwischt haben. Ob meine Presseweste mir das Leben gerettet hat? Der Helm ist jedenfalls noch in bester Ordnung. Ich gehe zwei, drei Schritte aus meiner Deckung und rufe in Richtung Wald: „Hey! What is it?“. Die Antwort kommt prompt. An meinem rechten Ohr zieht ein Schuss vorbei und trifft hinter mir die Metallene Wand des Bauwagens. Ich ziehe mich hinter den Bauwagen zurück. Vermutlich muss das eine große Waffe gewesen sein. Eventuell eine Sporter oder etwas in der Richtung bei dem Lärm… Hinter dem Wagen rufe ich in Richtung in der ich den Schützen vermute. „What is it? Was ist denn mit dir kaputt, Junge?“ Ich bleibe dabei immer in Bewegung. Keine Antwort. Wenn ich nur wüsste, wo genau er hockt. Ob er versucht mich zu flankieren? „Junge, was ist denn mit dir kaputt, ich mach doch gar nichts!“
Wie zur Antwort knallt ein erneuter Schuss gegen den Bauwagen. Okay…da, wo ich ihn vermutet habe, sitzt er schon einmal nicht. Wieder versuche ich es in Englisch von meinem Schutz hinter dem Bauwagen aus. „Come on you guy, what’s wrong with you? I didn’t do anything to you!“ Per Funk meldet sich Kanu. „Ich brauche Ortsangaben…!“. Das ist ganz schön schwer, wenn man im Wald ist, keine Ahnung wo und aus unbekannten Richtungen beschossen wird und gerade von einer Nahtoderfahrung aufwacht. Aber ich versuche so genau wie möglich zu sagen, wo ich stehe. „Öhh…Hinter einem Bauwagen. Im Wald. Er schießt auf den Wagon.“ Von wo aus kann ich nicht genau sagen. Ich bleibe in Bewegung, gehe ein paar Schritte weiter nach hinten und werde an der Schulter getroffen. Allerdings bin ich noch nicht tot. Ich schleppe mich in den Bauwagen an die Türe und verbinde meine Wunde. Das hat verdammt weh getan, du Sack!
Während ich mich verbinde, melde sich auch Wolfgang zurück per Funk. Wir setzen ihn ins Bild, dass ich im Wald unter Beschuss geraten bin. Sofort möchte mir der Gute zur Hilfe eilen. Nördlich von Cherno, westlich vom Sommercamp ist die Jagd ist eröffnet…
Mir geht es gar nicht gut. Ich kauere mich stöhnend im Bauwagen zusammen und gebe mir etwas Kochsalzlösung. Das gute alte Salin… Vielleicht auch nur ein Placeboeffekt, aber mir geht es schon besser. Bloß nicht das Bewusstsein verlieren, sonst war es das. Für einen Moment ist es ruhig und ich funke enttäuscht, dass ich versucht habe mit ihm zu reden, aber er das wohl nicht wollte. Wie ein kleines enttäuschtes Kind. Unter Schock.
Ich halte Inne und versuche zu lauschen. Keine Schritte, alles ist ruhig, bis auf das Vogelgezwitscher. Ich verhalte mich ruhig. Ganz ruhig. Nach ein paar Minuten beschließe ich, etwas zu versuchen und beiße herzhaft in ein getrocknetes Steak. Genüsslich kaue und schmatze ich, dann höre ich wieder einen Schuss. Mein Plan hat geklappt. Oder doch nicht? Er schießt nicht auf mich, sondern Kanu meldet nun Beschuss. Er hat Sichtkontakt. „Wo bist du, du Scheißkerl?!“ flucht er in den Funkkanal. Sicherheitshalber rufe ich nochmals in den Wald hinein: „Sag mal Leute, was macht ihr denn da eigentlich?!“ und Sätze wie „Was fällt dir eigentlich ein, auf einen unschuldigen Samariter zu schießen?!“ hallen durch den Wald, aber vermutlich hört mich keiner. „Noch lasse ich dich in Ruhe, aber ich habe keinen Bock auf irgendwelchen Streit! Komm du mir mal in mein Bambi-Camp, dann gibt es nichts von mir. Kein Essen! Kriegst keine Kleider von mir, wenn du weiter auf mich schießt…. Ich sag’s dir!“ Das hat gesessen! Das wird ihn bestimmt davon abbringen, sowas zu machen…. NICHT. Aber egal, vielleicht habe ich ihn oder eventuelle Kumpel dadurch abgelenkt und halte sie ab, auf Kanu zu schießen. Dieser meldet sich gerade, dass der Überlebende wohl in Richtung Sommercamp verschwunden ist.
