Um etwas Ablenkung zu finden, beginne ich in Solnichniy damit, unsere Vorräte aufzustocken. Obwohl ich schon gefischt habe, ist Vorsorge besser als Nachsorge. Wir müssen auch künftig gut auf Bambi-Ströme reagieren können. Deshalb habe ich in der Nähe unseres Lagers am Meer eine Holzkiste platziert, die mit Angelruten, ein paar Haken und einem Messer gefüllt ist. Außerdem bin ich auf ein schönes Haus mit leeren Stahlregalen gestoßen, das mich auf eine Idee gebracht hat, die mir schon länger im Kopf herumspukt: Wie wäre es mit einer Art Samariter-Wohngemeinschaft? Dieses Gebäude könnte sich perfekt als Lagerraum eignen. Also begann ich damit, ein Zaun-Kit zu experimentieren und eine Wand zu errichten. Die Idee für meine „Samariter-WG“ wächst.
Während ich mich entspannt meiner Arbeit widme, sind Kanu und Jammet unterwegs und stoßen auf einen abgestürzten Helikopter, den sie durchsuchen. Glücklicherweise bleiben sie unverletzt, und Jammet ist besonders vorsichtig. "Ich möchte wirklich vermeiden, auf Zombies zu schießen", sagt er. Recht hat er, schließlich weiß man nie, wer Schüsse hört und ihnen folgt. Es stellt sich heraus, dass er klug gehandelt hat, denn während Wolfgang sicher Ausschau in Kozlovka hält, meldet sich Xam erneut bei uns und bittet um Hilfe. Er wurde gerade in der Nähe von Novy Sobor von Fremden angeschossen, und es scheint, als würde er gerade regelrecht ausgeraubt.
Wir hören Bruchstücke des Gesprächs, das Xam mit den Banditen führt. Offenbar befindet er sich südlich von Novy Sobor, genauer gesagt in Nadezhdino. Ich fordere alle auf, Funkstille zu bewahren, damit wir dem Gespräch lauschen und vielleicht etwas für ihn tun können. "Ruhe, Ruhe Ruhe!", ermahne ich alle, und wir hören zu, wie Xam versucht, mit seinem Angreifer zu kommunizieren. "What do you mean? I didn't hear you, man!", beginnt er. Dann folgt eine kurze Pause, und schließlich hören wir von ihm: "No, it's fine."
In der Zwischenzeit gibt er seinen Standpunkt preis, damit Jammet und Kanu ihm vielleicht helfen können. "I play solo", sagt Xam wieder. Im Grunde hat er recht. Er ist einer unserer Einzelgänger und ist meist allein unterwegs. Allerdings bezeichnet ihn unser Chernarusse Alexej mit einem schelmischen Grinsen als "Lügner", wobei ich betone, dass das nicht stimmt. Xam ist Einzelgänger. Klar er hat Kontakt zu uns, aber er ist Einzelgänger. "Pink armband?", fragt er nun und überlegt: "I haven't seen any people around." Die Sache ist klar. Sein Gegenüber scheint ihn nach einer Gruppe mit lilafarbenen Armbinden zu fragen. Das kommt mir sehr bekannt vor, und ich vermute stark, dass es die Balzbubis sind, die ihn heimtückisch angegriffen haben.
Wenn ich die einseitigen Dialogfetzen richtig interpretiere, waren sie auf der Suche nach der Tabaskos Gruppe. Dabei sahen sie Xam in seinem roten Gunter und schossen auf ihn, in der Hoffnung, einen von ihnen zu erwischen. Das hätte genauso gut Kanu sein können. Ob das beabsichtigt war? Zum Glück hat Xam den Angriff überlebt und war lediglich bewusstlos. Über die Gruppe kann er nicht viel sagen, da er meist allein unterwegs ist. Das Gespräch verläuft mehr oder weniger friedlich, so gut es eben bei einem solchen Überfall möglich ist. Aber Xam benimmt sich besonnen und wehrt sich nicht, was ihm das Leben rettet. Sein Auto ist leider beschädigt und fahruntauglich, aber er bekommt etwas Essen von den Fremden. Schließlich verabschiedet er sich von ihnen und bedankt sich dafür, dass sie ihn nicht gleich erschossen haben. Als die Fremden davonfahren, wendet sich Xam wieder an uns. "Was für eine Begegnung war das, Alter!", seufzt er. "Ich weiß nicht, ob es die sind... sind es... sind es die Chernarussen vielleicht?", fragt er vorsichtig nach. Alexej verneint sofort.
