Am Abend vor der letzten Verzerrung (Wipe) …
(20.11.2020)
Normalerweise mache ich keine privaten Aufzeichnungen. Doch aus irgend einem Grund möchte ich die Ereignisse heute Abend festhalten. Weder bin ich mir sicher, ob ich hinterher diese Papiere nicht einfach verbrenne, noch ob es klug ist diese Zeilen überhaupt zu schreiben und das Papier, auf denen ich sie nun schreibe, zu verschwenden.
Noch nie gehörte ich zu den Mädchen, die sowas wie ein Tagebuch schrieben. Das war mir immer zu viel Aufwand. Zwar habe ich mal damit angefangen, weil das irgendwie alle gemacht haben, aber … nie so wirklich regelmäßig und irgendwann waren es Zeichenbücher. Es ist etwas vollkommen Anderes einen Bericht zu schreiben, als das, was in meinem Kopf rumschwirrt. Dennoch habe ich das Bedürfnis aufzuschreiben, was heute Abend war. Warum genau heute, das ist mir schleierhaft, aber ich glaube langsam zu verstehen, warum … Es passiert tagtäglich so viel da draußen in Chernarus. Täglich neue Konflikte und es scheint schlimmer zu werden, statt besser. Genau deswegen ist es wichtig, nun diese Zeilen zu schreiben. Sie sollen nicht als Bericht irgendwo verstauben … sondern als Worte der Menschlichkeit.
Während meiner … Zeit beim Ganja Clan habe ich doch eine Sache verstanden. Wir alle sind nichts ohne unsere Menschlichkeit. Sicher es gibt viele Gerüchte, um meine Gefangenschaft. Im Nachhinein bin ich dankbar für diese Zeit. Sie hat mich aus dem täglichen Wahnsinn einen Schritt zurück machen lassen. Mich selbst wieder als Mensch wahrzunehmen gelehrt. Als die Frau, die ich bin. Es ist eine Sache sich völlig in einer Aufgabe zu verlieren. Es ist aber eine ganz Andere, wenn du vor lauter Pflichtgefühl vergisst zu atmen und dich damit selbst blockierst.
Ich liebe nach wie vor mein blaues Barrett und meine Einheit. Ich diene gern in den UN-Truppen von Chernarus unter der Führung von Col. Mad Dog und den anderen Offizieren. Ich bin stolz ein Teil dieser Aufgabe zu sein und jeden Tag den Leuten zu helfen, die es alleine gerade schwer haben oder in der Klemme sitzen. Bin stolz auf meine Beförderung! Man bezahlt dafür einen hohen Preis, wenn man diesen Weg geht und zwischenzeitlich, stand es nicht sehr gut um die Truppe. Einige waren krank, abgezogen oder sind gefallen. Jeder einzelne ein schmerzlicher Verlust und irgendwann bröckelt die Moral. Es gibt Tage an denen es furchtbar schwer fällt aufzustehen. Im Endeffekt ist es immer das Gleiche. Aber … wenn wir nicht aufstehen, dann tut es keiner. Wenn wir nicht unserer Aufgabe nachgehen, dann werden auch bald andere fleißige unermüdliche Helfer irgendwann aufgeben und dann hat die Menschlichkeit keine Chance.
Die Menschlichkeit ist eine zarte Pflanze und es liegt an uns Allen, dass sie eine Chance bekommt zu wachsen. Warum ich ausgerechnet diesen Vergleich nutze? Weil ich erst vor ein paar Tagen einen Setzling in mitten verbrannter Trümmer gesehen habe. Völlig unbeeindruckt von seiner verbrannten, fast verdorbenen Umgebung. Er war einfach da. Er wurde dort nicht gepflanzt und ich habe ihn auch nicht umgepflanzt. Ich werde in regelmäßigen Abständen auf meinen Patrouillen diesem Setzling beim wachsen zusehen. Wenn er es schafft zu wachsen, dann sollte es doch auch vermaledeit möglich sein, in diesem Land wieder mehr Menschlichkeit zu verbreiten.
Mit all diesen Gedanken im Kopf zog es mich weiter. Ich wusste was zu tun war. Wenn der Plan aufgehen sollte, dann brauchte ich die Unterstützung. Eine Unterstützung, die mir nur eine Person in dieser Welt geben kann. Die Unterstützung eines Mannes, der von allen Intrigen und Reibereien die Nase voll hatte und sein Leben beendete … Ich weiß noch genau, wie der Schmerz über diese Nachricht nicht nur mein Herz sondern auch meinen Verstand zerriss. Die Truppe hatte ihre Schwierigkeiten damit mich aufzufangen. Hatten alle Hände damit zu tun, mich vor großen Dummheiten zu bewahren. Doch wie könnte ich sie im Stich lassen? Ich zog mich eine Weile in den ‚Innendienst‘ zurück. Da gab es auch genug zu tun und ich bin eine ganze Weile keine Patrouille gelaufen. Doch irgendwann reichte mir das nicht mehr. Ich wollte wieder raus. Wollte mit meiner Einheit zusammen den Leuten zeigen, dass wir sehr wohl noch da waren! Krieg hin oder her – wir waren für die Leute da. Wir haben uns nicht versteckt und konnten auf die Unterstützung unserer Verbündeten bauen. Es ist jedes Mal schön, wenn man sich begegnet und feststellt … irgendwie … ist alles beim Alten geblieben.