Gut, dann bin ich hier wohl überflüssig. Es gab wohl zwischen den beiden ein kleines Feuergefecht, aber Kanu blieb unverletzt. Jedenfalls hebe meinen Rucksack auf und laufe weiter in Richtung Cherno. Wer auch immer das war, er muss schlecht geschossen haben, aber er wollte mich töten. Diese Erkenntnis muss erst einmal sacken.
Natürlich ist mir jederzeit bewusst, dass jedes Ansprechen und jeder Kontakt mit Überlebenden meine letzte Tat sein könnte, aber wenn es dann doch mal so ist, schmerzt es schon. Körperlich und psychisch. Ich laufe langsam mit Kanu weiter, immer den Hang hinab in Richtung Küste.
Tja… wie werde ich mich verhalten, wenn ich das nächste Mal beschossen werde?
Werde ich noch immer so friedlich sein oder bald doch so werden wie Charly, Tabsko und die anderen? Die „dunkle Seite“ nennen sie es scherzhaft.
Kurz vor dem Waldrand trennen sich Kanu und ich. Ich ziehe allein weiter in Richtung Novoselki. Dort kämpfe ich mich mit meinem Rucksack durch die Stadt, sammele hier und da etwas Essbares und arbeite mich so weiter vor in Richtung Chernogorsk. Mein Ziel ist es, dort einen Abstecher zur Klinik zu machen und von dort aus wieder nach Prigorodki ins Bambi-Auffanglager zu gelangen.
Nach gefühlten Stunden habe ich endlich die Klinik erreicht. Über Funk schaltet sich Tabasko zur Gruppe und wir berichten ihm kurz, wie es uns ergangen ist. Ich schlage vor, man könnte den Fremden ja suchen und ins Lager bringen. Tabasko gibt lächelnd zu bedenken, dass ich immer mehr auf die dunkle Seite käme… nein nein! Weit gefehlt. Ich würde aber mit dieser Person gerne reden und ihr klar machen, dass man so einfach nicht mit anderen Menschen umgehen kann. Apokalypse hin oder her. Einen Funken Menschlichkeit braucht die Welt eben! Den sollte man nicht einfach mit dem Fuß im Keim ersticken. Mein inneres Kind möchte mit ihm reden und ihm trotzig erklären, dass es ganz blöd war, was er gemacht hat. „Achso, wir sollen ihm die Beine wegschießen, Fesseln, Tüte überm Kopf und dann zum Bambi-Lager bringen?“, fasst es Tabasko zusammen.
Ich bezweifle, dass er mich verstanden hat oder mich verstehen will…
„Ich denke aber, wenn man vernünftig mit diesen Leuten redet, dann klappt das auch…“, erwidere ich. Ravini schüttelt vor meinem geistige Auge den Kopf „Also am Anfang des Satzes, oder was das war, war das noch in Ordnung eben. Nach hinten hin wurde er immer schlimmer.“
Kurz sage ich noch, dass ich leider nicht weiß, wie dieser ominöse Schütze aussieht, aber dass Kanu etwas von einem schwarzen Rucksack gesagt hat. Vermutlich ein Feldrucksack.
Wie dem auch sei, ich raffe unterdessen alles in der Klinik zusammen, was mir brauchbar erscheint und beschließe dann, die beiden Kioske vor der Klinik zu inspizieren. Kanu und Wolfgang haben jedenfalls keine Spur mehr von dem unheimlichen Schützen finden können.
Im Kiosk finde ich eine grüne Sanitäter-Hose, die perfekt zu meinem Oberteil passt. Ich schließe hinter mir die Türe und ersetze meine ruinierte gelbe NBC Hose. Schließlich nehme ich meinen Rucksack wieder in die Hand und öffne erneut die Türe vom Kiosk. Dann renne ich in den nächsten Verkaufsstand und durchsuche eilig die Regale, als ich plötzlich aufschrecke. Neben mir schlägt eine Kugel in den Boden ein. WAS ZUM?!
