Kapitel 22, Elektrozavodsk
Mit ernstem Gesicht beobachtet Mike den Fremden, ich kann seine Anspannung spüren, er hat seine Waffe nicht mehr über der Schulter sondern hält sie jetzt mit beiden Händen im Anschlag, jederzeit bereit zu schießen. Unruhig zapple ich neben Mike herum, ich will zu dem Mann, ich kann einfach nicht glauben, dass er böse sein könnte...
Inzwischen kriecht der Unbekannte weiter auf die Ortschaft zu, vorsichtig nähert er sich der ersten Scheune, immer die Umgebung beobachtend betritt er sie schließlich. Nach wenigen Minuten kommt er wieder heraus und schleicht weiter durch den Ort. Nervös bedeutet Mike mir ihm zu folgen, langsam pirschen wir uns durch die Gebüsche am Waldrand um eine Position mit besserer Aussicht zu finden.
Währenddessen durchsucht der Fremde weitere Scheunen, Häuser scheint es hier kaum zugeben, die wenigen die es gibt sehen verriegelt aus.
Immer weiter bewegen wir uns durch den Wald, Mike hat den Finger weiterhin fest am Abzug seiner Waffe. Ich bin sehr nervös, was hat Mike vor, glaubt er wirklich der Mann ist so gefährlich? Und überhaupt, was will er tun, er kann den Fremden ja nicht einfach erschießen...
Schließlich scheint der Unbekannte alle interessanten Gebäude durchsucht zu haben und schleicht nahe der Küste wieder aufs offene Feld, nachdem er sich sicher zu sein scheint, dass ihm keine Zombies folgen, richtet er sich auf und läuft an der Küste entlang Richtung Osten weiter.
"Siehst du er ist ganz normal, er hat nichts komisches gemacht, lass uns zu ihm gehen!" Drängend schaue ich Mike an, ich will endlich zu ihm, bestimmt können wir uns gegenseitig helfen.
Aber Mike schüttelt bestimmt den Kopf "Nein Ivan, viel zu gefährlich, wir müssen ihn erst noch weiter beobachten, so können wir es noch nicht sicher wissen." Verzweifelt und wütend beiße ich mir auf die Lippe, wahrscheinlich hat er ja recht, aber ich will es einfach nicht glauben.
Mike schaut mich sorgenvoll an "Ivan, ich weiß, das ist alles schwer für dich, du kannst dich ja an nichts erinnern, du musst mir einfach vertrauen, ich habe die letzten Monate viel erlebt und gesehen. Viele Menschen haben diese Erlebnisse nicht ausgehalten, sie sind wirklich sehr anders geworden, sie töten für eine Dose Bohnen, oder manche auch einfach nur aus Spaß...Wir müssen jetzt weiter, wenn du willst können wir ihm noch folgen, lass uns schauen wie er sich heute Nacht und morgen verhält, wenn uns bis dahin nichts aufgefallen ist können wir zu ihm gehen, ok?"
Langsam nicke ich, hoffentlich können wir morgen wirklich zu ihm gehen...
Den ganzen Vormittag über verfolgen wir den Mann an der Küste entlang, nutzen jede mögliche Deckung und halten so viel Abstand wie möglich ohne ihn einen Moment aus den Augen zulassen. Am frühen Nachmittag können wir schließlich die ersten Häuser der nächsten Stadt vor uns sehen. "Das ist Elektrozavodsk, hier müssen wir aufpassen, komm mit, ich kenne einen Hügel von dem man gut auf die Stadt schauen kann." Unsicher blicke ich zu dem Fremden, wir sollen aufpassen, aber was ist mit ihm, ihn warnt keiner...
