04.07.2023 - Sticheleien
Mein Tag beginnt mit einem energiegeladenen Sprint vom Hexenhaus in Nizhnoye zum Brunnen und von dort zum LKW. Der Lastwagen steht immer noch hinter dem Tor, das ich gestern Abend schnell platziert habe. Allerdings besteht es bisher nur aus dem Rahmen und einer unteren Wand. Es ist an der Zeit, das Ganze etwas auszubauen. Mit Axt, Säge, Hammer und Nägeln bewaffnet, mache ich mich an die Arbeit. Während ich Bäume fälle und meinen Aufgaben nachgehe, meldet sich Charel und fragt nach den Balzbubis. Von ihnen gibt es noch keine neuen Hinweise, also informiere ich ihn kurz über die Ereignisse des gestrigen Tages, insbesondere über die Sprengfalle am Lager. Er bedankt sich und überlegt, ob er sich einer Gruppe anschließen möchte, ist jedoch noch unschlüssig und zieht vorerst allein los. Sein Interesse am Basenbau ist geweckt, was mich nicht überrascht.
Nachdem ich mein Werk vollendet und das Tor fertiggestellt habe, mache ich mich auf den Weg zurück nach Solnichniy. Es regnet in Strömen, und ich bin froh, als ich völlig durchnässt in der Samariter-WG ankomme. Zwar ist es noch keine richtige WG, da Hikaru und Blue noch einziehen müssen, aber die Tore stehen bereits, und ein paar Dosen, die ich auf dem Weg gefunden habe, ergänzen die Vorratskiste in der Küche perfekt. Während ich die Klinik nach Brauchbarem durchsuche, fällt mir eine weiße Fahne in einem der Unterstände auf. Verwirrt sehe ich zum Fahnenmast hinauf – er ist leer. Offenbar hat jemand die Fahne abgenommen und im Unterstand versteckt. Warum jemand so etwas tun würde, ist mir ein Rätsel.
Ich ziehe die Fahne wieder hoch. Warum?! Einfach nur: „Warum?“ Das ergibt doch keinen Sinn. Wer handelt denn nach dem Motto: „Haha! Ich nehme jetzt eure Fahne ab und stecke sie in den Unterstand! Ich bin ja so fies…“ Ich begreife es nicht. „Leute gibt’s!“, sage ich frustriert und genervt mehr zu mir selbst, als zu meinem Gesprächspartner, Charel. Ich überlege eine kurz. Hat Tabakso etwa…? Wie auf’s Stichwort höre ich Tabaskos Stimme über Funk: „Grüße!“ Das ist jetzt echt nicht war… Nach einem kurzen Gespräch, das auch den Verbleib der Balzbubis betrifft, verwerfe ich meinen Verdacht wieder. Tabasko weiß zwar allerlei Unfug zu treiben, aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass das einer seiner Streiche war. Um das Thema zu wechseln, berichte ich ihm stolz von meinem gestrigen Fund und meinen ersten Fahrversuchen. „Na jetzt wird’s lächerlich!“, gibt er ungläubig von sich. Ich bin irritiert. „Na, du fährst doch kein Auto! Du weigerst dich doch immer!“, erklärt er sich. „Tja… siehst du? Und gestern hätte unser Samariter Jahsan fast einen anderen Überlebenden erschossen. Das wäre dann unser erster gewesen… schade, dass er es nicht getan hat..“, gebe ich etwas gedrückt wieder und bin fast schon schockiert über meine eigenen Worte. „Und zählt Blue nicht?“, gibt Tabasko etwas gespielt empört zurück. Touché. Er weiß genau, wo meine wunden Punkte liegen, aber aus dem spaßigen Ärgern wurde nun viel zu schnell Ernst. Dabei hatten die Jungs mir die Idee mit der „Erziehungs-Vaiga“ doch erst aufgeschwatzt… Ich schlucke. „Nein. Blue zählt nicht“, gebe ich trocken zurück. Das habe ich hinter mir gelassen. Es war ein bedauerlicher Unfall mit schweren Folgen, aber kein kaltblütiger Mord. Egal, was die anderen sagen…
Unser Gespräch wird unterbrochen, als Tabasko Schüsse bei Lopatino meldet. Verrückt, wie er ist, rast er direkt in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Ich wünsche ihm alles Gute und hoffe, dass er sicher zurückkehrt. Shizo und Durog stoßen ebenfalls zu uns, und es tut gut, von ihnen zu hören.