Ich suche Deckung hinter einer Wand, als die zweite Kugel an meinem Kopf vorbeisaust.
Eilig sende ich einen Funkspruch los. „Ich werde beschossen!“, allerdings kann ich es noch immer nicht glauben. Ausgerechnet hier, in Chernogorsk? Vielleicht war es Tabasko, der mich in meinem grünen Samariter-Outfit nicht erkannt hat? Doch dieser verneint.
Ein neuer Schuss, ich werde wieder in die Schulter getroffen. Ich laufe etwas im Kiosk umher, um kein gutes Ziel abzugeben, da stürmt ein Bambi mit Brechstange durch die Türe auf mich zu. Ich halte den Rucksack schützend vor mich, sage meinem Team, dass ich mich vor der Klinik befinde und stürme an ihm vorbei aus dem Kiosk raus. Blos weg und raus, aus der Todesfalle! Hinter mir mein Verfolger, die Brechstange drohend in der Hand. Ich kann mich nicht wehren mit dem Rucksack, aber wenn ich ihn ablegen würde, müsste ich sehen bleiben und hätte keinen Schutz mehr. Also beschließe ich zu rennen. Mitten in die Klinik.
Ich rufe meinem Verfolger hinterher „Sag mal, was soll das, hey hey hey!“ und „Lass mich in Ruhe! Was machst du denn?“ Ein Blick nach hinten zeigt, dass er mir mit einem Zombie folgt und nicht viel vom Reden hält. Ein echtes Killer-Bambi, geht es mir durch den Kopf. Ich renne in die Klinik und schleudere meinem Verfolger die Türe entgegen. Dummerweise verpasse ich die Treppe und sitze nun in der Falle. „Lass mich in Ruh‘!“ Doch dieser denkt nicht daran. Er öffnet die Türe und schlägt mit seiner Brechstange immer weiter auf mich ein. Immer wieder halte ich den Rucksack schützend vor mein Gesicht. Kurz habe ich die Hoffnung, dass der Zombie hinter ihm mich unterstützt und ihn ablenkt. So schlage ich nach meinem Gegner mit dem einzigen, was ich habe: Meinem Rucksack voller Fleisch.
Doch nach 5 Schlägen bricht meine Verteidigung zusammen und ich gehe bewusstlos zu Boden. Meine einzige Hoffnung ist, dass Tabasko den Funkspruch gehört hat und mir zur Hilfe eilt. Vielleicht lockt ihn ja der Fakt, dass ich für die Gruppe eine Piratenfahne im Inventar habe, die ich am Vortag bei der Rettungsaktion für Dani gefunden hatte.
Ein Licht… es kommt auf mich zu und geht wieder weg. Es lockt mich, provoziert und gerade, als ich es greifen will ist es wieder weg. Da! Ich wache auf. Eine Stimme dringt in mein Ohr: „Hey friendly! Ist mit dir alles okay?“ und „Friendly okay?“ Doch mir dröhnen noch so die Ohren, dass ich die Wortfetzen nicht zuordnen kann. Ich setze mich auf. Vor mir der Bambi mit der Brechstange. Keuchend stehe ich da. Ordne meine Gedanken. Dann bahnt sich eine Welle der Entrüstung in Form eines Wortschwalls aus dem Mund: „Ja klar, friendly! Du friendly my ass! Hey, sag mal!“. Taumelnd bin ich nicht in der Lage, einen klaren Satz zu formulieren. Mein ganzer Körper schmerzt höllisch und ich fühle mich, als ob ich unter die Räder gekommen wäre.