"Osteuropäischer Akzent?", möchte Kanu wissen, und wir denken beide dasselbe. Sie haben nach "pinken" Armbändern gefragt. Das könnte ins Bild passen. Aber immerhin haben sie gesprochen, bevor sie geschossen haben. Das ist auf gewisse Weise eine Verbesserung im Vergleich zum Vortag, wenn man so will. "Sie gehen jetzt in Richtung Süden. Sie haben einen schwarzen Gunter", berichtet Xam. Kanu fragt, wohin sie wohl unterwegs sind, und als von einem schwarzen Gunter die Rede ist, schrillen bei mir die Alarmglocken. Jack wurde doch erst heute von einem schwarzen Gunter überfahren...
Die Fremden fahren weiter, und Xam ist irgendwo zwischen Nadezhda und Novy Sobor an einer Brücke gestrandet, da sein Autokühler bei dem Angriff beschädigt wurde. Außerdem haben sie Xams Granaten und etwas Munition mitgenommen, aber sie haben ihn nicht komplett ausgeraubt. Wir sind uns einig, dass es wahrscheinlich die "Balzrussen" sind, wie Kanu sie zwischenzeitlich kurz nennt. Aber ich bleibe bei dem Begriff "Balzbubis", da er einfach besser passt. Wie auch immer, wir versuchen neutral zu bleiben, auch wenn es schon ein starker Tobak ist, wie diese neue Gruppe auftritt.
Kanu und Jammet beschließen, dem Ausgeraubten zu helfen. Sie holen zuerst bei mir in Solnichniy einen Kühler ab, den ich vorsorglich gelagert habe. Dann geht es auf eine abenteuerliche Fahrt. Alexej und ich unterhalten uns noch ein wenig über sowjetischen Kwas und dass es heutzutage wohl keinen wirklich guten mehr gibt, aber unsere Unterhaltung wird von Kanu unterbrochen, der bei Xam ankommt und ein weiteres fahrendes Auto meldet. Ein schwarzer Gunter und drei Leute steigen aus! Das verheißt nichts Gutes.
Kanu fährt hupend an den fremden Autos vorbei. Xam flucht: "Shit, shit, shit!", sichtlich genervt über die Ankunft der anderen Fremden und Jammet? Ja, Jammet grüßt die Fremden einfach freundlich, als sei nichts geschehen: "Hello!" Vielleicht das beste, was er machen konnte. Eine Stimme, er merkt sofort, dass es der Anführer der Balzbubis ist, grüßt zurück. Man hört an seinem Tonfall deutlich, dass ihm die Sache nicht gefällt und vor allem, dass er Kanu und Jammet sowie dem roten Gunter schon wieder über den Weg läuft…Verzeihung: fährt. "Das sind die wieder, ne?", fragt Xam in den Funkkanal. Jammet nimmt es mit Humor und lacht laut, und auch Kanu steigt aus dem Wagen und grinst Ronin an: "Long time no see, I would say!" "We just killed this guy...", setzt Ronin an und zeigt auf Xam, verbessert sich jedoch schnell: "We just met this guy so we tell him about you." Ich habe keine Ahnung, was er mit dem zweiten Teil meint. Wer hat wem etwas über wen erzählt?
Kanu geht jedenfalls auf Xam zu und grüßt ihn ebenfalls freundlich: "Hello! We just got an emergency call that there is a broken car. So we are here to fix the car." Das leuchtet Ronin ein. "Yes, yes, yes, yes", bestätigt er, "I tell you about this guy so that we see another red Gunter. It's that guy. We don't kill him, we just speak with him because we think it's a disguise in a pink armband, you know?"
Puh... also an seinem Englisch sollte er noch arbeiten, denn er vermischt hier Gegenwart und Vergangenheit munter, aber ich verstehe, was er meint. Er erklärt also, dass Xam der Typ mit dem roten Gunter ist, von dem er Kanu zuvor bei ihrem Treffen berichtet hat und dass sie auf ihn geschossen haben, weil sie dachten, er sei einer von der Gruppe mit dem lilafarbenen Armband und habe sich nur verkleidet. Und ja, das Armband ist eigentlich lila und nicht pink, auch wenn die ganze Welt von "pinken Armbändern" spricht. Aber das mit den Farben ist ja so eine Sache und mit begrenzten Englischkenntnissen ist pink einfacher auszusprechen als beispielsweise purple.
