03.07.2023 – Nachtrag II
Es wird nach und nach ruhig im Funkkanal, während wir
alle unseren alltäglichen Aufgaben und Vorhaben nachgehen. Nach gefühlt dreißig
Baumstämmen, die ich gefällt und zersägt habe, ziehe ich mich erschöpft in mein
Haus zurück, um dort etwas auszuruhen. Da melden sich Henrik und Ravini. Henrik
berichtet davon, dass die Russen wohl wieder sehr aktiv seien. Er habe eine
Sprengfalle mit Sprengstoff vor seinem Tor in Elektrozavodsk gefunden.
Natürlich berichte ich ihm auch gleich von meinen Erlebnissen in Solnichniy und
über kurz oder lang sind wir alle schätzungsweise auf dem neusten Stand. „Ja
Glück gehabt“, murmelt Henrik, „ich hab sie halt auch vorher noch gesehen. Sie
lag direkt vor der Eingangstür.“ Unsere Freunde sind also irgendwo da
draußen. Wobei ich noch immer innerlich Zweifel daran habe, ob die Minen
wirklich ihr Machwerk waren. Etwas Komisches geht hier vor, ich weiß nur noch
nicht, was es ist.
Was das zweite Rätsel angeht: Auch Henrik und Ravini
haben keine Vermutung darüber, wer der geheimnisvolle Schütze von gestern
gewesen sein könnte, der unser Gefängnisinsel-Event sabotiert hat. Nach einer
kurzen Rast baue ich weiter im Haus an den Wänden der Samariter-WG. So gut es
geht fälle ich noch den einen oder anderen Baumstamm und errichte ein Tor,
damit wir in der WG schön sicher sind. Zwei Wände sind bereits gezogen und ein
inneres Tor, aber natürlich müssen auch die Fenster ordentlich abgedichtet
werden. Ein Glück, dass ich bisher zahlreiche Nägel gefunden habe und so meine
Arbeit in Ruhe fortsetzen kann. Unterdessen lausche ich den zunehmenden Funksprüchen
der anderen. Ravini freut sich über seine kleine Alarmanlage aus Zombies: „Ist
gut, dass die Zombies hier ab und zu am Haus vorbeischwirren. Das ist schonmal
ein gutes Zeichen, wenn die ganz normal rumlaufen, dass da keiner in der Nähe
ist.“ Henrik bestätigt das eifrig: „Guter Alarm, auf jeden Fall. So sehe ich
das auch.“ Gedankenverloren baue ich weiter und murmle vor mich hin. „Wo baust
du denn was, Herz?“, möchte Henrik neugierig wissen. „Jahaaa!“, flöte ich
stolz, „Ich baue meine erste Basis!“ „Wahnsinn…“ kommt es etwas zu sarkastisch
von Henrik. „Naja… was heißt Basis… ich baue mir ein Haus zu. Ein
Samariter-Haus, mit Küche, Lager und viel Holz!“, erläutere ich ihm fröhlich.
Nun tritt auch Ravini auf dem Plan: „Wo das denn?“ und sofort antworte ich ihm
bereitwillig: „Na, in Solnichniy. Da, wo die böse Sprengfalle war.“
In dem Augenblick merke ich, wie dumm das für sich
genommen eigentlich ist. Henrik spricht es ungläubig auch gleich aus: „Was, da
baust du?!“ Ich relativiere gutgläubig und weiß, wie albern das klingt. „Naja,
also...“, beginne ich, „ich hatte das Haus schon angefangen zuzubauen, ehe ich
die Sprengfalle entdeckt habe. Das möchte ich jetzt nicht aufgeben. Vermutlich
wurden wir schon entdeckt, aber so ist das halt.“ Während ich weiterbaue, fange
ich mir irgendwie einen Infekt ein und muss eine kurze Pause einlegen, da ich
stark zu schwitzen anfange. Sofort behandele ich mich mit Medikamenten und zum
Glück konnte ich die Infektion im Keim ersticken. Ravini hat einen Cowboyhut
gefunden und scherzt noch etwas: „Den setz‘ ich mir jetzt auf und mach dann
irgendwelchen Blödsinn und sag, der Tabasko war’s.“ Nette Idee, aber Wolfgang
kontert nüchtern: „Na des wär ja nix B’sondres mehr.“ Recht hat er, Tabasko ist
ja auch im Normalfall ein Meister des Unfugs. Wolfgang schlägt vor, dass er
doch einen LKW auf den heiligen Manfred, also den Turm im Rohbau vor
Prigorodki, fahren könne. Aber wir wissen alle, wie abwegig das ist. Trotzdem,
der Gedanke ist schon irgendwie witzig.
Charly meldet sich nun auch in der Gruppe und teilt uns
mit, dass Max und Kevins Basis zwar geplündert worden ist, aber dass die beiden
LKW noch da sind und die kleine Schatzkammer hinten nicht angerührt wurde. Er
hatte gerade Kontakt zu Max. Vermutlich kamen die Eindringlinge dort nicht
rein. Sehr gut! Also hat es doch etwas gebracht, dass Blue und ich gestern die
Mauer notdürftig geflickt haben.
Nun meldet sich nach langer Zeit auch Charel wieder und
berichtet von ersten Fortschritten in Staroye. So langsam hat er den Dreh mit
dem Überleben raus und das freut mich wirklich für ihn.