Nicht gerade die beste Begrüßung, aber man darf nicht vergessen, dass ich gerade von meinem Gegenüber zu einem kleinen grünen Klumpen Brei geschlagen wurde. Dann füge ich keuchend hinzu: „German or English?“ und ermahne meine Teamkollegen im Funkkanal bitte Funkstille zu waren. Mein Kopf dröhnt von den vielen Stimmen und ich kann den Fremden kaum verstehen. „Öhh…. German“, kommt es von meinem skeptischen Gegenüber, der vermutlich auch nicht weiß, wo ihm der Kopf steht. In der Ferne höre ich meinen Namen rufen, aber ich vermute das war der Funk mit Tabasko, Kanu, Wolfgang und Ravini. Keine Zeit, die Stimme einzuordnen. In meinen Ohren piept es, mein Herz pumpt wie wild und am liebsten würde ich meinem Gegenüber ins Gesicht springen. Doch stattdessen versuche ich zumindest physisch ruhig zu bleiben, aber ergebe mich nochmals dem Drang, eine Schimpftirade auf mein Gegenüber abzufeuern. Ich brauche keine Knarre. Ich hab Worte! Tja und dann folgt die vermutlich epischste Konversation zwischen einem vermutlich geläuterten Killer-Bambi und einem Samariter, die man sich denken kann. Ich versuche den Dialog an dieser Stelle mal so detailgetreu wie möglich wiederzugeben.
„German. Also Junge, was soll denn das?!“ Er fängt an stark zu husten. „Ja ich…“ doch ich lasse ihn nicht zu Wort kommen, lege jetzt erst richtig los: „Sag mal, hast du sie noch alle, oder wie?!“ „Nein… ich… ich hab...dachte nur du hast irgendwie Stress gehabt eben mit ‘nem Kollegen.“ „Ja, Stress mit DIR, hallo?! Ich loote hier einfach und du greifst mich an? Ich bin ein Samariter!“, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass man auf mich eben nicht zu schießen hat. Dass die Realität ganz anders aussieht, weiß ich zu gut, aber mein Gegenüber soll ruhig merken, was er da für einen Bockmist verzapft hat! Ha, gib ihm!
„Aber okayyyy, passt schon!“, sag ich in einem sarkastisch-unterschwelligen Ton. Haut nur alle auf mir rum! Erschießt mich, knüppelt mich zu Boden. Passt schon! „Ja kooomm, entspann dich“, versucht er freundschaftlich anzusetzen, „ich hab dich doch leben lassen!“. Ich fasse es nicht… so kontert er wirklich? Allen Ernstes? Tja und dann bin ich wieder so in Rage, dass ich ihm zynisch entgegne „Oh… du hast mich leben lassen! Hallo, hallo! Na toll!“ Wirklich ganz großes Kino. Wieder höre ich meinen Namen an meinem Ohr und denke, es sei der Funk. Außerdem bin ich mit dem Knilch da vor mir noch nicht fertig. Ein weiterer Überlebender kommt hinzu. Ich bin der festen Überzeugung, das sei Tabasko zur Unterstützung und gifte dem Fremden mit der Brechstange belehrend entgegen: „Kannst du erstmal reden, bevor zu zuhaust, Junge? Was hast denn du für ein Problem?“. Ha, das hat gesessen! Der Überlebende, den ich für Tabasko halte, kommt etwas näher auf mich zu. Ich höre wieder eine Stimme, glaube aber sie käme aus dem Funk. Ich versuche meinem Team zu erklären, dass ich die Person in Grün bin. Aber es kommt keine Antwort. Da mich mein Gegenüber aber in Ruhe lässt, jage ich mir erst einmal erneut Kochsalz in die Venen. Ah… das tut gut. Nun fragt Kanu im Funkkanal, ob Tabasko bei mir sei. Ich sage „Ja“, Tabasko sagt aber gleichzeitig „Nee“. Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
Okay.. gut. Lage analysieren.
Da sind also zwei Fremde, die offensichtlich Freunde sind. Einer hat gerade versucht mit der Brechstange zu Tode zu prügeln. Tja und der andere..? Gut. Ich brauche mehr Informationen. „So, wer seid ihr zwei?“, verbalisiere ich die einzig sinnvolle Frage, die mir gerade in den Sinn kommt. „Öhhh…“ beginnt das Killerbambi mit der Brechstange. Mehr bringt er nicht zu stande. Kennt nicht mal seinen eigenen Namen oder wie? Ich versuche es nochmals.
„So, wer seid ihr zwei, wenn wir uns jetzt mal wieder etwas beruhigt haben?“
Wieder die Frage nach meinem Namen und Tabasko versucht gerade von mir eine Lagebeschreibung herauszukitzeln. Wenn ich nur wüsste, wer wo redet! Erneut versuche ich meine Gedanken laut zu ordnen. Ich hole hörbar Luft, während Kanu und Tabasko im Hintergrund versuchen abzuklären, wie sie am schnellsten zu mir kommen.
