Logbucheintrag 35.
Ein tragisches Kapitel aus dem Logbuch eines Überlebenden
Liebes Logbuch,
man schreibt den 68. Tag seit der Apokalypse.
Mein Name ist Dümpelmeier. Ich war einst ein einfacher Fußsoldat,
Schuhgröße 43, gepflegt und ein gelegentliches Fußbad war mir
nicht fremd.
Doch jetzt... jetzt bin ich eine geschundene, von Matsch,
Blut und Hoffnungslosigkeit umkrustete Seele, denn in Chernarus gibt
es keine Socken.
Früher war das anders. Damals, als sich die Welt und Waschmaschinen noch drehten und die Menschheit wusste, dass
Baumwolle am Fuße ein Geschenk fortschrittlicher Zivilisation ist.
Socken; diese weichen, gepolsterten Tempel des Komforts. Wurden
überall getragen! Eine Wohlfühloase moderner Errungenschaften. Der Zenit aller Erfindungen.
Wenn der Mensch die Krone der Schöpfung ist, sind Socken das größte Werk der Welt. Ein Liebesbrief für Füße.
Es gab sie in bunt, gemustert, mit Bananen drauf oder gar rotnäsigen Rentieren.
Und heute? Heute flaniere ich barfüßig in einem Paar
klapprig-krächzender Kampfstiefel,
die zuletzt 1980 in einem sowjetischen
Kriegsmuseum ausgestellt waren und vor mir vermutlich schon drei
andere trugen.
Wir Lootgoblins plündern wirklich alles: Bohnen, Patronen, hochmoderne Waffen, ja
sogar vertrockenete Birnen. Aber keine Socken.
Ich habe Leichen
durchwühlt, Zelte durchforstet, Basen durchsucht und sogar einem
verdächtig wohlhabenden Zombie mit kunterbunter Flik-Flak Armbanduhr
die Schuhe ausgezogen.
Darunter? Nur traurig blasse, barliegende
Füße. So wie meine. Was unterscheidet uns dann noch?!
Der bestialische Geruch, jedes Mal, wenn jemand
seine Füße entblößt, nachdem er dutzende Fußmeilen hinter sich
gebracht hat,
gleicht dem einer mit Schweißwasser gefüllten Kloake. Der
nebelartige Schleier, der meine Füße umgibt, ist quasi sichtbar.
Ein furzgrüner Dunst aus Fußgeruch.
Mit Socken, wäre das anders. Die absorbieren den Geruch.
Die Gruppe, mit der ich ab und zu unterwegs bin, spricht nicht
mehr über Socken. Es ist ein Tabuthema. Zu schmerzhaft sind die
Erinnerungen.
Zu grell leuchtet vor dem geistlichen Auge das durch Nostalgie geprägte Bild von
warmen, kuscheligen Flauschisocken im Kaminlicht, während draußen
der Schnee fällt und man einen Becher Kakao..., aber ich schweife ab.
Dabei wollte ich ja noch bei der Suppenküche Zelte und Sofas aufstellen, um zumindest etwas Zivilisation in die triste Einöde namens Chernarus zurückkehren zu lassen.
Jedenfalls: Auf Chernarus gibt es keine Socken.
Logbucheintrag 35. Ende.