Der Krieg ist vorbei und doch hört die Aufregung nie auf. Es gibt andere Gefahrenquellen und Unruheherde. Wird es immer geben. So sind Menschen nun mal. Jeder hat seine Geschichte. Jeder seine Prinzipien und Erwartungen. Ängste, Sehnsüchte und Meinungen. Wird man jemals alle unter einem Hut kriegen? Ich denke nicht … Muss man auch gar nicht. Jeder geht seinen Weg. So oder so. Meiner führte mich zurück an die Küste. Zurück an jenen Ort, an dem ich Abschied nahm. Abschied von einem Mann, der mir so viel bedeutete…
Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr so lange ein Geheimnis hütet, dass ihr das Gefühl bekommt euch selbst zu belügen? Es tut weh auf eine freudige Art und Weise. Vor allem wenn es Zeit wurde, das Geheimnis offen zu legen … In meinem Gepäck hatte ich ein Schreiben. In meiner Position als Oberfähnrich, musste ich dies nicht mal von einem der Offiziere absegnen lassen. Auf meinem Weg die Klippen hinab, wurde mein Grinsen immer breiter und mein Herz schlug immer schneller. Ich kannte mein Ziel und was das Erreichen dieses Ortes bedeutete.
Ohne zu zögern kletterte ich auf das Wrack des alten Containerkahns. Wiedermal machte ich dort ein Signalfeuer und wartete. Wie ausgemacht verließ ich das Wrack wieder, noch während das Feuer richtig zu brennen begann. Mein Weg führte mich zwischen die Klippen in eine versteckte kleine Höhle. Dort hieß es nun ausharren. Das Lager wirkte verstaubt und verwaist. Keine guten Voraussetzungen und ich machte mir Sorgen. Was wäre wen … Doch den Gedanken verwarf ich direkt wieder. Nein – dafür war kein Platz in meinem Kopf. Zweifel durften jetzt nicht aufkommen.
4 Stunden wartete ich und dann fiel ein Schatten auf mich. Ich saß gerade mit dem Rücken zum Höhleneingang und stöberte in einer alten Kiste. Irgendwie muss man sich ja beschäftigen. Ich hielt inne und hatte Gefühl, dass ich gleich vor Freude platzte. „Du bist spät mein Freund.“ Sagte ich und stand auf. Noch bevor ich mich umdrehte sagte er >>Immer noch pünktlich zum Frühstück.<< Bei uns beiden war nur zu deutlich heraus zu hören, dass wir nicht aufhören konnten zu grinsen. Als ich mich umgedreht habe meinte ich noch: „Ach halt die Klappe!“ dann konnte er sich nicht wehren und ich drückte ihn einfach. Ich war so happy. Es war so lange her und endlich hatte ich meinen ‚Bruder‘ wieder. Meinen besten Freund, den ich so schmerzlich vermisst habe. Nach ein paar Augenblicken ließ ich ihn wieder los. Meine Freude konnte ich echt nicht verbergen. Musste ich zum Glück auch nicht. „Hallo VanVan. Es tut so gut dich wiederzusehen.“ Darauf meinte er nur frech grinsend wie immer >>Hey Plüschi. Lange her, was?<<. Er erkundigte sich wie es mir geht und wie der Stand der Dinge ist. „Tjaaa … alles wie immer eigentlich. Ich war Feldwebel..“ sagte ihm und er musste lachen >>Warst? Was hast du angestellt? Bist du wieder ohne Erlaubnis vom Major mit einer Notfackel nachts über Airfield gerannt?<< Die Erinnerung an diese Aktion brachte mich echt zum Lachen.
„Nein nein – ausnahmsweise weiß er davon nichts. Ich bin jetzt Oberfähnrich.“ Erzählte ich stolz und er gratulierte mir. >>Glückwunsch … muss ich dich dann immer mit Fräulein Offiziersanwärterin ansprechen?<< Da verdrehte ich nur die Augen. „Nein du Flitzpiepe, aber… das erinnert mich an etwas.“ Damit holte ich das Schreiben heraus und hielt es ihm hin. „nimm und lies – damit zählt es als zugestellt.“ Grinste ich frech und Vanguard wurde skeptisch. >>Will ich das lesen?<< und daraufhin nickte ich „Gefreiter Vanguard, hiermit wird offiziell ihr … ‚Urlaub‘ … ausgesetzt und für beendet erklärt. Der Aufhebungsbescheid und die sofortige Abkommandierung wurde ihnen mit diesem Schreiben zugestellt.“ Jetzt sah er mich an wie ein Auto und ich grinste ihn breit an. >>Ist das ein Scherz?<< und ich schüttelte den Kopf. „Nein mein Freund. Das ist mein Ernst! Wir brauchen dich. Wir haben guten Zuwachs bekommen und du hast dich lang genug versteckt. Sachen packen und ab geht’s!“ forderte ich ihn auf. Mit der Antwort hatte ich gerechnet. Also packten wir sein Hab und Gut und machten uns zusammen auf dem Weg zurück zum Lager … Die einzige Sache, die offen war : Wie verklickert man seinen Vorgesetzten, dass man seit Wochen weiß, dass der totgeglaubte beste Freund, wegen dem man so einen Wirbel veranstaltet hat, lebte … und besser noch … ihn wieder zurück zur Truppe brachte!