„Also liebe Leute. Nochmal gaaaanz langsam von vorne. Ihr zwei kommt einfach hierher und überfallt mich armen Samariter. Ja, ich bin hier am Helfen. Ich habe ein Bambi-Camp und ich versorge gerade Bambis.“ „Okay?“, füge ich, betont langsam, im belehrenden Ton für begriffsstutzige Teenager hinzu. „Okay“, besttätigt das Killerbambi, das seine Brechstange inzwischen weggepackt hat und sich immer wieder den Schweiß von der Stirn wischt.
Weiterhin betont ruhig ergänze ich: „Und ich reagiere empfindlich drauf, wenn plötzlich jemand mit der Brechstange kommt und auf mich zuhaut.“
Dramatische Pause.
„Aaaalsooo…“, beginne ich von Neuem und hole gekonnt hörbar Luft zur Untermauerung, „jetzt wo wir uns alle ein Bisschen kennengelernt haben…. Wer seid ihr denn?“
„Warte mal kurz… wieder.“, fängt das Killerbambi an. Eventuell hat auch es Kontakt zu seinem Team über Funk. Da keine Antwort kommt und Killer-Bambis erwiesenermaßen mit zu vielen kognitiven Anforderungen auf einmal überfordert sein könnten, wiederhole ich meine Frage nochmals gedehnt langsam, als ob ich mit kleinen Kindern reden würde. „Also nochmal. Wer seid denn ihr zwei Hübschen?“ Das Killerbambi niest hörbar. Oh oh. „Öhh. Also ich bin Sebb. Hallo. Und wir spielen den ersten Tag grade erst zusammen“, fängt der fremde an.
„Okay, also du klingst sehr erkältet. Da müssen wir auf jeden Fall mal was dagegen tun“, sage ich. Mein Samariter-Instinkt hat wieder die Kontrolle übernommen, das innere Kind und der innere Lehrer wurde zurückgedrängt. „Dein Kumpel, wie heißt der? Ich habe es nicht verstanden.“ „Äh… ich weiß gar nicht…..Mojo.“ Mann, bekommt man aus dem endlich mal was raus zur Abwechslung? Aber bei dem Namen geht mir innerlich eine Kerzenfabrik auf. Mojo… das ist der Spitzname von…
„Mojo! Dani, bist du das? DANI?“, rufe ich ungläubig in den Raum und starre den anderen mit dem schwarzen Rucksack vorwurfsvoll an.
Schweigen. Mitten ins Schweigen knurrt sein Magen hörbar. Die Situation ist grotesk.
Ich humpele auf ihn zu. „Also, ich geb‘ euch erstmal was zu Essen, Ja?“, sage ich und werfe ihm eine Packung Reis auf den Boden.
Ich krame in meinen Sachen, da dringt eine bekannte Stimme an mein Ohr. Funk oder echter Kontakt? Wenn mein Kopf nur nicht so schmerzen würde..
„Hallo, ICH bin der andere!“, ruft eine Stimme lachend.
Müde gebe ich zurück: „Ja, das dachte ich mir gerade, Dani. Hi….“
Weiter lachend fügt er hinzu: „Ich bin nämlich der mit dem schwarzen Rucksack und den anderen habe ich ja schon vorangekündigt…“ Ja… ja. Das hätte man alles auch friedlich… Warte mal. Eine Sekunde. Schwarzer Rucksack… Wo habe ich das schon einmal… Nein… das darf doch jetzt nicht wahr sein! Während es in meinem Kopf rattert, setzt Dani seinen Dialog fort.
„…und das war jetzt so ein dummer Zufall, dass wir… wir hatten nämlich vorher ein Gefecht ganz…in der Nähe von hier. Ich war mit ihm dann da und er hat gesagt er hat Schüsse in den Rücken bekommen. Dann dreh ich mich um, vom Jägerstand runter und hab geschossen, weil ich da jemanden gesehen hab, der nicht ausgeschaut hat wie er.“
Jetzt wird mir alles klar. Ich versuche die bizarre Situation laut denkend aufzulösen.