Shizo gesellt sich auch zu uns, weiß aber von keinen Schüssen und scheint sich an einem anderen Ort aufzuhalten. Ein paar Minuten später meldet sich auch Durog, der Einzelgänger, bei uns. Er versichert Tabasko, dass er gerade nicht im Norden geschossen habe. Ich freue mich mal wieder von unserem ihm zu hören. Irgendwie ist er „der Schatten“, nur in gut. Ich meine, die Nummer mit dem Gentlemen-Raid war schon extrem nett von ihm. Wobei… „Raid“ trifft es ja nicht ganz. Wie es sich herausstellte, ist er ja in gar keine Basis eingebrochen, sondern kam nur zufällig vorbei und das glaube ich ihm auch auf‘s Wort. Sowas wie mit Durog, sowas habe ich noch nie erlebt. Also dass jemand eine aufgebrochene Basis findet, überall den verstreuten Loot sieht und dann extra Unterstände baut und alles dort einlagert, damit da Zeug nicht verschwindet… Meinen Respekt und vor allem Dank, denn es war ja unser Zeug, das er da unwissentlich gesichert hat! Shizo meint scherzhaft, dass doch Whoomba eigentlich der Unschuldige sei. Aber nein, das stimmt so nicht. Schließlich hat er mein Tagebuch geklaut und sich selbst als Unschuldigen inszeniert! Das ist nicht wirklich „unschuldig“. Durog bietet uns jedenfalls eine Zufluchtsstätte an, falls jemand etwas benötigt und ich danke ihm für sein freundliches Angebot. Tabaskos Erkundungstour endet mit einem toten Überlebenden in Vavilovo, der aus einer Tür gerannt kam und die Waffe auf Tabasko gerichtet hatte. Das war dann wohl sein Todesurteil. Irgendwie trifft mich das Schicksal des Fremden, aber was kann ich schon tun an dieser Stelle? Ich hätte bestimmt erst versucht zu reden, wobei wie schief das gehen kann, hat man gestern ja deutlich gesehen. Verdammt… ich wollte nicht mehr daran denken.
Nach etwas Small-Talk meldet Blue sich bei uns und ich auch ihn über die Dinge ins Bild, die so in letzter Zeit passiert sind. Wir tauschen uns noch etwas über die fragwürdigen Raid-Methoden der Balzbubis aus und ich echauffiere mich über das Verhalten des Heißsporns von neulich, über scheinheilige Überlebende, bis hin zu Sprengfallen, die in Bambi-Auffanglagern heimtückisch platziert werden. Hier im geschützten Raum tut es gut, seinem Frust freien Lauf zu lassen. Shizo flüstert in mein Ohr „Tööööteeeen! Töööteeeen!“, von wegen ich solle doch zur dunklen Seite wechseln. Ich verwerfe den Gedanken wieder, aber ich gebe zu, es wird zunehmend schwer für meine uneigennützige Haltung in dieser Welt noch einen Rechtfertigungsgrund zu finden.
(Notiz aus der Zukunft: Ich konnte damals wirklich nicht ahnen, welche Folgen dieses Gespräch und überhaupt diese Episode noch haben würde. Hätte ich nur geahnt, was sich da im Dunkeln hinter unseren Rücken zusammengebraut hat…)
Schließlich hat Tabasko noch Schwierigkeiten mit einem seiner Autos, aber er bekommt es wieder auf die Straße. Blue macht mir mehr Sorgen, als er allein nach Chernogorsk zum Militärgebiet läuft und dabei eine Gaszone übersieht. Zum Glück merkt er schnell, dass etwas nicht stimmt, und rennt aus der Zone heraus. Auch das Verbinden seiner Schnittwunden ist kein Problem, aber Chernarus hält noch einige Gefahren für ihn bereit, und ich bin leider nicht vor Ort, um ihm zu helfen. Zur Untätigkeit in Solnichniy verdammt, baue ich weiter weiter an der Samariter-WG und werde abends von Kanu und Jammet im roten Gunter abgeholt. Die Jungs sind überrascht zu hören, dass ich nun auch fahren kann und einen LKW gesichert habe, aber sie freuen sich über meinen Erfolg. Gemeinsam fahren wir nach Berezino, um dort am Camp nach dem Rechten zu sehen. Ein großer Turm versperrt die Straße zum Krankenhaus, den Koira dort gebaut hat. Es ist ja schön, dass er Fortschritte gemacht hat, aber irgendwie ist der Turm doch recht… protzig. Naja.
Am Ende füllen wir noch die Vorräte auf, und ich zeige den beiden die Samariter-WG in Solnichniy. Jammet ist nicht so der Freund von Basen, aber ich denke, er weiß zu schätzen, dass wir nun ein großes Lager haben, wo wir unsere Kleidung und Vorräte aufbewahren können. Wir werden sehen, wie lange die WG halten wird...
Das war wieder ein ereignisreicher Tag in Chernarus, und ich kann nur hoffen, dass es auch morgen keine neuen Nachrichten von den Balzbubis geben wird. Keine Nachrichten sind in diesem Fall gute Nachrichten.