Mike lässt mir keine Zeit um weiter zu grübeln, er läuft einfach los, wenn ich ihn nicht verlieren will muss ich ihm folgen. Also renne ich ihm eilig nach, nach wenigen Minuten erreichen wir wirklich einen Hügel von dem aus wir sehr gut auf die Stadt spähen können. Mike legt sich neben einem Gebüsch flach auf den Boden, bedeutet mir mich neben ihn zu legen und blickt durch das Visier seiner Waffe auf die Stadt. Ich versuche verzweifelt auch etwas zu erkennen, rutsche unruhig herum, versuche eine halbwegs gute Position zum liegen zu bekommen, aber wir sind soweit weg, dass ich nichts sehen kann. Schließlich bemerkt Mike meine Not, er kramt kurz in seiner Tasche, dann zieht er ein seltsames Fernglas heraus und drückt es mir in die Hand. Verdattert schaue ich es an, es ist kein richtiges Fernglas irgendwie anders... "Das ist ein Entfernungsmesser, ich möchte das du damit jetzt auf die Stadt schaust, mir sofort sagst wenn du etwas siehst und mir auch sagst wie weit es weg ist, kannst du das? Und du musst dich unbedingt ruhig halten, du lockst sonst noch Zombies oder schlimmeres an..." Mike wirkt extrem ernst und angespannt, ich merke das es ihm wirklich wichtig ist, also rutsche ich noch ein letztes Mal herum, versuche mich dann ganz still zu halten und hebe den Entfernungsmesser vors Gesicht.
Meine Augen müssen sich erst daran gewöhnen, es ist wie ein sehr gutes Fernglas, nur das unten eine Anzeige ist, die zeigt wie weit etwas weg ist. Ganz langsam lasse ich meinen Blick über die Stadt schweifen, falls da etwas ungewöhnliches ist muss ich es unbedingt Mike sagen und ich muss den Fremden wieder finden, er muss inzwischen irgendwo in der Stadt sein. Mein Magen tut weh, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache, als würde jeden Moment etwas passieren.
Schließlich kann ich den Mann wieder entdecken, er schleicht gerade in die Stadt, direkt auf eine Feuerwache zu. Gebannd verfolge ich seinen Weg, um ihn herum sind überall Zombies, aber er schleicht sich perfekt an ihnen vorbei. "Ivan, die Dächer, behalt die Dächer im Blick!" Verdattert reiße ich den Entfernungsmesser herum, es dauert einen Augenblick bevor ich ihn wieder richtig eingestellt habe und fange die Dächer zu betrachten. Was soll da den sein? Was soll ein Zombie auf dem Dach und selbst wenn, da tut er doch nichts...Trotzdem lasse ich meinen Blick nun gewissenhaft über alle Dächer schweifen, es ist nichts zu sehen, nur ganz kurz, oben auf einem Fabrikturm war kurz ein Blitzen, eine Reflexion der Sonne oder so. Ich schaue mich weiter um, da sehe ich es aus dem Augenwinkel wieder, schnell richte ich meinen Blick darauf, da glitzert doch etwas, was ist das?
Dann sehe ich es, eine Bewegung, ich sehe wie der Lauf einer Waffe über die Kante des Daches geschoben wird, erschrocken zucke ich zusammen und stammle etwas unverständliches, in Sekunden schnelle erkenne ich, die Waffe zeigt zielt auf den Fremden.
Ich springe auf, verzweifelt versuche ich den Mann an der Feuerwache auszumachen, ich muss ihn warnen! Da, da vorne ist er, ich habe ihn ausgemacht, ich will zu ihm laufen, schreien, ihn warnen, doch bevor ich auch nur den Entfernungsmesser senken kann, höre ich den Schuß...
Die Zeit scheint einzufrieren, wie gelähmt stehe ich da und sehe in Zeitlupe wie der Mann eben noch läuft, erschrocken den Kopf hebt und dann zwischen den Augen von der Kugel getroffen wird. Ich sehe wie sich das Geschoss in seine Stirn bohrt, es macht nur ein ganz kleines Loch, aber es kommt hinten wieder heraus, dabei zerfetzt es seinen Kopf, ich sehe das Blut und sein Gehirn heraus spritzen, in alle Richtungen fliegen die Tropfen und Fetzen, dann sackt er zusammen, die Zeit läuft weiter... Mike reißt mich zu Boden und zerrt mich hinter einen Baum, keinen Augenblick zu früh, wenige Zentimeter neben mir schlägt eine Kugel ein "Lauf!!"
Panisch springe ich auf die Beine, stürme den Hang hinauf, ich höre weiter Einschläge, aber ich drehe mich nicht um, nur weiter, weg hier...