Also, ich habe einen Spieler auf dem Weg nach Chernogorsk gesehen und bin ihm nachgelaufen. Das war vermutlich Dani. Irgendwie war er der Meinung, jemand habe seinen Freund, den Sebb, angeschossen und er dachte, das sei ich gewesen. Daraufhin hat er einfach auf mich geschossen. Dann hat er wohl Kanu gesehen und ihn ins Visier genommen, ehe er dann mit Sebb zusammen nach Cherno aufgebrochen ist. Dort hat dann Sebb versucht, mich mit der Brechstange zu erledigen. Hat wohl Gewissensbisse bekommen und mich mit einer Infusion versucht am Leben zu erhalten.
WAS IST DAS FÜR DROGENTRIP?!?!
„Du hast ja gar nicht reagiert so, ne?“ versucht das Killerbambi namens Sebb sich noch zu rechtfertigen, aber ich würdige das keines Wortes und kann es auch nicht einordnen. Ich würde laut durch den Wald rufe, sich nicht wehr und stattdessen Schutz suchen wohl kaum als „nicht reagieren“ bezeichnen. Oder was meint er da gerade? Grenzdebiles Killerbambi!
Die bizarre Situation wird aufgelöst, als ich Tabasko sehe, der nun auch in die Klinik spaziert kommt. So stehen wir vier hier in einem Gang und starren uns an. Oh Mann!
Die Situation ist so bizarr, dass mein innerer Samariter wieder die Kontrolle übernimmt. Alle anderen Modi haben keine Chance.
Sebb ist krank.
Sebb braucht Medizin.
„Ich geb dir erst mal was gegen die Erkältung…“, seufze ich resigierend.
„Okay, das ist nett“, antwortet er.
„Tut nicht weh.“, sage ich und ramme ihm eine Packung Tetrazylin in den Arm.
Tabasko lacht: „Haha, die schießen und im nächsten Moment hört man nur ‚Ich geb dir mal was gegen die Erkältung.‘“
Ja, Recht hat er. Soviel zum Thema auf „die dunkle Seite wechseln“. Klar, ich bin noch immer tierisch sauer, dass ich heute fast zweimal gestorben wäre und dass vor allem jemand dahintersteckt, für den ich gestern erst die Tour nach Vishnoye unternommen habe. Undank ist der Welten Lohn…aber irgendwie ist die Situation so grotesk komisch, dass ich nun doch etwas lachen muss. Wow… was für ne Story.
„Naja wir leben ja noch alle.“, sagt Sebb etwas kleinlaut.
„Hahaha…“, lache ich nun laut los. „Ich zwei seid einfach wunderbar…“ Autsch, das tut weh.
Jedenfalls weiß ich jetzt, das mein Rufen im Wald einfach nicht gehört worden ist. Soviel dazu.
Leider scheinen Sebb und Dani ernsthaft erkrankt zu sein. Bei den Symptomen tippe ich bei Dani auf einer Erkältung oder sogar der Influenza. Das bekommen wir bestimmt bald in Griff, aber Dani macht mir mehr Sorgen. Er hat sich wohl wieder eine Vergiftung zugezogen. Entweder sind es Salmonellen oder doch die Cholera. Wir beschließen, beide zur näheren Behandlung zurück ins Bambicamp zu bringen. Der Weg dorthin ist beschwerlich, denn Dani kommt nur langsam voran. Unterwegs fühlt sich Sebb wenigstens schon besser, denn sein Husten lässt nach. Das Medikament zeigt jedenfalls schon Wirkung. Zum Glück werden wir von Tabasko begleitet und er hält uns die Zombies vom Leib. Für einen kurzen Moment gebe ich mich Gewaltfantasien als Rache hin. Die beiden wären uns komplett ausgeliefert und wollte ich nicht vor einer knappen Stunde noch die beiden freiwillig oder unfreiwillig ins Lager bringen lassen? Ironie des Schicksals, dass wir jetzt alle drei humpelnd dem Lager immer näherkommen. So habe ich mir das nicht gedacht. Aber lasse von meinen Rachegedanken ab. Samariter machen den Unterschied! Und wie sagt Opi immer? „Wer Rache nimmt, muss mindestens zwei Gräber schaufeln.“
Dass er das allzu oft billigend in Kauf nimmt, lassen wir jetzt einfach mal gekonnt weg.