Jedenfalls wechselt Kanu schnell den Kühler an Xams Auto aus. Während er sich über das Auto beugt, wird es dem junge Cyber Sportsman wohl zu viel und er schlägt mit seinem Schwert auf das Auto ein. Er versucht sogar, Kanu zu treffen, doch dieser geht gerade in diesem Moment einen Schritt zurück, ohne zu bemerken, was eigentlich vor sich geht. Zuerst denkt er an Schüsse und fragte daher in die Runde, wer gerade geschossen habe. Aber niemand meldet sich. "Die Typen sind schon wieder hier, ey...", stöhnt Jammet, der über das Treffen nicht so erfreut ist. Kein Wunder, legen die Herren auch schon wieder ein seltsames Verhalten an den Tag. Naja, zumindest dieser Cybersportler, der nun jedoch von Kanu und dem Auto abgelassen hat, als sei nichts geschehen.
Kanu holt etwas Wasser für den Kühler vom nahegelegenen Fluss, und die Balzbubis versuchen, das Auto mit einem Schweißbrenner zu reparieren. "See? Like yesterday from factory!", sagt Ronin lachend. Der Cybersportler kriecht unter das Auto und sagt etwas Unverständliches. Es fehlt noch eine Zündkerze, und ein Reifen ist stark beschädigt, aber Jammet und Kanu schaffen es, das zu reparieren. Irgendwie gelingt es dem Cybersportler, ein Radio oder etwas Ähnliches einzuschalten und eigenartige Musik abzuspielen. Abgesehen davon trägt er ständig sein Nachtsichtgerät. Bei Tageslicht. Und es ist eingeschaltet, wie Jammet feststellt. Wirklich seltsam, dieser Typ.
Das Auto ist jedoch gerettet und fahrtüchtig. Xam bedankt sich, und Kanu verabschiedet sich. Ronin übergibt Kanu noch etwas Gegengift gegen das Pockenvirus und eine Kochsalzlösung, falls er die Dinge gebrauchen kann. Mein Mann bedankt sich höflich. Unterdessen dröhnt die eigenartige Musik des Cyber Sportsman weiter, aber wieder scheint ihn jeder zu ignorieren. "I think we have to go. Till next time!", verabschiedet sich Kanu. Er läuft mit Jammet zum roten Bambi-Mobil, belädt den Kofferraum, und unterdessen setzt der Cybersportler noch einen drauf und spielt "What is love?" von Haddaway in stark verlangsamtem Tempo ab. "What is love? Baby don't hurt me, don't hurt me, no more...", dröhnt es träge und tief aus seiner Richtung. Was für ein klares Symbol... Hinten am Auto kommt er zum Stehen und schlägt mit einem kräftigen Faustschlag auf das Rücklicht ein. Aber Kanu und Jammet lassen sich nicht beirren und fahren so schnell wie möglich los. Weg von diesen Verrückten... wobei, Ronin scheint wirklich vernünftig zu sein, aber dieser hormongesteuerte Cyber Sportsman ist schon ein komischer Vogel.
Als sie in Sicherheit sind, seufzt Jammet: "Okay... endlich Ruhe!" Xam bedankt sich im Funk noch bei den beiden: "Danke fürs Fixen!" Jammet lacht. "Kein Problem. Sieh nur zu, dass du von diesen schießwütigen Mexikanern wegkommst..." Ich lache. Ja, früher gab es doch mal diese Zeichentrickserie mit einem Mexikaner und einem Cowboyhut, der immer gleich mit zwei Pistolen um sich schoss. Wie hieß diese Serie noch gleich? Ich habe es wohl vergessen. "Wo kamen die denn jetzt schon wieder her?", reißt mich Xam aus meinen Gedanken. Kanu und Jammet haben keine Antwort darauf. Wir wissen es nicht, aber vermutlich haben sie denselben Weg zurückgenommen, das Auto gesehen und wurden neugierig.
Ja, das sind irgendwie unangenehme Zeitgenossen, und ich glaube, das letzte Wort in Sachen "Meine Herz" ist noch nicht gesprochen, aber zumindest lassen sie uns leben. Ich bleibe in Solnichniy und baue ein Haus zu einem Lager um, um noch mehr Vorräte lagern zu können. Irgendetwas sagt mir, dass ich in nächster Zeit mit vielen, vielen Bambis rechnen muss. Aber wenigstens sind Xam und am Ende auch Proxxo zurückgekehrt, und ich freue mich darüber, ihre Stimmen mal wieder im Funkkanal zu hören.