Ravini bietet Lederhüte oder eine Tagesladung an
Zucchinis im Austausch gegen eine Sturmweste und Epoxidharz. Außerdem berichtet
er stolz davon, gestern jemanden vor seiner Basis mit einer Wasserflasche
erledigt zu haben. Ungläubig möchte ich natürlich sofort alle Einzelheiten
wissen. „Der hat davor noch zwei Überlebende plattgemacht“, beginnt er zu
berichten, „und hatte das Maschinengewehr in der Hand. Ich dachte mir:
Versuchst du es mal auf dem friedlichen Weg.“ Der Fremde gab jedoch keine
Antwort und tanzte nur vor Ravinis Basis rum. Tja und Ravini tanzte mit der
Wasserflasche seinerseits um ihn rum. Das muss ein Bild gewesen sein…
jedenfalls wurde Ravini dann klar, dass jemand wohl im Busch versteckt sein
müsste. Er erzählt weiter: „Ich kam dann drauf, dass er deswegen hier einen so
auf Kasperfurz machte! So nach dem Motto – ich ziehe meine Waffe und der im
Busch schießt mich dann über den Haufen.“ Allerdings scheint es wohl doch nicht
so gewesen zu sein. Es stellte sich heraus, dass der Überlebende im Busch nur
ein scheues Bambi war und von dem tanzenden Typen vor Ravinis Augen erschossen
wurde. Ein paar Mal hat Ravini dann überlegt, den Fremden einfach zu erschießen,
als dieser rund um seine Basis rannte und tänzelte. „Aber du weißt ja… ich bin
innerlich schon so ein Samariter…“, gesteht er kleinlaut. Jedenfalls hat der
Täter sich dann am Ende auf ein Auto gehievt und sich selbst erschossen. War
wohl nichts mit der Wasserflasche, aber dass Ravini das überhaupt überlebt hat?!
Wer das auch immer gewesen ist, er muss Ravini ziemlich vorgeführt haben, denn
er hätten ihn ja problemlos erschießen können. Aber vermutlich wollte er sich
nur einen Spaß erlauben. Das würde zu den Jungs passen, aber ob Charly oder
Tabasko dahinterstecken?
Dani fährt jedenfalls nun doch mit Shizos heißgeliebter Olga
zur Basis und macht kurz bei Andy bzw. André Halt. Dieser hat eine Lagerhalle
in Nadezhdino bezogen. Alles ist ruhig, da erwischt ihn eine Bärenfalle vor dem
Tor. Wir wissen nicht wie, aber er schafft es, mit einem gebrochenen Fuß noch
Auto zu fahren. „Weißt du, wer die dort platziert hat?“, schmunzelt Charly
verschwörerisch. „Tabakso?“, fragt Shizo ungläubig, der sich ziemlich große
Sorgen um sein Auto macht und sich nun wieder ins Gespräch eingeschaltet hat.
„Ich“, kontert Charly gelassen und mit ein bisschen Stolz in seiner Stimme.
„Boah… nein echt jetzt!?“, stöhnt Dani empört. Ich kann seinen Unmut verstehen.
Shizo ist mehr besorgt um seine Olga, als um Danis Bein, doch das Auto ist am
Ende in Sicherheit in deren Basis. Ich mache eine kurze Pause und Jahsan
übernimmt das Baumstämme Hacken für mich. In der Nähe des Kieswerks fällt er
gemütlich einen Baum, als ein Überlebender mit gelber Daunenjacke und rotem
Motorradhelm an ihm vorbeiläuft. Ich bekomme per Funk mit, wie er noch versucht,
Kontakt aufzunehmen, aber er wirkt sichtlich nervös. Er hadert und grübelt, ob
er nicht gleich schießen solle. Hoffentlich dreht er nicht durch!
Aber der Fremde formt zur Begrüßung ein Herz mit seinen
beiden Händen. Alles in Ordnung! Das Nächste, was ich höre, sind Schüsse eines
Maschinengewehrs. „JAHSAN!“, brülle ich, „Jahsan, antworte!“ Es folgt jedoch
keine Reaktion. Ich ahne Schreckliches und schleiche mich vorsichtig zum
Kieswerk. Alles ist ruhig, aber hinter einem Busch kann ich Jahsans grün-rote
Uniform ausmachen. Da liegt er… vorsichtig versuche ich mich heranzuschleichen,
aber ich komme zu spät. Mein Kamerad ist tot. Kaltblütig erschossen. Das hätte
ich sein können. Der Fremde muss ihn erst in Sicherheit gewogen und ihn dann
hinterhältig erschossen haben. Henrik zeigt zumindest etwas Mitgefühl im Kanal
und Shizo erkundigt sich interessiert nach der genauen Stelle des Vorfalls
sowie nach der verwendeten Waffe, aber ich habe natürlich keine Ahnung, was genau
passiert ist. Es ist mir momentan auch egal. Eventuell wird Jahsans Helmkamera
etwas aufgezeichnet haben, aber das bringt meinen Kameraden auch nicht wieder
zurück. „Scheiße ey…“, gibt Henrik noch von sich. Das Einzige, was ich jetzt
noch für ihn tun kann, ist seine Überreste unter erhöhter Vorsichtig zu
vergraben.