Nach einem fast endlosen Weg kommen wir müde und erschöpft endlich im Lager an. Wie gut, dass ich die Ziegen erlegt habe, denn so können wir gleich das Fleisch braten. Auch Jammet kommt hinzu und wir kümmern uns um Danis Erkrankung. Am Brunnen halte ich beiden nochmals eine Standpauke mit erhobenem Zeigefinger, um mich besser zu fühlen.
Es scheint ihnen schon leid zu tun, jedenfalls rede ich mir das ein.
Schließlich lege ich mich noch ein paar Stunden in einer Hütte ins Bett und ruhe aus, damit mein geschundener Körper etwas zur Ruhe kommt.
Für den Abend hat Kanu sich ein Event für die Gruppe ausgedacht, bei der nach einem mysteriösen Mister X gesucht werden soll. Ich habe zwar genug von Mister X für den Tag, beschließe aber, dann doch mitzumachen. Das wird bestimmt lustig. Solange ich nicht viel laufen muss, ist alles gut.
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Nach meinem kurzen Schlaf wache ich im Haus am Brunnen auf. Fast alle sind zu unserem kleinen Event gekommen: Jammet, Dani, Opi, Wolfgang, Sebb, Tabasko. Charly möchte später dazustoßen, ebenso wie Hikaru. Schade, dass Kevin und Max fehlen und Ravini wohl auch beschäftigt ist, aber wir haben unheimlich viele Leute hier am Brunnen.
Eine richtige kleine Feier! Die Ziegen sind im Nullkommanichts aufgegessen.
Außerdem bekommen wir Besuch von Blue, der heute zum ersten Mal in Chernarus angekommen ist. Zunächst möchte ich ihn in Kamyshovo abholen, werde dann aber von Opi und Jammet abgelöst, die ihn mit dem Auto zum Bambilager bringen möchten. Während ich zurücklaufe, meldet Wolfgang von seinem Ausguck ein Bambi beim Industriegebiet vor Cherno. Mein Herz rast.
Sofort laufe ich zurück, finde jedoch keine Spur mehr. Bei den Containern habe ich den Fremden verloren. „Vielleicht ist es auch besser so“, denke ich bei mir. Ich hatte wirklich genug Aufregung für einen Tag.
Doch auf dem Rückweg, sehe ich in einem Wachhäuschen einen Zombie stehen. Hat den der Überlebende da eingeschlossen? Ich schleiche mich näher und erkenne, dass es kein Zombie, sondern ein Spieler im Regenmantel ist!
Vorsichtig schleiche ich mich heran und versuche ihn anzusprechen. Ich sage ihm, dass er bitte nicht erschrecken soll und dass heute sein Glückstag sei. Er stellt sich mir als Andi vor und ich begleite ihn, geschützt von Wolfgang in der Ferne, zum Bambi-Lager. Dort stattet er sich erst einmal aus und verspricht, auch mal die ein oder andere Spende dazulassen. Ist zwar nicht Pflicht, aber eine nette Geste.
Anschließend kommen noch zwei weitere Freunde von ihm an: Basti und Florian. Sie alle werden ausgestattet und auch Blue ist am Brunnen angekommen. So viele Bambis hatten wir schon lange nicht mehr am Brunnen. Auch Danis Erkrankung scheint ausgestanden zu sein.
Beim Event machen Andi, Basti und Florian dann aber nicht mit.
Es ist schon spät, als wir uns für das „Spiel“ fertigmachen. Ich schlüpfe wieder in meine rote Sanitäterkleidung und packe einen großen Rucksack mit Medikamenten und Verpflegung zusammen.
Kanu hat sich irgendwo versteckt und wir sollen ihn suchen. Immer wieder wird er uns Hinweise verschiedener Art auf seinen Aufenthaltsort geben. Das kann ja heiter werden! Drei Autos, die wir von Opi und den Panzerknackern geliehen bekommen, werden losgeschickt. Ich steige zu Charly, Dani und Sebb in den Humvee, stecke mir mein Tagebuch in die Westentasche und fahre los.
Möge Gott meiner Seele gnädig sein. Ich kenne ja Charlys Fahrstil…
~Fortsetzung folgt...~





