Mittwoch, 5. Jan 2021
Meine Vorräte gehen zur Neige, es mangelt an allen Ecken und Enden. Deshalb hab ich mich kurzerhand dazu entschieden nach Elektro zu marschieren.
Seit zwei Tagen bin ich nun unterwegs. Früher war Elektro eine Metropole in Chernarus, heute nur noch eine Ruine und ein Brennpunkt der Gewalt.
Ich stochere mit einem Stock in der Glut des Lagerfeuers, während ich darüber nachdenke was mich bei meiner Ankunft erwarten würde. Mein Vater hat
immer zu mir gesagt: "Es ist zwecklos, das Unvermeidliche hinauszuzögern, mein Sohn". Wie recht er doch hatte.
Während ich in Erinnerungen schwelge, schlafe ich beim Knistern des Lagerfeuers langsam ein.
Donnerstag, 6. Jan 2021
Nach einem beschwerlichen und langen Marsch erreiche ich schließlich den nördlichen Ortszugang nach Elektro. Zu meiner Überraschung ist weder
Gewehrfeuer zu hören, noch Explosionen. "Alles ruhig" denke ich mir und durchkämme die ersten paar Wohnhäuser.
Man muss immer wachsam sein in diesen unsicheren Zeiten. Ein Grundsatz, den ich eigentlich stets beherzige. Eigentlich.
Plötzlich steht er vor mir - ein Mann, ein Überlebender. Wie ich. Wir sehen uns an, stehen uns gegenüber im Wohnzimmer eines Einfamilienhauses.
Wo früher die Familie nach getaner Arbeit zusammensaß und den Tag zusammen ausklingen ließ, stehen nun zwei bewaffnete Männer.
Ich spüre den Impuls, meine Waffe ziehen zu wollen - doch ich mache es nicht. Warum nicht? Vertrauen ist immer etwas, das man zuerst geben muss,
um es sich zu verdienen. Innerlich bin ich bereit, die Glock aus meinem Brusthalfter zu ziehen und ihn zu erschießen. Glücklicherweise ist dies nicht
notwendig, da es sich herausstellt, dass auch er nur auf der Suche nach Vorräten ist und keine bösen Absichten hegt. Zumindest nicht gegen mich und
nicht in diesem Moment.
Wir unterhalten uns kurz, er sagt mir, dass er sich erkältet hat. Da ich mehr Tabletten in meiner "Reiseapotheke" dabei hab, als ich momentan selbst
benötige, gebe ich ihm etwas davon. Er bedankt sich und zieht weiter Richtung Norden.
Begegnungen wie diese sind es, die das Licht im Herzen der Menschen am Leuchten hält. Selbst in einer kaputten Welt wie dieser. Ich bin froh, dass
heute niemand sterben musste.
- später Nachmittag -
Nachdem ich Feuerwache, Bibliothek und Krankenhaus durchkämmt habe, spüre ich ein nasses Gefühl in meinen Schuhen. Ich ziehe mich in einen
Lagerschuppen zurück und ziehe meine Stiefel aus, an denen sich der Dreck meiner langen Wanderung zu einer harten Kruste verwandelt hat.
Beim Ausziehen der Stiefel spüre ich einen stechenden Schmerz und zucke zusammen. "Scheiße" denke ich, als ich feststelle, dass meine Füße voller
Blut sind. Die Sohle meiner Schuhe ist ruiniert - kein Wunder bei all den Glasscherben die hier rumliegen.
Ich verarzte mich provisorisch und mache eine kurze Pause. Noch hab ich nicht alles gefunden, weswegen ich hierher gekommen bin. An den
Heimweg ist also nicht zu denken. Noch nicht.
Für heute soll es das trotzdem gewesen sein. Ich verriegele die Türen des Lagerschuppens und ziehe meinen schweren Rucksack aus.
Was mich wohl morgen erwarten wird...?